Da machte er das, was er früher schon oft gethan, er aß nicht zu Mittag, und die Nachmittage brachte er auf der Redaktion zu bei der Arbeit, wütend und allerlei Gedanken umherwälzend.
Gegen vier Uhr bekam er ein Stadttelegramm seiner Geliebten des Inhalts:
»Wollen wir zusammen essen und dann eine kleine Bummelreise machen?«
Er antwortete sofort:
»Essen unmöglich.«
Dann überlegte er sich, daß es doch thöricht sei, nicht die schönen Stunden mitzunehmen, die sie ihm schenkte, und fügte hinzu:
»Erwarte Dich neun Uhr in unserer Wohnung.«
Und nachdem er einen der Zeitungsjungen mit der Nachricht fortgeschickt, um den Preis des Telegramms zu sparen, dachte er nach, wie er es anstellen könnte, um sich ein Abendessen zu verschaffen.
Um sieben Uhr war er noch nicht schlauer geworden, und ein fürchterlicher Hunger peinigte ihn. Da kam er auf eine ganz verzweifelte List: er ließ seine Kollegen einen nach dem andern fortgehen, und als er allein war, klingelte er. Der Redaktionsdiener, der noch da geblieben war, erschien:
Duroy stand da, suchte nervös in den Taschen und sagte kurz:
– Hören Sie mal, Foucart, ich habe mein Portemonnaie zu Hause liegen lassen und ich muß im Luxembourg essen, borgen Sie mir doch mal fünfzig Sous, daß ich die Droschke bezahlen kann.
Der Mann zog drei Franken aus der Tasche und fragte:
– Herr Duroy, wollen Sie nicht mehr?
– Nein, das genügt, danke sehr.
Nachdem Duroy die Silberstücke empfangen hatte, lief er die Treppe hinab und ging in eine Garküche, wo er an Tagen, wenn es ihm schlecht ging, zu landen pflegte.
Um neun Uhr erwartete er im kleinen Salon, am Kamin sitzend, seine Geliebte.
Sie kam, war sehr angeregt, heiter und frisch von der kalten Luft.
– Weißt Du was, sagte sie, wir wollen doch erst noch ein bißchen herumbummeln und um elf kommen wir wieder her. Es ist so schönes Wetter draußen.
Er antwortete brummig:
– Wozu denn fortgehen, hier ist es sehr gemütlich!
Sie sagte, ohne den Hut abzusetzen:
– Ach, es ist so wunderschöner Mondschein heute, es ist wirklich köstlich, heute abend spazieren zu gehen.
– Das kann schon sein, aber ich mag nicht.
Er hatte das wütend gesagt, sie fühlte sich gekränkt und fragte:
– Was hast Du denn? Warum bist Du denn so grob? Ich möchte gern noch einen Spaziergang machen, weshalb ärgert Dich denn das so?
Verzweifelt sprang er auf:
– Es ärgert mich nicht. Es langweilt mich einfach, na!
Widerstand erregte sie; Unhöflichkeit brachte sie außer sich, und sie sagte mit Verachtung, mit gedämpfter Wut:
– Ich bin nicht gewohnt, daß man so mit mir spricht, dann gehe ich allein fort. Adieu!
Er merkte, daß die Sache anfing ernst zu werden, ging lebhaft auf sie zu, nahm sie bei den Händen, küßte sie und stammelte:
– Verzeih’ doch, liebes Kind, ich bin heute abend sehr nervös, sehr erregt, weißt Du, ich habe Unannehmlichkeiten, Widerwärtigkeiten im Beruf.
Sie antwortete ein wenig milder, aber noch nicht ganz versöhnt:
– Das geht mich nichts an. Und ich dulde nicht, daß Du Deine schlechte Laune an mir auslässest.
Da umarmte er sie und zog sie zum Sofa:
– So höre doch, mein kleines Tierchen, ich wollte Dich ja nicht kränken. Ich habe nicht überlegt, was ich sagte.
Er hatte sie gezwungen, sich zu setzen. Nun kniete er vor ihr:
– Hast Du mir verziehen, sage mir, daß Du mir verziehen hast!
Sie murmelte mit kaltem Ton:
– Dies Mal noch, aber fange nicht wieder an.
Und dann fügte sie hinzu, indem sie aufstand:
– Aber nun wollen wir einen Spaziergang machen. Er war auf den Knieen geblieben und hatte seine Arme um ihre Hüften gelegt.
Er stammelte:
– Bitte, laß uns doch hier bleiben, ich bitte Dich darum, thu mir doch das zuliebe. Ich möchte Dich heute abend so gern allein hier für mich behalten, hier am Feuer, das so gemütlich brennt. Bitte sage ja, bitte sage ja!
Sie antwortete kurz und hart:
– Nein, ich will ausgehen; ich will nicht Deinen Launen gehorchen.
Er bat von neuem:
– Ich bitte Dich, ich habe einen Grund, einen ernsten Grund!
Sie wiederholte:
– Nein, und wenn Du nicht mit mir ausgehen willst, gehe ich allein. Adieu!
Mit einem Ruck hatte sie sich frei gemacht und schritt zur Thür. Er lief ihr nach und nahm sie in die Arme:
– Clo, hör´ mich doch an; meine kleine Clo! Hör´ doch, das kannst Du mir doch thun!
Sie schüttelte den Kopf ohne zu antworten, wich seinen Küssen aus und versuchte sich freizumachen, um fortzugehen.
Er stammelte:
– Clo, meine kleine Clo, ich habe wirklich einen Grund!
Sie blieb stehen und blickte ihn gerade an:
– Du lügst! Welchen denn?
Er ward rot und wußte nicht, was er sagen sollte. Und da antwortete sie empört:
– Siehst Du, daß Du lügst! Du alter Betrüger!
Und mit einer Bewegung der Wut, Thränen in den Augen, lief sie davon.
Er packte sie noch einmal bei den Schultern und erklärte, bereit, alles zu gestehen, um einen Bruch zu vermeiden, im Tone der Verzweiflung:
– Der Grund ist einfach: ich habe kein Geld.
Sie blieb stehen, blickte ihm in die Augen, um die Wahrheit darin zu lesen:
– Was sagst Du?
Er war rot geworden bis an die Haarwurzeln:
– Ich sage, daß ich kein Geld habe, verstehst Du? Aber nicht zwanzig Sous! Nicht zehn Sous! Ich habe nicht mal so viel, um, wenn wir in ein Café gehen, einen Schnaps zu bezahlen. Du zwingst mich, Dinge zu gestehen, deren ich mich schäme. Ich konnte also wirklich nicht mit Dir ausgehen und Dir dann, wenn wir im Restaurant etwas bestellt, ganz ruhig erzählen, daß ich’s nicht bezahlen kann.
Sie blickte ihn noch immer gerade an:
– Ist das wirklich wahr?
Sofort drehte er die Taschen um, die Hosentasche, die Westentasche, die Rocktasche und sagte:
– Da. Bist Du nun zufrieden?
Da öffnete sie jäh ihre Arme und warf sich ihm leidenschaftlich an den Hals, indem sie stammelte:
– Ach mein armer Georg! Mein armer Georg! Wenn ich das gewußt hätte! Wie ist denn das nur gekommen?
Er mußte sich setzen, und sie nahm auf seinen Knieen Platz, legte den Arm um seinen Hals, küßte ihm fortwährend den Schnurrbart, den Mund, die Augen und zwang ihn zu erzählen, woher sein Unglück käme.
Er erfand eine rührende Geschichte. Er hatte seinem Vater helfen müssen, der in Verlegenheit war, und er hatte ihm nicht nur seine Ersparnisse gegeben, sondern sich noch dazu in Schulden gestürzt.
Er schloß:
– Jetzt kann ich wenigstens ein halbes Jahr Hunger leiden! Denn ich habe alles aufgeboten, um das Geld zusammenzukratzen. Ach was, es giebt eben im Leben auch böse Tage, schließlich ist’s das Geld nicht wert, daß man sich weiter darüber ärgert.
Sie flüsterte ihm ins Ohr:
– Soll ich Dir was borgen?
Er antwortete mit großer Würde:
– Das ist sehr nett von Dir, Liebchen, aber wir wollen davon nicht weiter sprechen, bitte, das würde mich verletzen.
Sie schwieg, dann umarmte sie ihn und murmelte:
– Du weißt ja nicht, wie ich Dich liebe.
Es war einer ihrer heißesten Liebesabende.
Ehe sie fortging, sagte sie noch lächelnd:
– Weißt Du, wenn man in so einer Lage ist wie Du, müßte es hübsch sein, in irgend einer Tasche ein Geldstück wieder zu finden, das vielleicht ins Futter gerutscht ist.
Er antwortete überzeugt:
– Ja, das wäre so was!
Sie wollte zu Fuß nach Haus gehen unter dem Vorwand, daß der Mond so schön schiene, und sie ward ganz begeistert über seinen Anblick.
Es war eine kalte, klare Nacht im beginnenden Winter. Die Menschen und Pferde gingen schnell wegen der Kälte. Die Schritte hallten auf dem Trottoir.
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