Sie war böse über diese Worte, aber unterwürfig und resigniert, wiederholte sie zum zweiten Male:
– Ich bin Dein!
Da verschwand er schnell im Toilettenzimmer, und sie hörte deutlich seine Bewegungen, das Ausziehen von Kleidern, das Klimpern von Geld in der Tasche und das Aufschlagen der Stiefel.
Und plötzlich kam er eilig in Unterbeinkleidern und Strümpfen durch das Zimmer, um seine Uhr auf den Kamin zu legen, dann kehrte er wieder um, lief in das kleine Nebenzimmer, kramte dort noch eine Weile, und Johanna warf sich schnell auf die andere Seite und schloß die Augen, als fühlte sie, daß er käme.
Sie duckte sich zusammen, als wollte sie aus dem Bett springen, als sich plötzlich gegen ihr Bein ein anderes kaltes behaartes Bein schob, und das Gesicht in den Händen, bereit zu schreien vor Angst und Entsetzen, rückte sie ganz weit hinein ins Bett.
Da nahm er sie in die Arme, obgleich sie ihm den Rücken kehrte und küßte wütend ihren Hals, die losen Spitzen ihres Nachthäubchens und den gestickten Kragen des Hemds. Sie bewegte sich nicht, ganz starr vor Schrecken, als sie eine kräftige Hand fühlte, die nach ihrer zwischen den Ellbogen versteckten Brust tastete. Bei dieser heftigen Bewegung atmete sie schnell, hatte Lust aufzuspringen, davon zu laufen durch das Haus, sich irgendwo einzuschließen, weit fort von diesem Mann.
Er bewegte sich nicht. Sie fühlte seine Wärme im Rücken, da ward ihr Entsetzen gelinder, und sie dachte plötzlich daran, daß sie nur sich umzudrehen brauchte, um ihn zu umarmen. Endlich schien er unruhig zu werden und sagte mit betrübter Stimme:
– Willst Du denn nicht meine kleine Frau sein?
Sie flüsterte zwischen den Fingern hindurch: – Bin ich es denn nicht schon? Er antwortete mit leisem Ton und einem Schimmer von Unwillen:
– Aber nein, mein Kind, Du machst Dich ja lustig über mich.
Sie war ganz erschrocken über den unzufriedenen Ton seiner Stimme, und plötzlich drehte sie sich zu ihm um, ihn um Verzeihung zu bitten. Er umschlang sie heftig, heißhungrig, und mit schnellen Küssen, mit beißend wütenden Küssen bedeckte er ihr Gesicht und ihren Hals, indem er sie erstickte in Zärtlichkeiten. Sie hatte die Hände geöffnet und blieb wie tot bei seinem Angriff. Sie wußte nicht mehr, was sie that, was er that, ihr war, als wären ihr die Sinne geschwunden.
Was darauf geschah? Sie hatte kaum eine Erinnerung daran, denn sie war wie besinnungslos. Es war ihr nur, als überhäufte er ihre Lippen mit dankbaren Küssen. Dann sprach er mit ihr und sie antwortete. Dann näherte er sich ihr wieder, aber sie stieß ihn mit Entsetzen zurück und endlich, müde der vergeblichen Anstrengungen, blieb er unbeweglich auf dem Rücken liegen.
Da dachte sie nach. Sie sagte sich, verzweifelt bis in die Tiefen ihrer Seele, ernüchtert nach einem so ganz anders geträumten Rausch, nach einer süßen Erwartung, die sie getragen, nach einer Glückseligkeit, die zerstört war: – Das nennt er seine Frau sein! Das! Das!
Und verzweifelt blieb sie lange so liegen, indem sie die Blicke über die Tapeten gleiten ließ, über die alte Liebeslegende an den Wänden ihres Zimmers.
Aber als Julius nichts mehr sprach und sich nicht mehr bewegte, wandte sie den Blick langsam zu ihm und sah, daß er schlief. Er schlief mit halboffnem Munde und ruhigen Zügen. Er schlief!
Sie konnte es nicht glauben. Sie fühlte sich empört, fast mehr dadurch beleidigt, daß er schlief, als durch seine Roheit. Konnte er in solcher Nacht schlafen?
Was zwischen ihnen geschehen war, war also nichts Besonderes für ihn. Ach, es wäre ihr lieber gewesen, er hätte sie geschlagen, überwältigt, mit verhaßten Liebkosungen gequält, bis zur Bewußtlosigkeit.
Unbeweglich auf einen Arm gestützt, zu ihm geneigt, blieb sie so und hörte zwischen seinen Lippen den Atem gehen, der manchmal wie Schnarchen klang.
Es ward Tag, zuerst trübe, dann heller, dann rosenjarben, dann leuchtend hell.
Julius schlug die Augen auf, gähnte, reckte die Arme, blickte seine Frau an, lächelte und fragte:
– Hast Du gut geschlafen, liebes Kind?
Sie antwortete:
– Jawohl, und Du?
Er sagte:
– Ganz ausgezeichnet! Dann wandte er sich zu ihr, küßte sie und fing an, ruhig zu schwatzen.
Er setzte ihr seinen Lebensplan auseinander, sprach etwas von Sparsamkeit, und da dies Wort sich öfters wiederholte, verwunderte dies Johanna. Sie hörte ihm zu, ohne eigentlich recht zu verstehen, was er da sagte, blickte ihn an, dachte plötzlich an tausend Dinge, die geschehen, und die ihr kaum recht zu Sinn gekommen.
Es schlug acht Uhr. – O wir müssen aufstehen, wir würden uns lächerlich machen, wenn wir so lange liegen blieben.
Er stand zuerst auf; als er sich angezogen hatte, half er artig seiner Frau bei allen Einzelheiten ihres Anzugs und erlaubte nicht, daß sie Rosalie rief.
Johanna zeigte sich erst zum Frühstück, und der Tag verstrich wie gewöhnlich, als ob nichts Neues geschehen wäre. Es war nur ein Mensch mehr im Hause.
Inhaltsverzeichnis
Vier Tage später kam der Reisewagen, der sie nach Marseille bringen sollte.
Nach den Ängsten des ersten Abends hatte sich Johanna schon an Julius gewöhnt, an seine Küsse, an seine Zärtlichkeiten, obgleich ihr Widerwille bei ihren intimen Berührungen sich noch nicht gemindert.
Sie fand ihn hübsch und sie liebte ihn ja; sie ward wieder heiter und glücklich:
Das Abschiednehmen war kurz und ohne Trauer, nur die Baronin schien bewegt zu sein, und im Augenblick, wo der Wagen sich in Bewegung setzte, legte sie einen großen Geldbeutel, der schwer war wie Blei, in die Hände der Tochter, mit den Worten:
– Das ist für Deine kleinen Ausgaben als junge Frau.
Johanna that ihn in ihre Handtasche, und die Pferde zogen an.
Gegen Abend frug Julius:
– Wie viel hat Dir denn Deine Mutter in diesem Geldbeutel gegeben?
Sie dachte nicht mehr daran und schüttete ihn auf ihrem Schoß aus. Ein Goldstrom ergoß sich: zweitausend Franken! Sie klatschte in die Hände: – Davon mache ich aber Dummheiten. – Und damit schloß sie das Geld wieder ein.
Nach achttägiger Fahrt in fürchterlicher Hitze kamen sie in Marseille an.
Und am andern Tag trug sie der »König Ludwig,« ein kleiner Dampfer, der nach Neapel fuhr und in Ajaccio anlegte, nach Korsika.
Korsika! Das Korsika der Dichter, der Räuber, der Berge! Die Heimat Napoleons! Es schien Johanna, als wäre sie nicht mehr in der Wirklichkeit, sondern in wachem Traum.
Seite an Seite standen sie auf dem Deck und sahen die Küsten der Provence verschwinden. Das Meer streckte sich unbeweglich wie erstarrt, in tiefem Azur, wie gehärtet von dem glühenden Sonnenlicht, unter dem unendlichen Himmel aus, in einem Blau, das fast übertrieben schien.
Sie sagte:
– Erinnerst Du Dich noch an unsre Bootfahrt mit dem alten Lastique?
Statt zu antworten, küßte er sie schnell aufs Ohr.
Die Räder des Dampfers peitschten das Wasser und störten seinen tiefen Schlaf, und hinter ihnen zog eine Schaumspur, eine lange, bleiche Straße hin, in der das aufgewirbelte Wasser wie Champagner moussierte, bis sich die Kielspur des Schiffes ganz in der Ferne verlor.
Plötzlich sprang am Vorderteile, nur ein paar Klafter entfernt, ein Riesenfisch, ein Delphin, aus dem Wasser. Dann schoß er, den Kopf voran, wieder ins Wasser. Johanna war ganz erschrocken, schrie auf und barg sich an Julius’ Brust. Darauf lächelte sie über ihre Angst und beobachtete ängstlich, ob das Tier nicht wieder erschien. Nach ein paar Minuten schoß es wieder hervor, wie ein großes, aufgezogenes Spielzeug mit Uhrwerk, dann tauchte es wieder unter, kam von neuem an die Oberfläche, darauf erschienen zwei, dann drei, endlich sechs, die um das schwere Schiff herum zu hüpfen schienen, als ob sie ihren mächtigen Bruder, den hölzernen Fisch mit eisernen Flossen, begleiten wollten.
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