Denn wollte man ein Mädchen sehen, das zur Jungfrau und fürs Haus völlig verdorben schien, so war es Präsidents Wildfang; einen solchen Unband traf man auf zwanzig Meilen nicht.
Kein Graben war ihr zu breit, kein Baum zu hoch, kein Zaun zu spitzig; sie sprang, sie klimmte, sie schleuderte trotz dem wildesten Jungen; hatte sie doch selbst einmal heimlich ihren Damensattel auf den wilden Renner ihres Bruders, des Lieutenants, gebunden und war durch die Stadt gejagt, als sollte sie Feuerreiten! Dabei war sie mager und unscheinbar, scheute vor jeder weiblichen Arbeit, und der einzige Trost der gnädigen Mama war, daß sie Französisch plappere wie ein Stärchen, und daß, trotz ihrem Umherrennen in der Märzsonne, ihr Teint dennoch trefflich erhalten sei.
Aber jetzt –!
Nein! was war mit diesem Mädchen in den kurzen drei Jahren eine Veränderung vorgegangen! Wenigstens um einen Kopf war sie gewachsen, alles an ihr hatte eine Rundung, eine zarte Fülle bekommen, die man sonst nicht für möglich gehalten hätte; das Haar, das sonst, wie oft man es auch kämmte und an den Kopf hinsalbte, der wilden Hummel in unordentlichen Strängen und Locken um den Kopf flog, war jetzt der herrlichste Kopfputz, den man sich denken konnte. Die Augen waren glänzender, und doch fuhren sie nicht, wie ehemals, wie ein Feuerrädchen umher, alles anzuzünden drohend. Die Wangen bedeckte ein feines Rot, das bei jedem Atemzug in alle Schattierungen von zartem Rosa bis ins Purpurrote wechselte; das liebe Gesichtchen war oval und hatte eine Würde bekommen, über die der staunende Hofrat lächeln mußte, sosehr er sie bewunderte.
Dieses Götterkind, diesen Ausbund von Liebenswürdigkeit erwartete der Hofrat; dem guten alten Junggesellen pochte das Herz beinahe hörbar, wenn er an sein Gold-Idchen dachte. Wie mußte sie erst im Ballkleide aussehen, wenn sie ihn in dem Reiseüberröckchen und in der Haube à la jolie femme beinahe närrisch machte; wie mußte sie erst strahlen, wenn sie, wie sie ihm versprochen, die Haare nach dem aller-nagel-funkel-neuesten Geschmack, die schöne Stirne und den schlanken Hals, die wie aus Wachs geformten Partien, welche die handbreiten Brüßler Kanten umziehen werden, mit dem Amethystschmuck schmückte, den sie von ihrer Pate, der Fürstin Romanow geschenkt bekommen hatte. Ihm, ihm hatte sie mit all jener Herzlichkeit, mit der sie früher versprochen, einen Spaziergang mit ihm zu machen, oder ihn, den Einsamen, zu besuchen, wenn er krank war, jetzt, als Königin des Festes die erste Polonaise zugesagt. –
Immer verdrießlicher wurden die Damen, immer ungestümer mahnten die Herren den alten Maître de plaisir, schon seit einer halben Stunde stimmten die Musikanten, daß man vor dem Quieken der Klarinette, vor dem Brummen der Bässe sein eigenes Wort nicht hörte – er gab nicht nach. Da rasselte ein Wagen über den Marktplatz her und hielt vor dem Flügeltor des Museums.
»Das sind sie«, murmelte der Hofrat und stürzte zum Saal hinaus; bald darauf öffneten sich die Flügeltüren und der kleine freundliche Alte schritt am Arm einer jungen Dame in den Saal.
Aller Augen waffneten sich mit Lorgnetten und Brillen; wer konnte das wunderschöne Mädchen sein, so hoch und schlank, mit dem königlichen Anstand, mit dem siegenden Blick, mit der kräftigen Frische des jugendlichen Körpers? Sie nickte so bekannt nach allen Seiten, als käme sie alle Tage auf Freilinger Bälle und Assembleen; und doch kannte sie niemand. Doch ja! da kommt ja auch der alte Präsident, wahrhaftig! es kann niemand anders sein, als Präsidents Ida.
Aber wie herrlich war dieses Knöspchen aufgegangen, »Welcher Anstand!« bemerkten die Herren, »Welche Figur, welcher Nacken, wahrhaftig! man möchte ein Mückchen oder noch etwas Wenigeres sein, nur um darauf spazierenzugehen.« »Welcher Schmuck, welche Spitzen, welche Stickerei an dem Kleid«, bemerkten die Damen und wünschten sich weit weg, denn wie sollten sie ihre Fähnchen, die sie doch ihr gutes Geld gekostet, ihre Blumen, die sie selbst gemacht und für wundervoll gehalten hatten, neben diesen italienischen Rosen und Astern, die eben erst aus den Gärten der Hesperiden gepflückt zu sein schienen, neben diesen Kanten sehen lassen, von welchen die Elle vielleicht mehr wert war, als eines ihrer Ballkleider nebst Schneiderskonto und Façon! Nein, Berner, der arge Berner hätte ihnen keinen schlimmern Streich spielen können, als diese Ida gerade heute einzuführen. Aber man mußte sich Gewalt antun; der Präsident machte das erste Haus in der Stadt, war der gewaltige Herrscher der Provinz, eine glänzende Aussicht auf Thés dansants, Soupers, Hausbälle und dergleichen eröffnete sich vor den schnell berechnenden Blicken der Damen; wehe der, die dann nicht mit Ida bekannt war, oder sie sogar kalt empfangen hatte. Man wußte, daß dies die Frau Mama Präsidentin nie verzeihen würde; man nahm sich zusammen, und in kurzem war die Gefeierte von allen jungen und alten Damen umringt, welche Glück wünschten, alte Bekanntschaft erneuerten und nebenbei dies und jenes von dem hoffähigen Anzug spickten. Alle redeten zumal, keine wurde verstanden, und die Herren fluchten und schimpften ein Donnerwetter über das andere, daß sich eine so dichte Wolke vor dieser kaum aufgegangenen Sonne gedrängt und sie ihrem Anblick entzogen habe.
Jetzt zog Hofrat Berner das weiße Sacktuch, schwenkte es in der Luft und gab dem Kapellmeister und Stabstrompeter der Dragoner das Zeichen, und eine herrliche Polonaise begann. Im Nu stoben die Glückwünschenden auseinander und machten Raum für die Assessoren, Lieutenants, Sekretärs, jungen Kaufherrn, Jagdjunkern, die glücklicherweise noch nicht versagt waren und sich jetzt um einen Walzer, Ekossaise oder gar Kotillon mit Ida die Hälse brechen wollten. Sie aber lachte, daß die Schneeperlen der Zähne durch die Purpurlippen heraussahen, behauptete, sich immer nur auf eine Tour zu versagen, hüpfte dem Hofrat entgegen und reichte ihm die kleine Hand.
Selig, gerührt, begeistert stellte er sich mit seinem holden Engelskind an die Spitze der Kolonne und marschierte unter den mutigen, lockenden Tönen der Polonaise, stolzen Schrittes gegen das wohlunterhaltene feindliche Tirailleurfeuer, das von vorn, von den Flanken, überallher aus den Mündungen der Lorgnetten auf seine Tänzerin sprühte. Aber diese, war sie kurzsichtig, hatte sie statt des Korsettchens einen Kürassierpanzer vom feinsten Stahl mit der Musketenprobe um das Herzchen, oder war sie das Feuer so gewohnt, wie die alte Garde, die, Gewehr im Arm, im Paradeschritt durch das Kartätschenfeuer marschierte? ich weiß nicht, aber sie schien gar nicht auf die schrecklichen Ausbrüche der gebrochenen Herzen, auf die Knallseufzer der Verwundeten zu hören, das Plappermäulchen ging so ruhig fort, als ginge sie, drei Jahre jünger mit dem guten Hofrätchen im Wald spazieren.
Da kamen alle die Streiche, die der leichte Springinsfeld losgelassen, alle jene tausend Schwieten des kleinen Übermuts aufs Tapet; Lust und Lachen blitzte wie ehemals aus ihrem Auge, wenn sie sich erinnerte, wie sie einer Spanferkel Kindszeug angezogen und sie dem Hofrat als Fündling vor die Türe gelegt, wie sie dem Oberpfarrer die Waden voll Stecknadeln gesetzt, daß sie aussahen wie der Rücken eines Stachelschweins, alles ohne daß er es merkte, denn er trug falsche. Der Hofrat wollte seinen Ohren nicht trauen; es war ja dasselbe lustige, naive Ding wie früher und doch so wunderherrlich, so groß, mit so unendlich viel Anstand und Würde! Er hätte sie auf der Stelle am Kopf nehmen und recht abküssen mögen, wie früher, wenn sie einen rechten Ausbund von Schelmenstreich gemacht hatte.
Es ging über seine Begriffe! »Wie können Sie nur so hartherzig sein, Idchen!« sagte er, »und nicht einen Blick auf unsere jungen Herren werfen, die zerschmelzen wie Wachs am Feuer? Nicht einmal einen Blick für alle diese Exklamationen und Beteurungen, welche Sie doch gehört haben müssen?«
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