– Die beiden geben ein ganz gutes Paar.
In einem kleinen Wirtshaus am Strande wurde gefrühstückt. Es war reizend. Der Ozean verschlang Stimme und Gedanken, sodaß sie unterwegs geschwiegen hatten. Bei Tisch fingen sie nun an zu sprechen und schwatzten wie die Kinder in den Ferien.
Die einfachsten Dinge machten ihnen den ungeheuersten Spaß. Der alte Lastique steckte sorgfältig, als er sich zu Tisch setzte, die noch immer rauchende und dampfende Pfeife in seine Wollmütze. Und man lachte. Eine Fliege, die seine rote Nase wahrscheinlich angelockt, ließ sich ein paarmal darauf nieder, und als er sie mit einer Handbewegung, die zu langsam war, um sie fangen zu können, weggejagt, setzte sie sich auf die Mousselingardine, die schon viele ihrer Schwestern beschmutzt, und schien gierig die rote Nase des Matrosen zu begucken, denn sofort flog sie wieder auf, um sich darauf von neuem niederzulassen.
Bei jedem Herannahen des Insekts lachten sie wie toll, und als der Alte, den die ewige Krabbelei ärgerte, brummte: »Die ist aber verflucht zäh!« lachten Johanna und der Vicomte beinahe Thränen, wanden sich nur so und preßten die Serviette vor den Mund um nicht laut zu kreischen.
Sobald sie den Kaffee getrunken hatte, sagte Johanna:
– Wir wollen doch ein wenig spazieren gehen!
Der Vicomte stand auf, aber der Baron wollte lieber noch ein bißchen am Strande in der Sonne nicken:
– Geht nur Kinder, ihr findet mich in einer Stunde hier wieder.
Sie gingen geradwegs zwischen den paar Häusern am Strande hindurch. Nachdem sie an einem kleinen Schlößchen vorüber gekommen; das wie ein großer Pachthof aussah, befanden sie sich in einem offenen Thale, das sich vor ihnen erstreckte.
Die Bewegung der See hatte sie ermattet und ihr gewöhnliches Gleichgewicht gestört, die frische Salzluft hatte sie hungrig gemacht, das Frühstück sie dann wieder heiter gestimmt und die Heiterkeit sie ganz schwach gemacht. Jetzt waren sie zu allem aufgelegt und hatten Lust, wie toll durch die Felder zu laufen. Johanna summte es in den Ohren von all den ungewohnten Eindrücken.
Glühend fielen die Sonnenstrahlen auf sie herab. Zu beiden Seiten der Straße bogen sich die reifen Saaten unter der Hitze. Die Grashüpfer, zahlreich wie Grashalme, zirpten, sodaß man im Getreide, in den Binsen und an der Küste ihren betäubenden, schrillen Schrei hörte.
Unter dem glühenden Himmel, der von einem spiegelblanken Blau war und zugleich gelb, als ob er plötzlich rotglühend werden wollte wie Metall, das zu nah am hellen Feuer ist, zeigte sich kein Wölkchen.
Sie hatten, ein Stück entfernt rechts, ein Gehölz entdeckt. Dorthin gingen sie.
Grabeneingesäumt führte ein schmaler Weg hinan unter den großen Bäumen, deren Gezweig die Sonne nicht durchdrang. Als sie eintraten, schlug ihnen eine Art modriger Frische entgegen, jene Feuchtigkeit, bei der einem ein Schauer über die Haut läuft und in die Lungen dringt. Hier wuchs, da Luft und Licht nicht eindrangen, kein Gras, aber Moos bedeckte den Boden.
Sie gingen weiter. – Da könnten wir uns ein wenig hinsetzen, sagte sie.
Zwei abgestorbene, alte Bäume standen dort und durch das dadurch im Blätterdach entstandene Loch fiel das Licht herein, wärmte den Boden und hatte Rasen grünen lassen. Löwenzahn und Lianen, kleine, weiße Blümchen, fein und zart wie ein Hauch, waren erblüht und Fingerhut röhrenartig in die Höhe geschossen.
Schmetterlinge, Bienen, dicke Hummeln, große Mücken, die wie Fliegenskelette aussahen; tausend Insekten, Marienkäferchen, rot und gefleckt, Käfer im grünen Kleid, andere schwarz mit großen Fühlhörnern bewehrt, bevölkerten diesen warmen, lichtdurchfluteten Platz, der sich im kühlen Dunkel des schweren Blätterwerks aufgethan.
Sie setzten sich, den Oberköper im Schatten, die Füße in der Sonne, und betrachteten all das wimmelnde kleine Leben, das ein Sonnenstrahl erweckt.
Johanna wurde ganz weich und sagte:
– Ach wie ist es hier schön, auf dem Lande ist es doch zu schön! Manchmal möchte ich eine Fliege oder ein Schmetterling sein, um mich in den Blumen zu verstecken.
Sie sprach über sich selbst, ihre Gewohnheiten und ihren Geschmack in jenem leisen, eignen Ton, in dem man sich Geständnisse macht.
Er meinte, er sei schon vom Welttreiben angeekelt und hätte dieses inhaltslose Leben satt, es war immer dasselbe, nichts Wahres, nichts Echtes gab es da.
Die Welt! Sie hätte sie gern kennen gelernt, aber sie war von vornherein überzeugt, daß sie den Vergleich mit dem Landleben nicht aushalten könnte.
Und je mehr sich ihre Herzen näherten, desto förmlicher nannten sie sich »Vicomte« und »gnädiges Fräulein«, und desto mehr lächelten sich ihre Blicke zu und tauchten in einander. Und es war ihnen, als zöge neue Güte in sie hinein, größere Zärtlichkeit, das Interesse an tausend Dingen, an die sie nie gedacht hatten.
Sie kehrten zurück, aber der Baron hatte einen Spaziergang gemacht zum Jungfernzimmer, einer Grotte, die am Kamm der Klippen lag, und sie erwarteten ihn im Wirtshaus.
Er kam erst um fünf Uhr abends zurück.
Man stieg wieder ins Boot und fuhr, den Wind im Rücken, ohne irgend welches Schaukeln, ohne daß es schien, als käme man vorwärts, zurück. Die Brise wehte in langsamen, lauen Stößen, die eine Sekunde das Segel blähten und es dann wieder schlaff am Mast herunterhängen ließen. Die blaue Flut schien tot da zu liegen, die Sonne, müde von all der Glut, hatte ihren Bogen am Himmel beschrieben und näherte sich langsam dem Rande.
Die Stille auf dem Meer nahm sie wieder gefangen, daß sie schwiegen. Endlich sagte Johanna:
– Ach ich möchte gern reisen.
Der Vicomte gab zurück:
– Aber allein reisen ist langweilig, man muß mindestens zu zweien sein, um sich seine Eindrücke mitzuteilen.
Johanna dachte nach:
– Das ist wahr! Aber ich gehe doch gern allein spazieren, es ist so schön, allein zu träumen.
– Man kann auch zu zweien träumen.
Sie schlug die Augen nieder, war das eine Anspielung? Vielleicht! Sie betrachtete den Horizont, als wollte sie noch weiter hinausblicken, dann sagte sie langsam:
– Ich möchte nach Italien oder Griechenland, ach Griechenland! Oder nach Korsika! Das muß so wild sein und so schön.
Er war mehr für die Schweiz, wegen der Sennhütten und Seen.
Sie sagte:
– Nein! Ich möchte lieber ganz unberührte Länder sehen, wie Korsika, oder sehr alte Länder, an denen lauter Erinnerungen hängen, wie Griechenland. Es muß doch schön sein, dort alles wieder zu finden von diesen Völkern, deren Geschichte wir von Kindheit an kennen, die Stätten zu sehen, wo alle die großen Thaten geschehen sind.
Der Baron, der weniger exaltiert war, erklärte:
– Mich zieht England sehr an, das ist ein sehr lehrreiches Land.
Da suchten sie die ganze Welt ab, besprachen die Annehmlichkeiten jedes Landes von den Polen bis zum Äquator, begeisterten sich über erträumte Landschaften und seltsame Sitten gewisser Völker, wie der Lappen oder der Chinesen. Aber sie schlössen damit, das schönste Land der Welt sei Frankreich mit seinem gemäßigten Klima, kühl im Sommer und mild im Winter, mit seinen blühenden Feldern, grünenden Wäldern, seinen großen, ruhig hinströmenden Flüssen und seinem Kunstgeschmack, der sich seit der Blütezeit Athens nirgends so entwickelt.
Dann schwiegen sie. Die Sonne, die schon tief stand, schien zu bluten, und ein breiter Lichtkegel, ein blendender Streifen, lief über das Wasser, von den Grenzen des Ozeans bis zum Kielwasser des Bootes.
Der letzte Windhauch ließ nach, alle Wellen ebneten sich, und das unbewegliche Segel ward purpurn. Unendliche Ruhe schien die Weite umfangen zu haben, ein tiefes Schweigen angesichts der Vermählung der beiden Elemente, während das Meer unter dem Himmel seinen glänzenden flüssigen Leib krümmte und die feurige Geliebte erwartete, die zu ihm niederstieg. Sie sank jetzt schon schneller herab in purpurner Glut, als ersehnte sie die Umarmung, jetzt trafen sie einander, und allmählich verschlang sie das Meer.
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