Sie zeigten sich rechts vom Schiff, kamen dann links wieder zum Vorschein, manchmal alle zusammen, dann wieder einer nach dem andern und schossen spielend, in fröhlicher Verfolgung, in einem mächtigen Satz, der einen großen Bogen beschrieb, in die Luft, um wieder unterzutauchen.
Johanna klatschte in die Hände und zuckte ganz glückselig jedes Mal zusammen, wenn die riesengeschwänzten Schwimmer erschienen. Ihr Herz klopfte in toller, kindlicher Freude.
Plötzlich verschwanden sie, man sah sie noch ein Mal, ganz weit nach dem offnen Meer zu, und dann nicht wieder. Ein paar Sekunden war Johanna traurig darüber.
Der Abend kam, ein stiller, süßer, heiterer Abend, voll Helligkeit und glücklichem Frieden. Nichts regte sich in Luft und Wasser. Diese unendliche Ruhe des Meeres und des Himmels teilte sich auch den Seelen mit, die keine Erregung störte.
Die Sonne sank langsam drüben nach dem unsichtbaren Afrika, dem Afrika, der glühenden Erde, deren Hauch man schon zu spüren meinte, nieder; aber ein frischer Luftzug, der daheim kaum ein Lüftchen gewesen Ware, traf das Gesicht, als das Gestirn untergegangen.
Sie wollten nicht in die Kajüte gehen, wo es nach allen unangenehmen Düften der Dampfboote roch, und streckten sich in die Mäntel gewickelt, Seite an Seite auf dem Verdeck aus. Julius schlief sofort ein, aber Johanna, die das Neue der Reise reizte und erregte, behielt die Augen offen. Das gleichmäßige Geräusch der Räder wiegte sie ein, und über sich sah sie Legionen von Sternen, klar und flimmernd an diesem reinen, südlichen Himmel.
Gegen Morgen nickte sie ein. Lärm und Stimmen weckten sie auf. Die Matrosen reinigten singend das Schiff. Sie weckte ihren unbeweglich schlafenden Mann und sie standen auf.
Gierig sog sie die salzige Seeluft ein, die sie durchströmte bis in die Fingerspitzen, überall war nur Meer, und doch dämmerte vorn etwas Großes, etwas noch Unbestimmtes im Licht des erwachenden Tages; etwas wie zusammengeballte Wolken, spitz und zersägt, schien auf der Flut zu liegen. Dann ward es deutlicher. Am hellen Himmel zeichneten sich die Formen immer mehr ab. Eine lange Kette von seltsamen, spitzen Bergen tauchte auf: Korsika im leichten Nebelschleier.
Und dahinter stieg die Sonne empor und zeichnete alle die Bergspitzen dunkel ab, dann begannen alle die Gipfel aufzuflammen, während der übrige Teil der Insel noch in den Dämpfen lag.
Der Kapitän, ein alter, kleiner Mann, dunkelbraun von Wind und Wetter, erschien auf Deck, und mit seiner, durch dreißig Jahre Kommandoton und durch das Schreien im Sturm, heiseren Stimme, sagte er zu Johanna:
– Riechen Sie das alte, brave Land?
Sie roch in der That einen fremdartigen, sonderbaren, starken Pflanzengeruch.
Der Kapitän fuhr fort:
– Das ist Korsika, das so riecht! Ein ganz eignes Parfüm, wie bei einer hübschen Frau! Wenn ich zwanzig Jahre nicht wieder hinkäme, erkennte ich’s auf fünf Meilen gleich wieder. Ich bin daher. Er da unten auf Sankt Helena spricht immer von dem Duft seines Heimatlandes. Er ist nämlich von meiner Familie.
Und der Kapitän zog den Hut, um Korsika zu grüßen und grüßte da drüben am Horizont den großen gefangenen Kaiser, der aus seiner Familie stammte.
Johanna war so bewegt, daß sie fast geweint hätte.
Julius stand neben seiner Frau, hielt sie um die Taille gefaßt, und beide blickten in die Weite, um Korsika zu sehen.
Endlich entdeckten sie ein paar Felsen in Pyramidenform, die das Schiff bald umkreiste, um in einen mächtigen Meerbusen einzulaufen, von einer Menge hoher Gipfel umgeben, deren Hänge mit Moos bedeckt schienen.
Der Kapitän deutete auf das Grün und sagte:
– Das ist das Dickicht.
Je näher sie dem Lande kamen, desto mehr schien sich der Kreis der Berge hinter dem Schiff zu schließen. Es schwamm langsam dahin in der blauen See, deren Flut so durchsichtig war, daß man ab und zu den Grund sah.
Und plötzlich erschien hinten im Hafen, am Ufer des Meeres und am Fuß der Berge, ganz weiß die Stadt.
Im Hafen lagen ein paar kleine, italienische Schiffe vor Anker. Vier oder fünf Boote kamen und umkreisten den »König Ludwig,« um seine Passagiere abzuholen.
Julius, der das Gepäck zusammen suchte, fragte leise seine Frau:
– Nicht wahr, wenn ich dem Stewart zwanzig Sous gebe, ist’s genug.
Seit acht Tagen fragte er immerfort in dieser Weise, und sie litt jedesmal darunter.
Ungeduldig antwortete sie:
– Wenn man nicht weiß, ob man genug giebt, giebt man lieber zu viel!
Immerfort stritt er sich mit Hotelbesitzern und Kellnern, mit Kutschern und allen Leuten, die etwas verkauften, und wenn er etwas abgehandelt hatte, sagte er jedesmal zu Johanna, indem er sich die Hände rieb:
– Ich mag nicht betrogen werden!
Sie zitterte immer, wenn die Rechnung kam, denn sie wußte schon, wie er über jeden einzelnen Ansatz seine Bemerkungen machte. Dieses Schachern und Feilschen demütigte sie, und sie ward dunkelrot unter dem verächtlichen Blick der Dienstboten, die ihrem Manne nachsahen, das unanständige, knappe Trinkgeld in der Hand. Und nun stritt er sich wieder mit dem Bootsführer, der sie ans Land brachte.
Der erste Baum, den sie sah, war eine Palme.
In einem großen, leeren Hotel, an der Ecke eines mächtigen Platzes, stiegen sie ab und ließen sich das Frühstück bringen.
Sobald sie fertig waren, und Johanna aufstehen wollte, um ein wenig durch die Stadt zu bummeln, nahm sie Julius beim Arm und flüsterte ihr zärtlich ins Ohr:
– Wollen wir nicht ein bißchen zu Bett gehen, Kleine?
Sie war erstaunt:
– Schlafen, aber ich bin nicht müde.
Er umschlang sie:
– Ich möchte gern, begreifst Du nicht? Zwei Tage schon…
Sie ward purpurn vor Scham und stammelte:
– Aber jetzt, was soll man denn von uns denken? Was sollen die Leute sagen? Du kannst doch nicht jetzt am hellenlichten Tag ein Zimmer verlangen, ich bitte Dich Julius …
Aber er fiel ihr ins Wort:
– Das ist mir ganz gleich, was die Leute im Hotel sagen und denken. Du wirst gleich sehen, wie schnuppe mir das ist. – Und er klingelte.
Sie sagte nichts mehr und schlug die Augen nieder, seelisch und körperlich empört über diesen unausgesetzten Wunsch ihres Mannes, sich immer nur mit Ekel ergebend, resigniert aber gedemütigt nachgebend, indem sie darin etwas Tierisches, Erniedrigendes, Schmutziges sah.
Ihre Sinne schliefen noch, und er behandelte sie, als hätte sie seine Gluten geteilt.
Als der Kellner kam, verlangte Julius, daß sie auf ihr Zimmer geführt würden. Der Mann, ein richtiger Korse, bärtig bis zu den Augen hinauf, verstand nicht und sagte, das Zimmer würde zur Nacht bereit sein.
Julius aber ward ungeduldig und erklärte:
– Nein, sofort, wir sind müde von der Reise und wollen uns ausruhen.
Da glitt ein Lächeln über das Antlitz des Bediensteten, und Johanna wäre am liebsten davon gelaufen.
Als sie eine Stunde später wieder herunterkamen, wagte sie kaum an den Leuten, die ihr begegneten, vorüber zu gehen, sie meinte sie müßten hinter ihrem Rücken lächeln und flüstern. Und sie trug es Julius innerlich nach, daß er sie nicht begriff, daß er nicht die feine Scham, nicht den Takt hatte; und zwischen sich und ihm fühlte sie wie einen Schleier, eine Kluft, indem sie zum ersten Male ahnte, daß zwei Menschen nie einander, bis in ihre Seele, bis in die Tiefe ihrer Gedanken erforschen, daß sie nebeneinander hergehen können, oft Arm in Arm, aber nie eins, und daß das Tiefste, Innerste eines jeden von uns im Leben doch ewig einsam bleibt.
Sie verweilten drei Tage in der kleinen Stadt, die in der Tiefe ihres blauen Golfes versteckt, im Schutz ihrer Bergwände, die niemals einen Windhauch hinein ließen, heiß war, wie ein Hochofen.
Dann wurde der Reiseplan festgesetzt, und um allen Schwierigkeiten gewachsen zu sein, entschlossen sie sich, Pferde zu mieten. Sie nahmen also zwei kleine, unermüdliche, korsische Hengste mit blitzenden Augen und machten sich eines Morgens bei Tagesanbruch auf den Weg.
Читать дальше