Ich begab mich nun näher an den schon mehrerwähnten großen Baum heran; derselbe war eine Eiche, hatte einen hohen Stamm, eine volle, weit ausgebreitete Krone und war sehr alt; ich wußte, daß hier ein lebendes Geschöpf wohne, ein Weib, Dryade wird es genannt, wird mit dem Baume geboren und stirbt auch mit demselben; ich hatte davon auf der Bibliothek gehört; nun sah ich einen solchen Baum, ein solches Eichenmädchen. Es stieß einen entsetzlichen Schrei aus, als es mich so in der Nähe erblickte; es fürchtete sich wie alle Frauen sehr vor Mäusen; und es hatte denn auch mehr Grund dazu als alle andern, denn ich hätte den Baum durchnagen können, an welchem ja sein Leben hing. Ich sprach dem Mädchen freundlich und innig zu, flößte ihm Muth ein, und es nahm mich in seine zarte Hand, und als ich ihm erzählt, weshalb ich in die weite Welt gegangen sei, versprach es mir, ich sollte vielleicht noch an demselben Abende einen der zwei Schätze haben, die ich noch suchte. Es erzählte mir, daß Phantasus sein sehr guter Freund, daß er so schon wie der Liebesgott sei, und daß er manche Stunde unter den belaubten Zweigen des Baumes ruhe, die dann noch kräftiger über die Beiden rauschten. Er nenne es seine Dryade, sagte es, den Baum seinen Baum, die knorrige schöne Eiche sei gerade nach seinem Sinne, die Wurzel breite sich tief und fest in der Erde aus, der Stamm und die Krone heben sich hoch empor in die frische Luft und kennten den stöbernden Schnee, die scharfen Winde und den warmen Sonnenschein, wie diese gekannt sein müssen. »Ja,« fuhr die Dryade fort und sagte, »die Vögel singen dort oben in der Krone und erzählen von fremden Gefilden, die sie besuchten, und auf dem einzigen dürren Zweige hat der Storch sein Nest gebaut, das putzt schön aus und man bekommt auch ein wenig aus dem Lande der Pyramiden zu hören. Das Alles gefällt dem Phantasus, es genügt ihm aber doch nicht, ich selbst muß ihm erzählen von dem Leben im Walde, und muß zurückgreifen in meine Kindheit, als ich klein und der Baum zart war, so zart, daß eine Brennnessel ihn überschattete, und Alles erzählen bis jetzt, wo der Baum nun groß und stark geworden ist. Setze Du Dich nun dort unter den grünen Waldmeister und gieb wohl Acht, ich werde, wenn Phantasus kommt, schon Gelegenheit finden, ihn in den Flügel zu kneifen und eine kleine Feder auszurupfen; nimm die Feder – eine bessere wird keinem Dichter gegeben – dann hast Du genug!«
Und Phantasus kam, die Feder wurde ausgerupft und »ich begriff sie«, sagte die kleine Maus, »ich steckte sie in Wasser und hielt sie darin, bis sie erweichte, – sie war noch sehr schwer verdaulich, aber ich habe sie doch endlich aufgenagt! Es ist sehr leicht, sich zum Dichter heranzunagen, es giebt gar Vieles, das man inne haben muß. Nun hatte ich denn die zwei, den Verstand und die Phantasie, und durch diese wußte ich nun, daß das Dritte in der Bibliothek zu finden sei, denn ein großer Mann hat gesagt und geschrieben, daß es Romane giebt, die einzig und allein dazu da sind, um die Menschen von ihrem Ueberflusse an Thränen zu befreien, demnach eine Art Schwämme sind, um die Gefühle aufzusaugen. Ich erinnerte mich an einige dieser Bücher, die immer besonders appetitlich ausgesehen hatten, recht abgelesen und fettig waren; sie müssen einen unendlichen Schwall in sich aufgenommen haben.
Ich begab mich zurück in die Bibliothek, fraß gleichsam einen ganzen Roman, d. h. das Weiche, das Eigentliche; die Kruste dagegen, den Einband, ließ ich liegen. Als ich ihn verdaut hatte, und noch einen dazu, vernahm ich schon, wie es sich in meinem Innern regte, ich fraß noch ein Stückchen von einem dritten Roman, und alsdann war ich Dichter, das sagte ich mir selbst und sagte es auch den Andern! Ich hatte Kopfschmerzen und Leibschmerzen und – ich weiß nicht, was ich alles für Schmerzen hatte; ich dachte nun darüber nach, welche Geschichten wohl in Beziehung zu einem Wurstspeiler gebracht werden könnten, und gar viele Speiler und Stecken und Stäbe und Hölzchen kamen mir in den Gedanken, die Ameisenkönigin hatte einen außergewöhnlichen Verstand gehabt; ich erinnerte mich des Mannes, der einen weißen Stecken in den Mund nahm, wodurch er sowohl sich wie den Stecken unsichtbar machen konnte; ich dachte an Steckenpferde, an Stabreime, an »den Stab über Einen brechen« und Gott weiß, wie viele Redensarten der Art von Stäben, Stecken und Speilern. Alle meine Gedanken gingen in Speilern, Hölzchen und Stäben auf! und von diesen müsse, wenn man ein Dichter ist, und der bin ich, ich habe mich abgeäschert, daß ich es endlich geworden bin, auch gedichtet werden können. Ich werde somit an jedem Tage der Woche Ihnen mit einem Speiler, einer Historie aufwarten können, – ja, das ist meine Suppe!«
»Hören wir, was die Dritte zu sagen hat!« befahl der Mausekönig.
»Pi, pi!« sagte es in der Küchenthüre, und eine kleine Maus, – es war die vierte von den Mäusen, die sich um den Preis bewarben, die, welche die andern schon todt wähnten, schoß herein wie ein Pfeil. Sie rannte den Wurstpfeiler mit dem Trauerflor um und um, sie war Tag und Nacht gelaufen, war auf der Eisenbahn mit dem Güterzuge gefahren, wozu sie die Gelegenheit erspäht hatte, und doch war sie fast zu spät gekommen; sie drängte sich hervor, sah gar zerzaust aus, hatte ihren Wurstspeiler verloren, aber nicht die Sprache, sie nahm sofort das Wort, als wenn man nur ihrer harre, nur sie anhören wolle, als wenn alles Andere in der Welt die Welt nichts anginge; sie sprach sofort, sprach sich aus; sie trat so unerwartet auf, daß Niemand Zeit gewann, sich über sie und über ihre Rede aufzuhalten, während sie redete. Hören wir zu, was sie sprach:
Inhaltsverzeichnis
Was die vierte Maus, bevor die dritte gesprochen hatte, zu erzählen wußte.
»Ich begab mich sogleich nach der größten Stadt,« sagte sie, »der Name ist mir entfallen, ich habe ein schlechtes Gedächtniß für Namen. Von der Eisenbahn kam ich mit confiscirten Gütern aufs Rathhaus und dort angekommen, lief ich in die Wohnung des Schließers. Der Schließer sprach von seinen Gefangenen, namentlich von einem derselben, der unüberlegte Worte gesprochen hatte; von diesen Worten waren wieder und wieder Worte gesprochen, und diese wieder niedergeschrieben und einregistrirt worden; »das Ganze sei Suppe auf einem Wurstspeiler!« sagte der Schließer, »allein die Suppe kann ihm seinen Hals kosten!« Das flößte mir nun Interesse für den Gefangenen ein,« sagte die kleine Maus, »ich benutzte die Gelegenheit und huschte zu ihm hinein; ein Mauseloch findet sich hinter jeder verschlossenen Thür! Der Gefangene sah blaß aus, hatte einen großen Bart und große, funkelnde Augen. Die Lampe flackerte und dampfte, und die Wände waren das so gewohnt, sie wurden deshalb nicht schwärzer. Der Gefangene ritzte Bilder und Verse mit Weiß auf Schwarz, ich las sie nicht. Ich glaube, er hatte Langeweile; ich war ein willkommener Gast. Er lockte mich mit Brotkrümelchen, mit Pfeifen und mit milden Worten, er freute sich meiner sehr, ich faßte allmälig Vertrauen zu ihm, und wir wurden Freunde. Er theilte Brot und Wasser mit mir, gab mir Käse und Wurst, ich lebte flott; allein es war doch, das muß ich sagen, namentlich der gute Umgang, der mich hielt. Er ließ mich auf seiner Hand, auf seinem Arm, ganz in den Aermel hinauf laufen; er ließ mich in seinem Barte umherkriechen, nannte mich seinen kleinen Freund; ich gewann ihn in der That lieb; so etwas ist wohl gegenseitig! Ich vergaß, was ich in der weiten Welt wollte, vergaß meinen Wurstspeiler in einer Ritze im Fußboden; dort liegt er noch. Ich wollte bleiben, wo ich war, ginge ich erst fort, dann hätte ja der arme Gefangene gar Niemand, und das ist zu wenig in dieser Welt! – Ich blieb, er blieb nicht! Er redete recht traurig zu mir das letzte Mal, gab mir doppelt so viel Brot und Käse wie sonst, und warf mir darauf Kußhände zu; er ging und kehrte nicht wieder. Ich kenne seine Geschichte nicht. »Suppe auf einem Wurstspeiler!« sagte der Schließer, und zu diesem ging ich nun hinein; doch ihm hätte ich nicht trauen sollen; er nahm mich zwar auf seine Hand, aber er steckte mich in einen Käfig ein, in eine Tretmühle; das ist entsetzlich! man läuft und läuft und kommt doch nicht weiter, und ist nur zum Gelächter!
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