Der Ortsvorstand, der mit seinem Messer den Takt schlug, rief:
– Jesses nochmal, das ist aber fein heute. So etwa, wie die Hochzeit von Kanaak.
Ersticktes Gelächter erscholl. Aber Pfarrer Picot, ein geschworener Feind der staatlichen Obrigkeit, entgegnete:
– Sie meinen, Kana!
Der andere wollte davon nichts wissen:
– Ne, Herr Pfarr’, ich verschtehe schon, wenn ich Kanaak sage, is ‘s äm Kanaak!
Man stand auf, ging in den Salon, dann mal wieder zu der angetrunkenen Menge draußen, und endlich zogen sich die Gäste zurück.
Der Baron und die Baronin hatten leise einen Streit mit einander. Madame Adelaide, mehr außer Atem, denn je, schien das nicht thun zu wollen, was der Baron von ihr verlangte. Endlich sagte sie fast laut:
– Nein lieber Freund, das kann ich nicht, ich wüßte wirklich nicht, wie ich das anfangen sollte.
Da ließ sie Papachen plötzlich stehen und ging zu Johanna:
– Kleine, wir wollen mal ein bißchen mit einander spazieren gehen.
Sie antwortete ganz ernst:
– Wie Du willst Papa. – Und sie gingen hinaus. Sobald sie draußen vor der Thür waren auf der Seite nach dem Meer zu, blies ihnen ein trockener Wind, einer jener Sommerwinde, die schon etwas vom Herbst an sich haben, entgegen.
Wolken jagten über den Himmel, bedeckten die Sterne und enthüllten sie dann wieder.
Der Baron preßte den Arm seiner Tochter an sich und drückte ihr zärtlich die Hand. Sie gingen ein paar Minuten so dahin, er schien verlegen und unentschlossen, endlich entschied er sich, zu beginnen.
– Mein kleines Hannchen, ich habe eine schwierige Pflicht zu erfüllen, die eigentlich der Mama zukommt, aber da sie nicht will, so muß ich es eben thun. Ich weiß nicht, was Du von den Dingen der Existenz weißt; es giebt Sachen, die man den Kindern sorgfältig verbirgt, vor allem den Mädchen. Mädchen, die reinen Geistes bleiben sollen, von tadelloser Unberührtheit bis zur Stunde, da wir sie dem Manne geben, der für ihr Glück zu sorgen hat.
Er zuerst soll den Schleier lüften, der über das süße Geheimnis des Lebens gebreitet liegt. Aber, wenn noch nie ein Gedanke an derartiges die jungen Mädchen berührt hat, werden sie sich oft durch die etwas brutale Wirklichkeit, die hinter diesen Träumen verborgen liegt, verletzt fühlen, sogar körperlich verletzt, und ihrem Gemahl verweigern, was das Gesetz, menschliches wie natürliches, ihm als sein gutes Recht zuspricht. Liebes Kind, ich kann Dir nicht mehr sagen, aber vergiß nur das eine nicht, daß Du Deinem Manne ganz und gar gehörst.
Was wußte sie wohl? Was ahnte sie? Sie fing an zu zitttern. Eine bedrückende, schmerzliche Melancholie überfiel sie, beinahe wie ein Vorgefühl.
Sie gingen wieder hinein. An der Thür des Salons wartete ihrer eine Überraschung. Frau Adelaide schluchzte an Julius’ Brust. Der geräuschvolle Thränenausbruch, der ihr entströmte, schien ihr zu gleicher Zeit aus Nase, Mund und Augen zu kommen, und der junge Mann stützte linkisch und verlegen, die dicke Frau, die sich in seine Arme geworfen, um ihm die geliebte, süße, angebetete, kleine Tochter ans Herz zu legen.
Der Baron trat hinzu: – Aber bitte, nur keine Szene jetzt, keine Weichheit.
Er nahm seine Frau, drückte sie in ihren Stuhl, während sie sich das Gesicht wischte. Dann wandte er sich zu Johanna:
– Nun küß mal schnell die Mama und dann geh schlafen.
Selbst den Thränen nahe, umarmte sie ihre Eltern und entfloh.
Tante Liese hatte sich schon auf ihr Zimmer zurückgezogen. Der Baron und Julius blieben mit der Baronin allein, und sie waren alle drei so verlegen, die beiden Männer im Frack dastehend und nicht wissend, wohin sie blicken sollten, Frau Adelaide immer noch wortlos schluchzend, in den Stuhl hingegossen. Als die Verlegenheit unerträglich ward, fing der Baron an, von der Reise zu sprechen, die die jungen Leute in ein paar Tagen antreten sollten.
Johanna ließ sich in ihrem Zimmer von Rosalie entkleiden, der auch die Thränen nur so herunter liefen, und die umhertastenden Hände trafen weder die Senkel noch die Nadeln, und sie schien noch bewegter zu sein, als ihre Herrin. Aber Johanna dachte kaum an die Thränen ihres Mädchens. Ihr schien, als wäre sie auf einer andern Welt, auf einem andern Gestirn, getrennt von allem was sie kannte, von allem was sie geliebt. Ihr ganzes Leben, ihr ganzes Denken schien ihr umgestürzt, und sie stellte sich sogar die seltsame Frage: »Liebte sie eigentlich ihren Mann?« Er erschien ihr plötzlich wie ein Fremder, den sie kaum kannte. Vor drei Monaten noch wußte sie nicht, daß er überhaupt existierte, – und jetzt? Jetzt war sie seine Frau! Wozu das? Warum so schnell in die Ehe stürzen, wie in ein Loch, das sich vor unsren Füßen aufgethan.
Sobald sie im Nachtgewand war, legte sie sich zu Bett, und das etwas frische Laken, das ihre Haut erschauern ließ, fügte noch ein Gefühl von Kälte zu dem der Einsamkeit und Traurigkeit hinzu, das seit zwei Stunden auf ihrer Seele lastete.
Immer noch weinend lief Rosalie davon, und Johann wartete. Sie erwartete ängstlich mit verzagtem Herzen jenes unbestimmt erratene und durch die verlegenen Worte des Vaters angekündigte, geheimnisvolle große Geheimnis der Liebe.
Ohne daß sie gehört hatte, daß jemand die Treppe herauf gekommen, klopfte es dreimal leise an die Thür. Sie zitterte entsetzlich und antwortete nicht. Man klopfte wieder, dann knarrte das Schloß. Sie versteckte den Kopf unter den Decken, als ob ein Dieb eingedrungen wäre. Leise klangen Stiefel auf dem Parquet, und plötzlich berührte etwas ihr Bett.
Sie bekam einen nervösen Schreck und stieß einen leisen Schrei aus, und als sie den Kopf unter der Decke hervor streckte, sah sie Julius vor sich stehen, der sie anblickte.
– Du hast mich so erschreckt, sagte sie.
Er gab zurück:
– Du erwartetest mich also nicht?
Sie antwortete nicht. Er war im Frack, und sah hübsch aus mit seinem ernsten Gesicht. Sie empfand eine fürchterliche Scham, vor diesem so tadellos angezogenen Mann so dazuliegen.
Sie wußten nichts zu sagen oder zu thun, und in dieser ernsten, entscheidenden Stunde, von der das geheime Glück des ganzen Lebens abhing, wagten sie es nicht einmal, sich anzusehen.
Er fühlte vielleicht unbestimmt, welche Gefahr in diesem Kampfe liegt und welch starke Selbstbeherrschung, welch geschickte Zärtlichkeit nötig war, um die feine Scham und alle die zarten Gefühle einer jungfräulichen, von Träumen erfüllten Seele nicht zu verletzen.
Da nahm er behutsam ihre Hand und küßte sie, er kniete vor ihrem Bett, wie vor einem Altar, nieder und sagte kaum hörbar:
– Willst Du mich lieb haben?
Sie war plötzlich beruhigt und hob vom Kopfkissen ihr spitzenumgebenes Köpfchen, indem sie lächelte:
– Ich liebe Dich ja schon, Du lieber Freund!
Er legte die kleinen, feinen Finger seiner Frau an seinen Mund und sprach mit, durch diesen Knebel gedämpfter Summe:
– Willst Du mir auch beweisen, daß Du mich liebst?
Sie antwortete wieder ganz verwirrt, ohne recht zu verstehen, was sie sagte, und indem sie der Worte ihres Vaters gedachte:
– Ich bin Dein, lieber Freund!
Er bedeckte ihre Hand mit feuchten Küssen, stand langsam auf und näherte sich ihrem Gesicht, das sie wieder zu verstecken suchte.
Plötzlich griff er über das Bett hinüber, umarmte seine Frau über der Decke, wahrend der andere Arm unter das Kopfkissen glitt. Er hob es mit ihrem Kopf und fragte ganz leise:
– Willst Du mir dann ein wenig Platz an Deiner Seite machen?
Sie hatte Angst, eine instinktive Angst, und stammelte:
– O bitte noch nicht.
Er schien enttäuscht zu sein, etwas erkältet, und begann wieder, zwar noch in bittendem Ton, aber dringender:
– Warum später, wenn wir es doch schließlich thun?
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