Und wie sie die Frische des Wassers genossen, umfaßte er sie und suchte ihr den Platz streitig zu machen. Sie widerstand, ihre Lippen trafen sich, prallten ab, und während des Kampfes erwischten sie, eines um das andere, einmal den schmalen Ausfluß der Röhre und hielten ihn mit den Zahnen, um nicht los zu lassen, und der kalte Wasserstrahl, der immerfort mit dem Munde gefaßt und wieder los gelassen wurde, teilte sich und floß wieder zusammen, bespritzte Gesicht, Hals, Kleider, Hände. Kleine Tröpfchen glitzerten Wie Perlen in ihrem Haar, und dazwischen küßten sie sich in dem Gespritzer.
Plötzlich kam Johanna auf einen Liebesgedanken; sie füllte den Mund mit der klaren Flut, blies die Backen auf, wie einen Gummillall [*? Gummiball] und deutete Julius an, daß sie ihm Mund an Mund zu trinken geben wollte. Lächelnd, zurückgebeugt mit offenen Armen hielt er ihr die Lippen hin und trank an dieser lebendigen Quelle mit einem tiefen Zug, der seine Wünsche erregte.
Johanna schmiegte sich an ihn mit ungewöhnlicher Zärtlichkeit, ihr Herz klopfte, ihr Busen hob sich, ihre Augen schienen überzugehen, als würden sie feucht, und sie sagte leise:
– Julius, ich liebe Dich! – Und während er sie an sich zog, beugte sie sich zurück und barg ihr schamgerötetes Gesicht in den Händen.
Er warf sich auf sie, umarmte sie glühend. In nervöser Erwartung atmete sie kurz, und plötzlich stieß sie einen Schrei aus, wie vom Donner gerührt durch die Empfindung, die sie durchströmte.
Sie brauchten lange, um die Höhe des Aufstiegs zu gewinnen, so erregt war sie und solche Schwere lag ihr in den Gliedern. Erst abends kamen sie nach Evisa zu Paoli Palabretti, einem Verwandten ihres Führers.
Er war groß und hielt sich etwas gebeugt, mit dem traurigen Ausdruck des Lungenkranken. Er führte sie in ihr Zimmer, ein armseliges, kahles Gemach, aber das immerhin für dieses Land, wo Luxus unbekannt ist, ganz erträglich war. Und in seiner Sprache, einem korsischen Platt, ein Mischmasch von französisch und italienisch, drückte er ihnen seine Freude aus, sie bei sich aufzunehmen.
Da unterbrach ihn eine helle Stimme, und eine kleine Bauernfrau mit großen, schwarzen Augen, sonnenverbranntem Gesicht, schlanker Taille und die bei fortwährendem Lachen die Zähne zeigte, trat vor, küßte Johanna und schüttelte Julius die Hand, indem sie sagte:
– Guten Tag meine Dame, guten Tag mein Herr! Geht es Ihnen gut?
Sie nahm Hüte und Shawls und legte sie mit einem Arm fort, denn den andern trug sie in einer Binde. Dann sagte sie zu ihrem Mann:
– Geh mit ihnen spazieren bis zum Essen.
Herr Palabretti gehorchte sofort, nahm die beiden jungen Leute rechts und links und zeigte ihnen das Dorf. Er ging und sprach langsam, hustete häufig und meinte:
– Die Luft im Thal ist so kühl, das ist mir auf die Brust gegangen.
Unter Riesenkastanien führte er sie einen Weg, plötzlich blieb er stehen und sagte mit seiner monotonen Aussprache:
– Hier ist mein Vetter Johann Rinaldi von Mattias Lori getötet worden. Sehen Sie, ich stand ganz nahe bei Johann, da erschien Mattias zehn Schritte vor uns und rief:
»Johann, geh nicht nach Albertacci, geh nicht hin, Johann, oder das sage ich Dir, ich schieße Dich über´n Haufen!« Ich nahm Johanns Arm und bat: »Johann, geh nicht hin, er macht’s wahr.« Es war wegen eines Mädchens, dem sie beide nachstellten, Pauline Sinacoupi. Aber Johann rief: »Mattias, ich geh´ hin, Du hinderst mich nicht dran.«
Da schlug Mattias sein Gewehr an, ehe ich meines an die Backe reißen konnte, und schoß. Johann sprang mit beiden Füßen in die Luft, wie ein Kind, das über ein Seil springt. Jawohl, ganz genau so, und er fiel und stürzte auf mich, sodaß mir mein Gewehr aus der Hand geschlagen wurde und bis zu der großen Kastanie da drüben rollte. Johann hatte den Mund weit offen, aber er sagte kein Wort mehr, er war tot.
Die jungen Leute blickten erschrocken den ruhigen Zeugen dieses Verbrechens an. Johanna fragte:
– Und der Mörder?
Paoli Palabretti bekam einen Hustenanfall, dann sagte er:
– Er ist in die Berge entflohen. Das Jahr darauf hat ihn mein Bruder erschossen. Wissen Sie, mein Bruder Philippi Palabretti, der Bandit!
Johanna schauderte:
– Ihr Bruder ist ein Bandit?
Der Korse sagte, und stolz leuchteten seine Augen:
– Jawohl, und ein berühmter! Er hat sechs Gendarmen umgebracht; er ist mit Nikolaus Morali, als sie in Niolo eingeschlossen waren, nachdem sie sich sechs Tage verteidigt hatten und fast verhungert waren, gestorben.
Dann fügte er mit resigniertem Ausdruck hinzu:
– Das bringt das Land so mit sich, – in demselben Ton, wie er vorhin gesagt: Die Luft ist so frisch im Thal.
Darauf kehrten sie heim zum Essen, und die kleine Korsikanerin behandelte sie, als ob sie sie schon seit zwanzig Jahren kennte.
Aber eine Unruhe ließ Johanna nicht los. Würde sie wohl in Julius’ Armen diese seltsame, plötzliche Sinnlichkeit wieder finden, die sie auf dem Moos an der Quelle gepackt?
Als sie allein im Zimmer waren, zitterte sie noch immer, unberührt von seinen Küssen zu bleiben, aber sie bekam bald Gewißheit. Und das war ihre erste Liebesnacht.
Und am andern Tage, als sie fort mußten, konnte sie sich nicht entschließen, dieses einfache Haus zu verlassen, wo, wie es schien, ein neues Glück für sie begonnen.
Sie zog die kleine Frau ihres Wirtes in ihr Zimmer und bat sie, daß sie ihr doch sagen möchte, was sie ihr, sobald sie wieder nach Paris kommen würde, schenken dürfe, ein Andenken nur, dem sie fast abergläubische Bedeutung beilegte.
Die junge Korsikanerin wehrte sich lange dagegen und wollte nichts annehmen. Endlich war sie einverstanden und sagte:
– Gut, schenken Sie mir eine Pistole, eine ganz kleine Pistole.
Johanna riß die Augen auf, die andere fügte leise, ganz nahe an ihrem Ohr hinzu, etwa wie man ein süßes, geheimes Geständnis macht:
– Ich will meinen Schwager totschießen.
Und lächelnd löste sie die Binde vom Arm, den sie nicht benutzte und zeigte ihr rundes, weißes Fleisch, das an mehreren Stellen von Dolchstichen durchbohrt war.
– Wenn ich nicht ebenso stark gewesen wäre, wie er, sagte sie, hätte er mich getötet. Mein Mann ist nicht eifersüchtig, der kennt mich, und dann wissen Sie, er ist krank, und das macht ihn ruhig. Übrigens bin ich eine anständige Frau. Aber mein Schwager glaubt alles, was ihm erzählt wird, er ist eifersüchtig für meinen Mann, und er fängt sicher wieder an. Wenn ich aber eine kleine Pistole hätte, wäre ich ruhig, weil ich weiß, daß ich mich rächen kann. Johanna versprach die Waffe zu schicken, nnd küßte zärtlich die neue Freundin. Dann gingen sie fort.
Die übrige Reise war wie ein Traum, eine unausgesetzte Liebkosung. Sie sah nichts, nicht die Landschaft, nicht die Menschen, nicht die Orte, wo sie sich aufhielten, sie sah nur noch Julius.
Da begann die kindische, reizende Heimlichkeit der Liebe, kleine, thörichte Worte wurden gewechselt, und sie nannten einander mit allen möglichen Kosenamen.
Als sie nach Bastia kamen, mußten sie den Führer bezahlen. Julius suchte in der Tasche, und da er das nötige Geld nicht gleich fand, sagte er zu Johanna:
– Du brauchst ja die zweitausend Franken Deiner Mutter doch nicht, gieb mir sie doch in meinen Gürtel, da sind sie sicherer, und da brauche ich nicht erst wechseln zu lassen.
Und sie gab ihm den Geldbeutel.
Sie kamen nach Livorno, besuchten Florenz, Genua, und eines Morgens, als der Mistral blies, waren sie wieder in Marseille.
Seit ihrer Abreise von Les Peuples waren zwei Monate verstrichen. Man schrieb den 15. Oktober. Johanna traf der starke, kalte Wind, der von dort oben, von der fernen Normandie zu kommen schien, und stimmte sie traurig.
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