Warum waren die Türen so gründlich verschlossen?
Sie waren gar nicht verschlossen.
Ich sah sie so.
Und was geschah damals mit uns? Du fragtest mich, ob es immer so war, wie es jetzt ist. Ich weiß es nicht. Ich bin ja nicht immer hier gewesen. Am Anfang war ich nicht hier. Einst gingen wir Hand in Hand in aller Schönheit. Aber was folgte! Schlaflose Nächte, ach die schlaflosen Nächte. Donnerstags wurde ein Baby geboren und schon am Freitag, die Augen zuerst, von den roten Ameisen gefressen. (Und woher kommt das Licht?) Ich habe die Länge dieses Raumes so oft abgeschritten, dass es gereicht hätte, die Wüste zu durchqueren.
Mit mir?
Mit dir. Flüstere weiter, ich sehe so gern, wie deine Lippen beim Flüstern sich kräuseln. Du bist eine Frau. Stehst drüben nahe bei den abgestorbenen Blumen. Ich kann in der Glasvase dein Spiegelbild sehn. Du bist sanft und gespannt wie ein Gewölbe. Deine Glieder sind groß und gelöst, die Füße von den Fesseln befreit. (Das Licht ist ein fernes Wetterleuchten geworden.)
War alles einem Kadaver vergleichbar? Nährte es dich?
Ja, lange Zeit.
Oder war es wie ein Skelett? Lebtest du drin?
So war es auch. Wir beteten inständig. Was war unser Anliegen? Wir beteten inständig, errettet zu werden. Wir beteten inständig, gesegnet zu werden. Wir beteten inständig um ein langes und glückliches Leben unserer Kinder. Und immer beteten wir inständig, das Morgenlicht wieder zu sehen. Wurden wir errettet? Ich kann es nicht sagen. Ich kann es bis heute nicht sagen. Wir erfüllten einfach die Zimmer mit unseren Stimmen. In diesem Topf kochten die Eier über. Als der Hurrikan hereinbrach, saßen wir in dieser Ecke, bis alles vorübergezogen war. Und die ganze Zeit dieser Regen, dieser anhaltende Regen. Das Fundament des Hauses bebte, und die Erde wurde weggeschwemmt. Mir wurde heiß und kalt, die Angst schüttelte mich.
Was hast du zu mir gesagt? Was habe ich nicht gehört?
Die Matratze war mit Kokosfasern gefüllt. Es war unsere erste Matratze. Davon wurde die Haut rau. Wanzen nisteten sich ein. Ich stand meistens hier am Fenster und sah die Schatten der Leute, die draußen vorübergingen – Leute, die wirklich vorhanden waren – und fuhr mit den Fingern über die Verzierungen des Kessels. Ich stand auch oft vor dem Spiegel und nahm unbewusst die Stickereien der neuen Decke dort unter meinen Händen wahr. Ich sehe mich immer wieder vor dem kalten Ofen dort stehen, während die grünen Kaffeebohnen in ihrem Behältnis mir sacht durch die Finger rinnen. In diesem Käfig lebte ein Kolibri. Er starb nach ein paar Tagen. Sehnsucht nach dem Dschungel wahrscheinlich. Ich versuchte damals alles so zu nehmen wies gerade kam.
Und dann?
Ich fühlte mich krank. Ich fühlte mich nur noch krank. Saß in diesem Schaukelstuhl hier mit dir auf dem Schoß. Ich muss sie beruhigen, dachte ich, ich muss sie jetzt unbedingt beruhigen. Aber die Milch stockte in meiner Brust.
So liebtest du mich?
Ja. Du warst eng in deine Sachen gehüllt, damit die Wärme dich nicht verließ. Was für eine grenzenlose Gier. Aber du konntest es nicht anders wissen. Eine gelbe Flüssigkeit hinterließ hier einen Fleck.
Ist das Blut?
Ja, wessen Blut aber? Das Bild eines Sees aus flüssigem Pech. Er war einmal an solch einem Pechsee. Und bald darauf liebte er mich. Ich war schön. Ich machte Feuer. Die Kohlen glühten. Oh Bitternis Bitternis. Erst gab es eine Musik, und dann gab es Tanz. Wieder und wieder berührten wir uns, und wieder und wieder waren wir schön. Ich konnte es sehen. Ich konnte einiges sehen. Ich weinte. Ich konnte nicht alles sehen. Was ist das für eine Krankheit, die den Wurm bewegt, das Bein vor seinem Tod zu verlassen. Jemand lachte. Ich vernahm es, als ich glücklich wurde. Du warst trocken und warm und so wie es sich gehört und ganz klein. Ich war sanft gespannt und wie ein Gewölbe. Ich trug Blau, Vogelblau und leuchtete nachts in der Finsternis.
Und die Kinder?
Es gab die Kinder noch nicht. Ich konnte ihre Herzen schlagen hören, aber sie selbst waren noch nicht vorhanden. Sie waren sehr schön, aber in einer anderen Weise als du. Manchmal erschien ich in eines Mannes Gestalt. Manchmal als ein Huftier, und ich konnte mein eigenes Braun dann streicheln und warf einen Schein. Da blieb nichts in den Ecken liegen. Nichts konnte mich erschrecken. Ein blinder Vogel schlug mit dem Kopf ans geschlossene Fenster. Ich hörte es. Ich durchquerte das Meer nachts allein auf einem Dampfer. Wie war mein Name – ich meine den Namen, den meine Mutter mir gab –, und wo kam ich her. Meine Haut ist nun grob. Was für ein Unglück. Was fürn Kummer. Ich hab mir eine Liste gemacht. Alles nachgemessen. Nicht untertrieben.
Wo ist das Licht nun?
Zersprungen. Für immer dahin.
Ein Berg. Ein Tal. Die Schatten. Die Sonne.
Ein Streifen Gelb, der eilig einen Streifen Grün überrollt. Es vermischt sich, es trennt sich. Kinder sind schnell dabei. Beim Lachen, Brandmarken, Verachten, schnell, ein freies Feld zu besetzen.
Der dumpfe Ton kleiner Füße, die zu rennen beginnen. Der zweigeteilte Schrei eines Mädchens. Schwindlig und taumelnd der Ton der Glocke am Mittag. Trocken? Nass? Warm? Kalt? Hier wird nicht gemessen.
Ein Kleinod rüde zerbrochen. Wie die Amberfarbe vom Rand her verblasst. Jetzt ist es die Heimstatt von etwas Dunklem und Nassem. Eine Ameise kriecht über ein Stück Silberpapier, das die Sonne sichtbar gemacht hat – alles zerfällt. Aber was ist eine Ameise? Das muss geheim gehalten werden, für immer geheim gehalten. Die Schale einer Orange – eilig entfernt, als wärs ein zierender, störender Gürtel gewesen. Eine Kröte, Warzen wie Perlen und außerordentlich faltig, langweilig und immer ein angstbebendes Herz, nicht mehr als ein einziger Sprung an einem einzigen Tag.
(Und wem wird am Ende, ganz zuletzt, dieser Aussichtsplatz hier gehören? Wird das Huhn, gerupft bis auf die Knochen und die Federn in alle vier Winde verstreut, die Füße Leim schon, alles eine taube Ähre seit Langem, wird es eines Tages die Stimme erheben? Was wird es sagen? War ich ein Huhn? Besaß ich zwölf Küken? Eines mit dem Namen Beryl, das alles ausbaden musste?)
Viele Geheimnisse sind hier lebendig. Ein scharfer Windstoß ist noch vorm Lidschlag zur Stelle. Er trifft nur auf Spatzeneier, Piratenschätze, den verjährten Fang eines Fischers. Einen Baum, der seltsame Früchte hat. Glaskugeln eines gewalttätigen Knaben. Was immer war, ist hier lebendig.
Jemand hat Steine getürmt, ein Mäuerchen, um das Beet eines Kindes zu errichten. Und hat eines Kindes Blumen gepflanzt. Blaue Glockenblumen. Aber das Kind war zu hastig, und die Glockenblumen sind schon dahin. Leben und sterben als stete Folge.
Außergewöhnlich herrliche Beeren, rot, golden und indigo aufgeschlitzt und im Dreck. Der Entenschnabel ist hart, scharf und glänzend. Die Ente selbst erweist sich als getriebenes, grausames Wesen. Die Hitze schwappt in Wellen, rollt sich aus, rollt sich ein, bis alles eine Zuflucht im Schatten verlangt.
Wenn der gefleckte Käfer plötzlich eine Gefahr spürt, so bleibt er stehen und setzt erst nach langer Zeit sein primitives Gekrieche fort. Rote flüssige Gesteine waren hier ausgesetzt, haben den Boden fruchtbar gemacht. Reich an Weinstöcken, vertrautem Gemüse.
Was bedeutet ein Käfer? Was eine Fliege? Ein einziger Tag? Was, wenn es tot und verschwunden schon ist? Ein anderer Käfer wird verharren, wenn er eine Gefahr spürt. Ein neuer Tag folgt, identisch mit diesem. Ein Regen, der die Sträucher hart schlägt, die Schildkröte anhält, den Kopf noch sorgfältiger zu verbergen. Die Stille kommt, und die Stille geht. Mal Sonne, mal Mond.
Ein paar Stimmen noch, gedämpft erst, dann klar abfallend und steigend, die fragen:
»Wie ging zum Teufel das Lied, das sie sangen, wenn sie die Fäuste ballten und vorgaben, Römer zu sein?«
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