1 ...8 9 10 12 13 14 ...23 „Russland hat seine gegen die Interessen der Tschechischen Republik gerichteten Aktivitäten ausgeweitet. Die Tätigkeit der russischen Geheimdienste hat zugenommen, es liegen ebenfalls Beweise für Cyberspionage und eine Hybridkampagne vor, mit der der Kreml versucht, die Euroskepsis zu stärken“, warnt der BIS. Einige unserer Politiker haben Zweifel an diesen Rückschlüssen. Mit diversen Bonmots wies auch der Staatspräsident die Warnungen des Inlandsgeheimdienstes zurück: „Dass Russland der Beelzebub ist, der Feuer und Schwefel speit, kleine Kinder frisst und vorhat, auch uns zu schlucken, ist ein altes, oft wiederholtes Ammenmärchen. Ich selbst habe es schon so oft gehört, dass es mir inzwischen vorkommt wie das Summen einer Mücke. Wir wissen alle, wenn sich eine aufdringliche Mücke nicht verjagen lässt, gibt es wirksamere Methoden, wie man sie loswird …“
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Die Ermittlungsakte auf dem Tisch hatte abgewetzte Deckel und einen respektablen Umfang. Beide Kriminalpolizisten lenkten den Blick während ihrer Unterhaltung unbewusst dorthin.
„Wie geht’s dir?“, fragte Kriminaldirektor Zdeněk Karoch.
„Ach, lass das Theater.“
Die abgemagerte Gestalt von Kriminalrat Miroslav Vačkář, der kahle Kopf, die eingefallenen Wangen und die blauen Flecken auf der Haut sprachen für sich.
„Wann bist du dran?“
„In einer Woche.“
Es ging um die Immuntherapie. Nach den vorausgegangenen Behandlungsformen, die nur begrenzt angeschlagen hatten, sollte das ein weiterer Versuch sein, Vačkářs gestörte Blutbildung zu regenerieren.
„Zieh’s nicht so in die Länge. Spätestens im Juni rechne ich wieder mit dir.“ Zdeněk kannte Vačkář gut genug, um zu wissen, dass es ihm lieber war, die Krankheit zu bagatellisieren, als Mitgefühl gezeigt zu kriegen. „Mirek, ich will dich zurückhaben, bevor alle anfangen, ihren Urlaub zu nehmen, klar?“
„Du hast gut reden, du kennst die elende Mistsau nicht.“ Vačkář verzog das Gesicht. Den Namen „elende Mistsau“ hatte sich seine Leukämie zweifellos verdient, aber an der Verheerung, die sie anrichtete, änderte das nichts. Bei der letzten Untersuchung durch den Polizeiarzt war noch alles in bester Ordnung gewesen. Vačkář zog zuverlässig wie ein Packesel, man konnte ihm alles aufladen. Und das tat Zdeněk auch. Er schonte ihn nicht, denn er konnte ihn wirklich gut leiden. Denen, die er am liebsten mochte, verlangte er immer das Meiste ab.
„Schon zweimal hat sie das Feld geräumt und ich hab mir, blöd wie ich bin, eingeredet, dass ich gewonnen hab, aber sie ist wiedergekommen.“
„Diesmal vertreibst du sie.“
„Das hoff ich sehr.“ Vačkářs Blick blieb an der voluminösen Akte hängen. „Ich hab die ganze Zeit geglaubt, dass ich das noch abgeschlossen kriege, eh ich mich in die Klinik leg, aber ich hab mich überschätzt. Das ärgert mich.“
Dass es ihm seit letztem September nicht gelungen war, den Fall Arojan abzuschließen, war mehr als ein Grund zum Ärgern. Verursacht hatte das gar nicht so sehr seine Krankheit, sondern vielmehr seine Einstellung ihr gegenüber. Er log sich selbst und sein Umfeld an. Er gab vor, in besserer Verfassung zu sein, als er es tatsächlich war.
„Ich hab mich überschätzt“, wiederholte er. „Tut mir leid.“
Seine Zerknirschung und das Asche-aufs-Haupt-Streuen sorgten bei Zdeněk für ein schlechtes Gewissen. Er war sich sehr wohl bewusst, dass einen Teil der Schuld auch er trug. Das Morddezernat hatte über lange Zeit mit einem Mangel an Humankapital gekämpft; jedes Mal, wenn er mühsam wen ergattert hatte, verlor er sozusagen prompt jemand anderen, und der Leidensweg ging wieder von vorne los. Er wusste nicht, ob dies das Schicksal aller Chefs war oder ob es als sein persönlicher Fluch auf ihm lastete, aber er musste damit leben und unablässig nach neuen Auswegen suchen. Einige davon waren relativ unkonventionell. Den Einfall, mit dem Vačkář zu ihm gekommen war, fand Zdeněk anfangs an den Haaren herbeigezogen, aber nachdem er einige Tage darüber nachgedacht hatte, musste er zugeben, dass er keine bessere Alternative sah, und ließ sich darauf ein.
„Die Alte macht das fertig“, sagte er.
Hauptkommissarin Marta Alte war eine bewanderte Kriminalistin, aber bisher hatte sie fast ausschließlich in Fällen von häuslicher Gewalt ermittelt. Für diese sogenannten Hausschlachtungen hatte Zdeněk niemand Besseres. Der Mord an Arojan war allerdings ein anderes Kaliber und es war schwer zu sagen, wie sie damit zurande kommen würde. Sie war intelligent, außer an der Polizeiakademie hatte sie auch mal eine Zeitlang Psychologie an der Uni studiert, aber um ihr Wissen so richtig zur Geltung zu bringen, fehlte ihr das gewisse Etwas. Sie ließ Ambitionen vermissen, konnte nicht auf Risiko gehen, stach weder durch Entschlossenheit noch durch polizeilichen Instinkt hervor. Dagegen zeichnete sie sich durch Ausdauer, systematisches Vorgehen und einen Sinn fürs Detail aus. Und wenn das auch auf den ersten Blick keine so faszinierenden Eigenschaften zu sein schienen, waren gerade sie im gegenwärtigen Stadium des Arojan-Falls gefragt: das Material, das Vačkář mit seinem Team zusammengetragen hatte, gründlich sichten und sortieren, wenn nötig es um neue Beweise und Aussagen ergänzen, dafür sorgen, dass jemand Konkretes beschuldigt wird, und gleichzeitig mit Samthandschuhen vorgehen wie immer, wenn Angelegenheiten von nationalen oder ethnischen Minderheiten im Spiel waren. Das war keine leichte Aufgabe, aber Marta Alte wäre auch nicht alleine.
„Was ist mit der Verstärkung, die sie dir vom organisierten Verbrechen versprochen haben?“
„Irgendein Jukl.“
„Jukl?“ Vačkář runzelte beim Nachdenken die Stirn. „Kommt mir bekannt vor.“
Es klopfte und die Sekretärin schaute zur Tür herein.
„Die Frau Hauptkommissarin“, verkündete sie.
„Soll reinkommen.“
Kaum war sie da, wurde sich Zdeněk intensiver als sonst ihrer Farblosigkeit bewusst. Hässlich war sie definitiv nicht, aber ein Charisma hatte sie wie eine graue Maus. Eine alternde graue Maus. Im Winter, als er ihr zum Fünfundvierzigsten gratuliert und bei dieser Gelegenheit einen Kaffee mit ihr getrunken hatte, war ihm aufgefallen, dass in ihrem Haar hier und da eine weiße Strähne durchblitzte. Seit jener Zeit waren es sichtbar mehr geworden. Sie versteckte sie nicht. Im Dezernat munkelte man von einer gerade zerbrochenen Beziehung zu einem a) Maler, b) Musiker, c) Schriftsteller, d) Filmemacher. Obwohl der Flurfunk mit mehreren Versionen der Geschichte aufwarten konnte, stimmten diese aber in einem Punkt ausnahmsweise überein: Angeblich sei Marta Alte seit der Trennung recht verschlossen. Die hat die Flinte ins Korn geschmissen, befand Zdeněk, sonst würde sie ihrer äußeren Erscheinung definitiv mehr Aufmerksamkeit widmen.
„Ich bin ein bisschen eher gekommen, schlimm?“, fragte sie und drückte ihm die Hand, die er ihr hingestreckt hatte. Er war unfähig, sich zu merken, ob nun zuerst die Frau dem Mann die Hand gab oder der Vorgesetzte seiner Untergebenen, also richtete er sich nach seiner momentanen Stimmung.
„Du kommst genau richtig. Setz dich.“
Sie reichte auch Vačkář die Hand und nahm Platz. Ihr Blick landete fast umgehend auf der Akte.
„Arojan“, sagte Zdeněk. „Letzten September. Mitten in der Nacht zwischen Müllcontainern erschossen. Du bist im Bilde?“
„Natürlich weiß ich, was in dem Zusammenhang alles los war. Das ganze Tamtam und die Demos und der Journalistenstreik, aber im Detail hab ich das nicht verfolgt.“
„Das hier sind die Ergebnisse von Mireks sechsmonatiger Arbeit.“ Zdeněk klopfte mit den Fingern auf die Akte. „Wie du weißt, geht er sich jetzt für einige Zeit zu den Ärzten erholen.“
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