Dieser Wandel ist am deutlichsten in den Klöstern sichtbar. In einigen Ländern, wie in Deutschland und Rußland, wurden die katholischen Klöster schon vor längerer Zeit verboten und aufgehoben. Aber dort, wo sie sich bis heute noch fest erhalten haben, wie in Frankreich, Italien, Spanien, dort zeigt sich auch, wie weitgehend die Kirche Teilhaber des heute über das Volk herrschenden Kapitalismus ist.
Im Mittelalter waren die Klöster noch die letzte Zuflucht des armen Volkes. Dort verbarg sich das unterdrückte Volk vor der Grausamkeit der weltlichen Fürsten und Herren, vor den Schrecken des Krieges, dort suchte es Brot und Obdach in letzter Not. Und damals versagten die Klöster dem Bedürftigen kein Krümchen Brot und keinen Löffel Suppe. Man braucht wohl auch nicht daran zu erinnern, daß es im Mittelalter, als es noch nicht diesen allgemeinen Warenhandel gab wie heute, sondern jeder Hof, jedes Kloster fast alles für den eigenen Bedarf mit Hilfe der Fronbauern und Handwerker selbst produzierte, daß es damals für überflüssige Vorräte keinen Absatz gab. Wenn sich mehr Getreide, Gemüse, Holz oder Milchprodukte ansammelten, als die Klosterbrüder selbst verbrauchen konnten, so hatte der Rest fast keinen Wert. Es gab niemanden, dem man es hätte verkaufen können, und Vorräte aufzubewahren, war nicht immer und nicht bei allem möglich. Also ernährten und schützten die Klöster gerne das arme Volk, indem sie ihm einen geringen Teil von dem abgaben, was sie selbst aus dem ihnen untertänigen Fronbauern herausgepreßt hatten, um so mehr, als das zu jener Zeit auch jeder bedeutendere Adelshoftat. Aber besonders für die Klöster war das eine nützliche Wohltätigkeit, da sie gerade als Zuflucht der Armen berühmt waren und dafür große Geschenke und Vorräte von den Reichen und Mächtigen erhielten.
Als jedoch mit dem Entstehen der Warenproduktion und der kapitalistischen Industrie alles in der Wirtschaft einen Preis bekam und Handelsobjekt wurde, gaben die Klöster und die Höfe der geistlichen Herren ihre ganze Wohltätigkeit auf und schlössen vor den Armen ihre Pforten. Nun fand das arme Volk nirgends mehr Zuflucht und Hilfe, und unter anderem auch deshalb entstand zu Beginn der Herrschaft des Kapitalismus im 18. Jahrhundert, als die Arbeiter sich noch überhaupt nicht zum Schutz gegen die Ausbeutung organisiert hatten, in den Hauptindustrieländern, in England und Frankreich, eine so entsetzliche Not unter dem Volk, wie sie die Bevölkerung lediglich vor 18 Jahrhunderten, beim Niedergang des römischen Reiches schon einmal durchlebt hatte.
Aber wenn damals die katholische Kirche gerade zur Rettung des römischen Proletariats, das im Elend zugrunde ging, mit dem Evangelium vom Kommunismus, von gemeinsamem Eigentum, Gleichheit und Brüderlichkeit aufgetreten war, ging die Kirche jetzt, bei der Herrschaft des Kapitals, völlig anders vor. Sie zögerte nicht, selbst die Not auszunutzen, in die das einfache Volk geraten war, um diese billige Arbeitskraft für sich und für die eigene Bereicherung einzuspannen. Die Klöster wurden zu Höhlen kapitalistischer Ausbeutung und das in der entsetzlichsten Form, nämlich der Ausbeutung von Frauen-und Kinderarbeit. Ein bekanntes Beispiel dieser erbarmungslosen Ausbeutung von Kindern bis auf den heutigen Tag wurde der Welt im Prozeß gegen das Kloster Zum Guten Hirten im Jahre 1903 in Frankreich gegeben, wo Mädchen von 12, 10 und 9 Jahren den ganzen Tag ohne Unterbrechung zu schwerster Arbeit gezwungen wurden, bei der sie Augenlicht und Gesundheit verloren, dabei notdürftigst ernährt und wie im strengsten Gefängnis gehalten wurden.
Heute sind die Klöster auch in Frankreich schon fast abgeschafft, und damit verschwindet für die Kirche die Gelegenheit zur unmittelbaren kapitalistischen Ausbeutung. Ebenso abgeschafft ist schon seit langem der Zehnte, diese Plage des Fronbauern. Aber die Geistlichkeit hat auch heute noch vielerlei Methoden, das arbeitende Volk durch Bezahlung von Messen, Heiraten, Beerdigungen, Taufen und verschiedenartigem Dispens zu schinden. Die Regierungen, die es mit dem Klerus halten, zwingen die Bevölkerung, sich auf Schritt und Tritt von ihm loszukaufen, und außerdem bekommt die Kirche überall, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten von Nordamerika und der Schweiz, wo die Religion eine Privatangelegenheit ist, dicke Gehälter vom Staat, für die natürlich das Volk im Schweiße seines Angesichts arbeitet. In Frankreich zum Beispiel bezieht der katholische Klerus bis auf den heutigen Tag 40 Millionen Franken Regierungsgehalt. Alles in allem, die Kirche lebt heute zusammen mit der Regierung und der Klasse der Kapitalisten von der schweren Arbeit des ausgebeuteten Volkes. Welche Einkünfte die Kirche gegenwärtig hat, diese ehemalige Zuflucht der Geringsten und Enterbten, das zeigen z.B. die Zahlen über die Einkünfte des katholischen Klerus in Österreich. Vor fünf Jahren betrugen die Kircheneinnahmen in ganz Österreich jährlich 60 Millionen Kronen. Die Ausgaben betrugen nur 35 Millionen, also „sparte“ die Kirche in einem Jahr aus dem Blut und Schweiß des arbeitenden Volkes 25 Millionen.
Im einzelnen hat:
das Erzbistum Wien jährliche Einkünfte von 300.000 Kronen, Ausgaben weniger als die Hälfte davon, reine „Ersparnisse“ demnach jährlich 150.000; das Vermögen dieses Erzbistums beträgt dagegen etwa 7 Millionen;
das Erzbistum Prag jährliche Einkünfte von über einer halben Million, Ausgaben von etwa 300.000; sein Vermögen beträgt fast 11 Millionen;
das Erzbistum Olmütz Einkünfte von über einer halben Million, Ausgaben von etwa 400.000; sein Vermögen beträgt mehr als 14 Millionen.
Nicht schlechter schindet auch der niedere Klerus die Bevölkerung, der sich gewöhnlich über seine Armut und die Hartherzigkeit des Volkes beklagt. Die jährlichen Einkünfte der Pfarreien betragen in Österreich über 35 Millionen Kronen, die Ausgaben dagegen nur 21 Millionen Kronen, so daß die jährlichen „Ersparnisse“ der Pfarrer zusammen 14 Millionen ausmachen. Das Vermögen der Pfarreien beträgt dagegen in Österreich zusammen über 450 Millionen. Schließlich hatten auch die Klöster in Österreich schon vor fünf Jahren ein „Reineinkommen“, d.h. nach Abzug der Ausgaben, von über 5 Millionen jährlich, und diese Reichtümer wachsen mit jedem Jahr, während bei dem von Kapitalismus und Staat ausgebeuteten Volk die Not immer mehr wächst. Und ebenso wie in Österreich geht es auch bei uns zulande und überall.
Inhaltsverzeichnis
Nachdem wir jetzt die Geschichte der Kirche und des Klerus kurz kennengelernt haben, sollten wir uns nicht mehr darüber wundern, daß sich die Geistlichkeit bei uns heute auf die Seite der zaristischen Regierung und der Kapitalisten gestellt hat und die um besseres Leben kämpfenden revolutionären Arbeiter heftig beschimpft. Die bewußten sozialdemokratischen Arbeiter streben danach, gerade die Idee von sozialer Gleichheit und Brüderlichkeit unter den Menschen in der Gesellschaft zu verwirklichen, die die Grundlage der christlichen Kirche in ihren ersten Anfängen war. Diese Gleichheit, die damals in der auf Sklaverei gegründeten Gesellschaft und später bei der Herrschaft der Fronarbeit unmöglich war, wird jetzt möglich, da auf der ganzen Welt der Industriekapitalismus herrscht. Was die Apostel des Christentums durch flammendste Predigten gegen die selbstsüchtigen Reichen nicht durchsetzen konnten, das können in naher Zukunft die modernen Proletarier, die Klasse der bewußten Arbeiter, erreichen, wenn sie in allen Ländern die politische Macht an sich gebracht haben und den ausbeuterischen Kapitalisten Fabriken, Land und alle Arbeitsmittel wegnehmen, zum gemeinsamen Eigentum aller Arbeitenden. Der Kommunismus, nach dem die Sozialdemokratie strebt, ist nicht mehr jene Verbrauchsgemeinschaft nichtstuender Bettler, mit denen die Reichen teilen, sondern Gemeinschaft ehrlicher Arbeit und gerechter Genuß der gemeinsamen Früchte dieser Arbeit. Sozialismus heißt nicht mehr, daß Reiche mit Armen teilen, sondern daß eben dieser Unterschied zwischen Reichen und Armen dadurch beseitigt wird, daß man gleiche Arbeitspflicht für alle Arbeitsfähigen einführt und die Ausbeutung der einen durch die anderen völlig abschafft.
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