Ein Führer auf einem Maultiere begleitete sie und trug die Vorräte, denn in diesem wilden Lande giebt es keine Wirtshäuser.
Zuerst folgte die Straße dem Hafen und verschwand dann in einem nicht sehr tiefen Thal, das zu den hohen Bergen führte. Manchmal kamen sie durch fast ausgetrocknete Gebirgsbäche, nur der letzte Rest eines Wässerchens sickerte noch unter den Steinen wie ein verstecktes Tier und gluckste leise.
Das unbebaute Land schien ganz kahl zu sein, die Abhänge waren mit hohem Gras bedeckt, das in dieser heißen Jahreszeit ganz gelb geworden. Ab und zu begegnete man einem Gebirgsbewohner, sei es zu Fuß, sei es auf seinem kleinen Pferde, oder seitwärts sitzend auf einem kleinen Esel, der nicht größer war, wie ein Hund. Alle trugen ein geladenes Gewehr auf dem Rücken, alte, verrostete Waffen, aber doch furchtbar in ihrer Hand.
Der scharfe Geruch der aromatischen Pflanzen, mit denen die Insel bedeckt ist, schien die Luft zu verdicken.
Die Straße folgte langsam steigend in langen Windungen dem Berge. Die Gipfel aus rotem oder bläulichem Granit gaben der Gegend etwas Märchenhaftes, und an den niedrigeren Hängen sahen die riesigen Kastanienwälder aus, wie kleine, grüne Gebüsche, so gewaltig sind hier die Höhenverhältnisse.
Ab und zu streckte der Führer gegen die zerrissenen Berge die Hand aus und nannte einen Namen. Johanna und Julius blickten hin, sahen nichts Besonderes, bis sie endlich etwas Graues entdeckten, wie einen Steinhaufen, der vom Gipfel abgebröckelt zu sein schien. Es war ein Dorf, eine kleine, granitene Ortschaft, die dort oben lag, angeklebt wie ein richtiges Vogelnest, an den riesigen Bergen fast verschwindend.
Das lange Schrittreiten machte Johanna fast ungeduldig. – Wir wollen etwas schneller reiten, sagte sie und trieb ihr Pferd an; aber als sie ihren Mann nicht neben sich galoppieren hörte, drehte sie sich um und fing sofort laut an zu lachen, als sie ihn in langen Sätzen herankommen sah, totenbleich, die Hände in der Mähne des Pferdes fest gekrallt. Bei seinem guten Aussehen, seiner schönen ritterlichen Gestalt, war seine Ungeschicklichkeit und Angst um so komischer. Da fingen sie an langsam zu traben, der Weg führte jetzt zwischen zwei unendlichen Reihen von Buschwerk dahin, die gleich einem Mantel die ganzen Berge bedeckten. Das war das korsische Dickicht, jenes undurchdringliche Dickicht, gebildet aus Eichen-, Wachholder-, Erdbeerbüschen, Mastiks, Alaternen, Laichkraut, Lorbeer-, Myrten-und Buchsbäumen, die in einander gewachsen, sich wie Haare verwirrten. Dazu Waldreben und riesige Farrenkräuter, Jelänger-Jelieber, Rosmarin, Dornen und Dornengestrüpp, die die Bergrücken mit undurchdringlicher Decke überzogen.
Sie hatten Hunger. Der Führer holte sie ein und brachte sie an eine jener reizenden Quellen, die in diesen zerklüfteten Bergen so häufig sind. Ein schmaler, eisigkalter Wasserstrahl, der aus einem kleinen Felsspalt brach und über ein Kastanienblatt lief, das irgend ein Vorübergehender dahin gelegt, um die kleine Quelle bequem bis in den Mund des Durstigen zu leiten, erquickte sie.
Johanna fühlte sich so glücklich, daß sie an sich halten mußte, um nicht laut aufzujubeln.
Sie setzten ihren Ritt fort und den Golf von Sagone umkreisend, stiegen sie wieder hinab.
Gegen Abend kamen sie durch Cargese, ein griechisches Dorf, das einst Flüchtlinge gegründet, die aus ihrem Vaterland Vertrieben worden. An einem Brunnen standen große, schöne, schlanke Mädchen mit länglichen Händen, seiner Taille, wundervoll graziös. Julius rief ihnen guten Abend zu. Sie antworteten in singendem Ton in der harmonischen Sprache ihres ehemaligen Vaterlandes.
Als sie nach Piana kamen, mußten sie in einem Hause um Gastfreundschaft bitten, wie in alten Zeiten und in einsamen Gegenden. Johanna zitterte vor Freude, während sie warteten, bis die Thür sich öffnete, an welche Julius geklopft. Ja, das war einmal eine Reise mit allen Überraschungen unentdeckter Straßen.
Sie kamen gerade zu einem jungen Ehepaar. Man empfing sie, wie wohl einst die Patriarchen den von Gott gesandten Gast empfingen. Sie schliefen auf einer Schütte Mais in dem alten, baufälligen Hause, in dessen Gebälk die Bohrwürmer ihre langen Gänge zogen, so daß es schien, als ob das ganze Haus lebte und atmete.
Bei Tagesanbruch brachen sie auf und befanden sich bald vor einem Wald, einem wirklichen Wald von rotem Sandstein; da standen Spitzen, Säulen, Kirchtürme, wundersame Gestalten die der Zahn der Zeit, der nagende, rüttelnde Sturm, die Seeluft aus den Felsen gefressen hatten.
Diese wundersamen Felsgebilde waren bis zu dreihundert Meter hoch, schmal, abgerundet, schlank, gewunden, ungestalt, phantastisch und seltsam. Sie glichen Bäumen, Pflanzen, Tieren, Monumenten, Menschen, Mönchen in langen Gewändern, gehörnten Teufeln, riesigen Vögeln, eine ganze Welt von Spuk-Gestalten, die irgend eine eigenwillige Gottheit in Stein verwandelt.
Johanna sprach nicht mehr, ihr war das Herz beklommen. Sie nahm Julius Hand, drückte sie, im Bedürfnis, jemand zu fühlen und zu lieben angesichts der Schönheit der Natur.
Und plötzlich, als sie aus diesem Chaos traten, lag ein neuer Meerbusen vor ihnen, rings von blutroter Granitwand eingerahmt.
Im blauen Meer spiegelten sich die scharlachnen Felsen. Johanna stammelte:
– O Julius!
Sie fand keine anderen Worte, sie war ganz weich vor Bewunderung, die Kehle ihr wie zugeschnürt. Zwei Thränen standen in ihren Augen. Er sah sie erstaunt an und fragte:
– Was hast Du denn, Kindchen?
Sie wischte die Wangen, lächelte und sagte mit leise bebender, zitternder Stimme:
– Nichts! Ich bin nervös, ich weiß nicht, es hat mich so gepackt! Ich bin so glücklich, daß mir die geringste Sache solchen Eindruck macht!
Er begriff diese weibliche Nervosität nicht, die zitternden Stimmungen, die durch ein nichts in Schwingung gebracht werden und die der Enthusiasmus packt wie eine Katastrophe, die ein unbestimmter Eindruck aus Rand und Band bringt, vor Freude wie Verzweiflung.
Diese Thränen erschienen ihm lächerlich, und nur mit dem schlechten Weg beschäftigt, sagte er:
– Paß lieber auf Dein Pferd auf!
Auf beinahe ungangbarem Pfade stiegen sie zum Golf herab, dann wandten sie sich rechts, um das dunkle Thal Ota zu durchschreiten.
Aber der Weg war beschwerlich. Julius schlug vor:
– Wir wollen doch zu Fuß hinauf. – Sie war einverstanden, sie freute sich mit ihm allein zu sein nach der eben durchgemachten Gemütsbewegung.
Der Führer ging mit den Pferden voran, und sie folgten langsam.
Der Berg war gespalten von oben bis unten, der Weg führt in diese Kluft hinein, zwischen zwei gewaltigen Mauern hin, und ein Gebirgsstrom braust daneben. Eisig ist die Luft, der Granit scheint ganz schwarz und, daß man oben einen schmalen Streifen vom blauen Himmel sieht, setzt ganz in Staunen.
Plötzlich klang ein Rauschen, und Johanna fuhr zusammen. Sie blickte auf, ein Riesenvogel flog aus einem Spalt. Es war ein Adler. Seine ausgebreiteten Schwingen schienen die beiden Seitenwände zu berühren, und er stieg zum Himmel empor, wo er verschwand.
Weiter oben teilte sich der Riß im Berge, zwischen den beiden Schluchten führte der Weg im steilen Zick-Zack empor. Johanna eilte leichten Fußes voraus, unter ihren Füßen rollten die Steine, und furchtlos beugte sie sich über den Abgrund. Er folgte ihr außer Atem, den Blick zu Boden gesenkt, weil er fürchtete, schwindlig zu werden.
Plötzlich überflutete sie die Sonne, daß sie meinten aus der Hölle zum Himmelslichte emporzusteigen. Sie hatten Durst, und eine feuchte Spur zeigte ihnen durch ein Steinlabyrinth den Weg zu einer winzigen Quelle, die ein Stück durch einen gehöhlten Baumstamm geleitet war, zum Gebrauch der Hirten. Rings wuchs dichtes Moos. Johanna kniete nieder, um zu trinken, und Julius folgte ihrem Beispiel.
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