Zuckte es ihr nicht in den Fingern? Waren die Gefühle ihres Herzens nicht durch ihre Adern gelaufen, und bis zum Herzen ihres Nachbars gedrungen?
Spürte er etwas? Ahnte er etwas? War auch über ihn etwas, wie ein Rausch von Liebe gekommen? Oder wußte er nur aus Erfahrung, daß ihm kein Weib widerstand?
Plötzlich bemerkte sie, daß er ihre Hand drückte, zuerst langsam, dann stärker, immer stärker, als wollte er sie zermalmen, und ohne daß seine Züge sich dabei veränderten, ohne daß jemand etwas davon merkte, sagte er, ja er sagte es wahrhaftig ganz deutlich:
– Ach, Johanna, wenn Sie wollten, könnte das unsre Verlobung sein.
Sie senkte den Kopf mit langsamer Bewegung, die vielleicht ›ja‹ bedeutete, und vom Priester her, der noch immer bas Boot mit Weihwasser besprengte, spritzten ein paar Tropfen auf ihre Finger.
Es war zu Ende, die Frauen standen auf, und in unordentlichem Durcheinander strömte die Menge zurück. Das Kreuz, das der Chorknabe trug, hatte seine Würde verloren; es zog jetzt schnell dahin, rechts und links hin und herschwankend, oder so weit vornübergebeugt, als wollte es beinahe zu Boden fallen.
Der Priester, der nicht mehr betete, lief hinterdrein. Die Chorsänger, der Serpentbläser waren in einer Seitengasse verschwunden, um sich schneller zurück zu ziehen, und die Seeleute gingen eilig in Trupps zusammen.
Derselbe Gedanke, der Gedanke an das Essen, beschleunigte ihren Schritt, daß ihnen das Wasser im Munde zusammen lief und ihnen der Magen knurrte.
Ein gutes Frühstück erwartete sie im Schloß »Les Peuples«.
Unter dem Apfelbaum war ein großer Tisch aufgestellt, an dem sechzig Personen, Fischer und Bauern, Platz nahmen. Die Baronin saß in der Mitte, rechts und links die beiden Pfarrer, der von Yport und der von Les Peuples. Ihr gegenüber hatte der Baron Platz genommen, zwischen dem Ortsvorstand und dessen Frau, einer magern, schon bejahrten Bäuerin, die nach allen Seiten den Leuten zunickte.
Sie hatte ein schmales Gesicht, das von ihrer großen, normannischen Mütze eingerahmt ward, wie der Kopf eines Huhnes von Weißen Federn, und runde, erstaunt umherblickende Augen. Sie aß hastig in kleinen Bissen, als ob sie mit der Nase ihr Essen vom Teller aufpickte.
Johanna saß an der Seite des Paten in glückliche Träume versunken. Sie sah nichts um sich herum, sie wußte von nichts. Das Glück machte sie stumm.
Dann fragte sie ihn:
– Wie heißen Sie mit Vornamen?
Er sagte:
– Julius! Wußten Sie es nicht?
Aber sie antwortete nicht und dachte nur heimlich: »Wie oft werde ich noch diesen Namen sagen!«
Sobald die Mahlzeit beendet war, ließ man die Seeleute auf dem Hof allein und begab sich auf die andere Seite des Schlosses. Die Baronin machte ihre Übung auf den Arm des Barons gestützt, von den beiden Priestern begleitet. Johanna und Julius gingen in den Park hinaus und verloren sich in den kleinen Wegen; plötzlich nahm er ihre Hand:
– Wollen Sie meine Frau werden?
Sie hielt den Kopf gesenkt, aber als er stammelte:
– Bitte, bitte, antworten Sie – schlug sie ganz langsam zu ihm die Augen auf, und er las die Antwort in ihren Blicken.
Inhaltsverzeichnis
Eines Morgens trat der Baron in Johannas Zimmer ehe sie noch aufgestanden, und sagte, indem er sich am Fußende des Bettes niederließ:
– Vicomte von Lamare hat uns um Deine Hand gebeten.
Sie wollte ihr Antlitz unter der Decke verstecken. Ihr Vater fuhr fort:
– Wir haben gesagt, wir würden ihm nachher die Antwort geben.
Sie konnte vor Bewegung keinen Atem bekommen. Nach einer Minute fügte der Baron lächelnd hinzu:
– Wir wollten nichts thun, ohne Dich erst zu fragen. Mama und ich haben nichts gegen diese Heirat, aber wir wollen Dich nicht etwa dazu überreden. Du bist viel reicher als er, aber wenn es sich um das Lebensglück handelt, spielt das Geld keine Rolle. Er hat keine Verwandten mehr, wenn Du ihn also heiratetest, so würden wir einen Sohn in die Familie bekommen, während Du bei einem andern als unsre Tochter in eine fremde Familie treten würdest! Der junge Mann gefällt uns. Glaubst Du, daß er Dir auch gefallen könnte?
Sie stammelte, bis zu den Haarwurzeln hinauf errötend:
– Ich will, Papa?
Und Papachen flüsterte, indem er ihr immer lächelnd in die Augen blickte:
– Das haben wir geahnt, mein Fräulein.
Bis zum Abend brachte sie die Zeit hin, als wäre sie trunken. Sie wußte nicht, was sie that. Mechanisch nahm sie ein Ding nach dem andern vor und fühlte sich wie zerschlagen vor Müdigkeit, ohne daß sie einen Schritt gegangen.
Gegen sechs Uhr, als sie mit Mutting unter der Platane saß, kam der Vicomte.
Johannas Herz fing stürmisch an zu schlagen. Der junge Mann trat auf sie zu, er schien nicht erregt zu sein. Als er vor ihnen stand, nahm er die Finger der Baronin und küßte sie, dann zog er die zitternde Hand des jungen Mädchens an die Lippen und drückte einen langen, zärtlichen Kuß darauf.
Und die glückselige Zeit des Brautstandes begann. Sie flüsterten allein miteinander in den Ecken des Salons oder saßen im Park am Grabenrande, vor ihnen die wilde Haide. Manchmal gingen sie in Muttings Allee spazieren, er sprach ihr von der Zukunft, während sie auf die staubige Spur des nachschleppenden Fußes der Baronin blickte.
Nachdem die Sache nun einmal entschieden, wollte man auch alles schnell seinen Gang gehen lassen. Sie kamen überein, daß die Hochzeit in sechs Wochen, am 15. August stattfinden, und das junge Paar sofort auf die Hochzeitsreise gehen sollte. Johanna wurde gefragt, nach welchem Land sie reisen wollte, und sie entschied sich für Korsika, wo man mehr für sich sein würde, als in den italienischen Städten.
Ohne zu große Ungeduld erwarteten sie den Augenblick, aber sie fühlten sich voll köstlicher Zärtlichkeit und reinsten Glückes, und sie genossen den wundersamen Reiz unschuldiger Liebkosungen, eines Händedrucks, eines so langen, leidenschaftlichen Blickes, daß die Seelen sich zu mischen schienen und der unbestimmte Wunsch, ganz ineinander aufzugehen, sie dabei quälte.
Es wurde beschlossen, niemanden zur Hochzeit einzuladen als Tante Liese, die Schwester der Baronin, die in einem Kloster in Versailles als Pensionärin lebte.
Nach dem Tode ihres Vaters hatte die Baronin die Schwester bei sich behalten wollen, aber die alte Jungfer hatte die fixe Idee, daß sie allen Menschen zur Last fiele, daß sie unnütz wäre und im Weg, und zog sich in eines jener Klöster zurück, die alleinstehenden Leuten gegen Bezahlung eine Heimstätte gewähren.
Ab und zu brachte sie einmal vier Wochen oder zwei Monate in der Familie zu. Sie war ein kleines Dämchen, das wenig sprach, sich immer zurückzog, nur zu den Mahlzeiten erschien, dann auf ihr Zimmer ging, wo sie sich immerfort einsperrte.
Sie sah gutmütig und etwas ältlich aus, obgleich sie nur zweiundvierzig Jahre zählte. Ihr Auge hatte etwas Weiches und Trauriges, sie hatte nie in der Familie etwas gegolten. Als sie ganz klein war, hatte man sie kaum geliebkost, sie war nicht hübsch, nicht ausgelassen, still und sanft hielt sie sich bei Seite. Das war an ihr hängen geblieben, und auch als junges Mädchen kümmerte sich niemand um sie. Sie war wie ein Schatten, ein Hausstück, ein lebendiges Möbel, das man gewohnt ist, täglich zu sehen, ohne daß man sich weiter darum kümmert. Ihre Schwester betrachtete sie, wie sie es im väterlichen Hause gewohnt gewesen, als ein Geschöpf ohne jede Bedeutung, das seine Existenz verfehlt hat, sie ward mit rücksichtsloser Familiarität behandelt, worunter sich eine Art wegwerfender Güte verbarg. Sie hieß Lieschen, und dieser jung und geziert klingende Name schien sie zu stören. Als man merkte, daß sie keinen Mann fand und wohl nie einen finden würde, ward aus Lieschen Liese. Seitdem Johanna geboren worden, war sie »Tante Liese« geworden, eine bescheidene, nette, furchtbar schüchterne Verwandte, die selbst gegen ihre Schwester und ihren Schwager so war, obgleich die beiden sie liebten, aber doch mit ziemlich oberflächlicher Zuneigung, die aus gleichgiltiger Zärtlichkeit bestand, aus unbewußter Sympathie und aus natürlicher Güte.
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