Und eine Viertelstunde später erzählt er von intimen Freundschaften mit russischen Revolutionären.
Er war eine Größe, der Erich Köhler.
Der andere Herr, der Jüngling mit den französischen Stiefeln, ein Elsässer, versprach Gaumontfilme und gründete wirklich ein Kino. Bloomfield hatte keine Lust, den Leuten seiner Heimatstadt Vergnügungen zu verschaffen. Aber der französische Jüngling kaufte einen Milchladen von Fränkel, dessen Geschäft schlechtging, und druckte Plakate und verkündete Amüsement für Jahrzehnte.
Nein, es war nicht leicht, von Bloomfield Geld zu bekommen.
Ich war mit Abel Glanz in der Bar, da saß die alte Gesellschaft. Glanz erzählte mir im Vertrauen – Glanz erzählte alles im Vertrauen –, daß Neuner kein Geld bekommen hatte und daß Bloomfield überhaupt kein geschäftliches Interesse an dieser Gegend mehr hatte. In einem Jahr verzehnfachte sich sein Vermögen in Amerika – was ging ihn die schlechte Valuta an?
Bloomfield hatte viele enttäuscht. Die Leute wurden ihre Devisen nicht los, das Geschäft ging genauso weiter, als wäre Bloomfield aus Amerika gar nicht gekommen. Dennoch verstand ich nicht, weshalb jetzt plötzlich die Fabrikanten mit ihren Frauen auf den Plan traten und mit den Töchtern.
Es änderte sich nämlich inzwischen vieles in der Gesellschaft des Fünf-Uhr-Saals.
Vor allem hat Kaleguropulos Musik bestellt, eine fünf Mann starke Kapelle, sie spielt Walzer wie Märsche, das Temperament geht mit ihnen durch. Fünf russische Juden spielen jeden Abend Operetten. Und der Primgeiger hat gekräuseltes Haar für die Damen.
Nie waren Damen zu sehen gewesen.
Jetzt hatte Fabrikant Neuner Frau und Tochter, Kanner war Witwer mit zwei Töchtern, Siegmund Fink hatte eine junge Frau, und dann kam noch Phöbus Böhlaug, mein Onkel, mit seiner Tochter.
Phöbus Böhlaug begrüßt mich mit herzlichen Vorwürfen. Ich hätte ihn besuchen müssen.
»Ich habe jetzt keine Zeit«, sage ich.
»Du brauchst kein Geld mehr«, antwortet Phöbus.
»Sie haben mir nie etwas gegeben –«
»Nichts für ungut«, flötet mein Onkel Phöbus.
Inhaltsverzeichnis
Ich verstand nicht, wozu Henry Bloomfield eigentlich gekommen war. Nur um die Musik spielen zu lassen? Damit die Damen kämen?
Eines Tages tauchte Zlotogor, Xaver Zlotogor, der Magnetiseur, im Fünf-Uhr-Saal auf. Er hatte sein schelmisches Judenjungengesicht aufgesetzt, er ging zwischen den Tischen herum und begrüßte die Damen, und sie nickten ihm alle freundlich zu und baten ihn, Platz zu nehmen. Er mußte sich an jeden Tisch setzen, überall saß er fünf Minuten und stand auf, und dann küßte er den Damen die Hände, er küßte fünfundzwanzig Hände in einer Stunde.
Er kam auch zu mir, Zwonimir saß auch dabei und fragte ihn:
»Sind Sie der Mann mit dem Esel?«
»Ja«, sagte Zlotogor, ein bißchen befremdet, denn er war ein stiller Mensch, sein Element war die Lautlosigkeit, er haßte das Gepolter Zwonimirs.
»Ein guter Witz«, lobt Zwonimir weiter und weiß nicht, daß seine laute Fröhlichkeit nicht erwünscht ist.
Den Xaver Zlotogor konnte er allerdings nicht vertreiben. –
Im Gegenteil: Zlotogor setzte sich und erzählte mir, daß er eine gute Idee habe. Es war jetzt keine Saison für öffentlichen Magnetismus, er wollte die Ferien ausnützen und privat magnetisieren. Im Hotel, in seinem großen Zimmer im dritten Stock. Er wollte Damen empfangen, die an Kopfschmerzen litten.
»Prächtige Idee«, schreit Zwonimir.
»Herr Doktor«, schreit Zwonimir zum Militärarzt hinüber, und Zlotogor, der Magnetiseur, sitzt da, er hätte Zwonimir erdolchen mögen.
Aber Zwonimirs starker Natur schadet kein Magnetismus.
Der Militärarzt kommt herüber.
»Sie bekommen Konkurrenz«, sagt Zwonimir und zeigt auf den Magnetiseur.
Xaver Zlotogor sprang auf, er wollte größeres Unglück verhüten und das Geschrei Zwonimirs und erzählte deshalb selbst von seinen Absichten.
»Gott sei Dank«, sagt der Militärarzt, der nicht gerne arbeitet. »Da werde ich kein Aspirin mehr verschreiben. Ich schicke Ihnen alle Patienten.«
»Verbindlichen Dank«, sagt Zlotogor und verneigt sich.
Und am nächsten Tag kamen ein paar Damen und schickten Briefe zu Zlotogor hinauf. Ins Hotel traute sich keine, aber Zlotogor nahm es nicht genau. Er ging in die Häuser magnetisieren.
»Es ist merkwürdig«, sage ich zu Zwonimir, »siehst du, wie sich die Menschen verändern, weil Bloomfield, mein Chef, da ist? Jeder hat plötzlich geschäftliche Ideen in diesem Hotel und in dieser Stadt. Jeder will Geld verdienen.«
»Ich habe auch eine Idee«, sagte Zwonimir.
»Ja?«
»Bloomfield umzubringen.«
»Wozu?«
»So zum Spaß, das ist ja keine geschäftliche Idee, und sie hat auch keinen Zweck.«
»Weißt du übrigens, wozu Bloomfield da ist?«
»Um Geschäfte zu machen.«
»Nein, Zwonimir, Bloomfield pfeift auf diese Geschäfte. Ich möchte gerne wissen, weshalb er hier ist. Vielleicht liebt er eine Frau. Aber die könnte er ja hinübernehmen. Eine Frau ist kein Haus, aber sie kann auch verheiratet sein. Dann ist sie noch schwieriger fortzubringen als ein Haus. Ich glaube nicht, daß Bloomfield hierherkommt, um die Fabrik des seligen Maiblum zu reparieren. Juxgegenstände interessieren ihn nicht. Er hat Geld genug, um ein Viertel Amerikas mit Juxgegenständen zu versorgen. Ist er hierhergekommen, um in seiner Heimat ein Kino zu finanzieren? Er gibt nicht einmal dem Neuner Geld, und die Arbeiter streiken schon die fünfte Woche!«
»Weshalb gibt er kein Geld?« sagt Zwonimir.
»Frag ihn doch.«
»Ich werde ihn nicht fragen. Es geht mich nichts an. Es ist eine Gemeinheit.«
Mir schien, daß Neuner sich nur mit Bloomfield herausredete und daß ihm nichts mehr an den Fabriken lag. Es war eine schlechte Zeit, das Geld hatte seinen Wert verloren. Abel Glanz sagte, Neuner spekuliere lieber an der Züricher Börse, er handele mit Valuta. Er bekam jeden Tag Telegramme – sie kamen aus Wien, Berlin, London. Man kabelte ihm Kurse, er kabelte Aufträge, was ging ihn die Fabrik an.
Es war vergeblich, Zwonimir diese verwickelten Dinge zu erklären, er wollte sie nicht verstehen, weil er fühlte, daß es ihn Mühe kosten würde, und weil er eigentlich ein Bauer war, der täglich in die Baracken ging, nicht nur wegen der Heimkehrer, sondern weil die Baracken in der Nähe der Felder standen und Zwonimirs Seele sich sehnte nach den Garben und Sensen und Vogelscheuchen der heimatlichen Äcker.
Jeden Tag bringt er mir Nachrichten vom Weizen, und in seiner Tasche birgt er blaue Kornblumen. Er flucht, weil die Bauern hierzulande keine Ahnung haben von der richtigen Behandlung der Erde – sie lieben es, ihre Kühe laufen zu lassen, wie es den Tieren gefällt. Sie laufen auch in die Ähren, und man kann sie nur mit viel Mühe herauslocken.
Und die Vogelscheuchen und die Prellsteine kann er nicht vergessen.
Er kommt am Abend heim, Zwonimir Pansin, der Bauer, und bringt eine große Sehnsucht mit und ein gehütetes Heimweh. Er weckt in mir die Sehnsucht, und obwohl er sich nach Feldern sehnt und ich nach Straßen, steckt er mich an. Es ist so wie mit den Liedern der Heimat: Wenn einer sein Volkslied anstimmt, singt der andere sein eigenes, und die verschiedenen Melodien werden ähnlich, und alle sind nur wie verschiedene Instrumente einer Kapelle.
Des Menschen Heimweh erwacht draußen, es wächst und wächst, wenn keine Mauern es beengen.
Ich gehe Sonntag vormittag hinaus zwischen die Felder, mannshoch steht das Getreide, und der Wind hängt in den weißen Wolken. Ich gehe langsam dem Friedhof entgegen, ich will das Grab Santschins finden. Ich finde es nach langem Suchen. So viele Menschen waren in dieser kurzen Zeit gestorben und lauter Arme, denn sie lagen in der Nähe des Santschinschen Grabes. Es geht den Armen schlecht in dieser Zeit, und der Tod überliefert sie den Regenwürmern.
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