Julius schien seit einiger Zeit verändert zu sein, müde und gleichgiltig. Sie befürchtete etwas, aber sie wußte nicht was.
Sie richtete es so ein, daß sie noch vier Tage warteten, ehe sie heimkehrten. Sie mochte dieses wunderschöne Sonnenland nicht verlassen, es war ihr, als ob hiermit die Zeit des Glückes für sie vorbei wäre.
Endlich reisten sie ab. In Paris wollten sie alle Einkäufe machen für ihre endgiltige Einrichtung in Les Peuples, und Johanna freute sich, dank Mamachens Geschenk, allerlei schöne Dinge mitbringen zu können; aber zuerst dachte sie an die Pistole, die sie der jungen Korsikanerin in Evisa versprochen.
Am Tage nach der Ankunft sagte sie zu Julius:
– Mein Liebling, bitte gieb mir doch das Geld, das ich von Mama bekommen habe, ich möchte Einkäufe machen.
Mit unzufriedenem Ausdruck wandte er sich zu ihr:
– Wieviel brauchst Du?
Sie war erstaunt und sagte:
– Ja, so viel Du willst.
Er antwortete:
– Ich will Dir hundert Franken geben, aber verplempere sie nicht.
Sie wußte nicht mehr, was sie sagen sollte, sie war wie auf den Mund geschlagen, endlich meinte sie zögernd:
– Aber ich habe Dir doch das Geld gegeben, um….
Er ließ sie nicht ausreden:
– Ja gewiß, ob ich es habe, oder ob Du es hast, ist doch ganz gleich, da wir doch eine Kasse haben. Ich schlage Dir ja nichts ab, ich gebe Dir ja hundert Franken.
Ohne ein Wort zu sagen, nahm sie die fünf Goldstücke, aber sie wagte nicht mehr, um Geld zu bitten, und kaufte nur die Pistole.
Acht Tage später reisten sie nach Les Peuples.
Inhaltsverzeichnis
Vor dem weißgestrichenen Eingangsthor, das in zwei Ziegelpfeilern hing, erwarteten die Familie und die Dienstboten das junge Paar. Die Post hielt, und lange dauerten die Umarmungen. Mutting weinte, Johanna war bewegt und wischte sich die Thränen, der Vater lief nervös auf und ab.
Dann wurde, während man das Gepäck ablud, am Kaminfeuer die Reise erzählt. Die Worte flossen nur so von Johannas Lippen, alles wurde berichtet in einer halben Stunde, bis auf ein paar Kleinigkeiten, die man bei dem schnellen Erzählen vergessen.
Dann packte die junge Frau aus, Rosalie, die auch ganz gerührt war, half. Als alles fertig war, Wäsche, Kleider und sonstige Gegenstände in die Fächer verteilt, verließ das Mädchen ihre Herrin, und Johanna, die müde geworden, setzte sich. Sie fragte sich, was sie jetzt anfangen sollte, und suchte eine geistige Beschäftigung und eine Thätigkeit für ihre Hände. Sie hatte keine Lust, in den Salon hinunter zu gehen zu ihrer Mutter, die schlief. Sie wollte spazieren gehen, aber alles war so öde, so traurig, daß sie ganz melancholisch ward, als sie nun aus dem Fenster blickte.
Da kam sie zur Erkenntnis, daß sie eigentlich nichts mehr zu thun hatte, überhaupt nie wieder etwas zu thun haben würde. Die ganze Jugendzeit im Kloster hatte sie geträumt von der Zukunft. Diese fortwährende Beschäftigung mit der Zukunft hatte damals alle ihre Stunden ausgefüllt. Bald nach ihrem Austritt aus den düstern Mauern, wo ihre Träume emporgeschossen waren, wurde dann plötzlich ihre Liebessehnsucht erfüllt. Den ersehnten Mann hatte sie gefunden, ihn geliebt und nach ein paar Wochen geheiratet, und er hatte sie in seinen Armen entführt, ehe sie noch recht zur Besinnung gekommen war.
Aber nun war die süße Wirklichkeit der ersten Tage zur alltäglichen Prosa des Lebens geworden, die allen unbestimmten Hoffnungen, jeder reizenden Unruhe vor dem, was da kommen sollte, die Thür verschloß. Die Wartezeit war zu Ende.
Nun hatte sie nichts mehr zu thun, weder heute noch morgen, noch jemals wieder, das fühlte sie unbestimmt in einer gewissen Enttäuschung, einem Verblassen ihrer Träume.
Sie stand auf und drückte die Stirn an die kalte Scheibe; nachdem sie einige Zeit zum dunklen Himmel aufgesehen, an dem schwere Wolken hingen, entschloß sie sich, auszugehen.
War das noch dieselbe Gegend, dasselbe Gras, dieselben Bäume, wie damals im Monat Mai? Wo war sie denn hin die heitere Sonnenpracht der Blätter, die Poesie des schönen, grünen Rasens, auf dem der Löwenzahn flammte und die Klatschrosen blühten? Wo die Maßliebchen lächelten, wo die goldigen Schmetterlinge wie an langen, unsichtbaren Fäden umhergaukelten. Und diese ganze, berückende Luft, das Leben, die Düfte, die Fruchtbarkeit überall? Alles dahin.
Die Wege zeigten sich von dem ewigen Herbftregen genäßt, mit welkem Laub bedeckt unter den kahlen zitternden Pappeln. Die Äste bebten im Wind, und der zerrte und riß an den paar übrig gebliebenen Blättern, die auch fallen mußten.
Und ununterbrochen lösten sich diese letzten, jetzt gelben Blätter, wie breite Goldstücke von den Bäumen ab, wehten fort, flatterten umher und sanken zu Boden.
Sie ging bis ans Wäldchen, das traurig aussah, wie ein Sterbe-Zimmer. Die grüne Mauer, die die kleinen reizenden Wege trennte und recht lauschig machte, war kahl; die struppigen Sträucher, wie ein Spitzengeflecht von feinem Holz, stießen die entlaubten Zweige aneinander, und das Niedersinken der raschelnden, trockenen Blätter, die der Wind umher wirbelte und hier und da in Haufen zusammen trieb, war wie der schmerzliche Seufzer eines Sterbenden.
Kleine Vögelchen hüpften mit leisem Gezwitscher, Unterschlupf suchend, umher.
Nur die Platane und die Linde hatten unter dem Schutz der Ulmenreihe, die als Vorhut gegen den Seewind stand, ihr Sommerkleid behalten. Die eine war wie in roten Sammet gekleidet, die andere wie in orangenfarbige Seide, so hatte sie, je nach ihrer Art, der erste Frost gefärbt.
Mit langsamen Schritten ging Johann Muttings Allee längs des Hofes der Couillard entlang. Etwas lastete auf ihr, bedrückte sie, wie das Vorgefühl der Langenweile, ihres einförmigen Lebens, das nun begann.
Dann setzte sie sich an den Grabenrand, wo Julius ihr zum ersten Male von seiner Liebe gesprochen, und dort blieb sie träumend, fast ohne Nachdenken, schläfrig bis ins Herz hinein, sitzen, sie hätte sich hinlegen mögen und einschlafen, nur um der Traurigkeit dieses Tages zu entgehen.
Plötzlich sah sie eine Möve durch den Himmel schießen, die ein Windstoß daher trug, und sie dachte an den Adler, den sie da unten in Korsika im finstern Thale Ota gesehen. Es traf sie wie die plötzliche Erinnerung an etwas Schönes, das nun vorbei war.
Und sie träumte von der lachenden Insel mit ihren Waldesdüften, ihrer Sonne, die die Orangen reifen, die Cedernbäume blühen läßt, von ihren Bergen mit den rötlichen Gipfeln, den blauen Meerbusen und den düsteren Schluchten, in denen der Wildbach tost.
Da lastete die feuchte ernste Landschaft, die sie umgab, mit dem traurigen Blätterfall und den windgetriebenen grauen Wolken mit solcher Verzweiflung auf ihr, daß sie ins Haus ging, um nicht zu weinen.
Mutting schlummerte vor dem Kamin. Sie war die Eintönigkeit der Tage gewöhnt und empfand sie nicht mehr. Der Vater und Julius waren spazieren gegangen und sprachen von ihren Geschäften. Und die Nacht brach herein und breitete ihr trauriges Dunkel über den ganzen Salon, den nur das Feuer im Kamin erhellte.
Draußen konnte man durch die Fenster noch beim letzten Schein der Dämmerung die schmutzige Dezember-Landschaft erkennen und den grauen Himmel, der auch aussah, als wäre er in Schmutz getaucht.
Bald kehrte der Baron zurück, von Julius gefolgt; sobald er in das dunkle Gemach trat, verlangte er Licht und rief:
– Schnell, Licht! Es ist so traurig hier.
Und er setzte sich vor den Kamin. Während seine nassen Stiefel am Feuer dampften und von seinen Sohlen der durch die Hitze getrocknete Schmutz abfiel, rieb er sich fröhlich die Hände:
– Ich glaube, es wird frieren. Im Norden wird es hell. Heute ist Vollmond, das giebt einen tüchtigen Frost die Nacht.
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