Diesmal sind es die Bauern, welche seitdem in den grossen Krisen des alten Frankreichs mehr als einmal plötzlich in furchtbarer Machtfülle aufgestanden sind. Damals lebten sie in altererbter Sklaverei, wenn das Verhältnis auch in der Regel nicht diesen Namen trug 122 . Eine Anzahl Bauern waren wirkliche Ackersklaven, andere erschienen als Leibeigene an die Scholle gebunden, wieder andere hiessen Kolonen, das heisst Kleinpächter auf halben Ertrag 123 ; auch bessergestellte Pächter um Geldzins fehlten nicht; endlich gab es eine Masse sogenannter freier Arbeiter und Taglöhner. Aber alle vereinte jetzt dasselbe Unglück. Die Grundeigentümer, ausgesogen durch die raubähnlich steigenden Bedürfnisse des entzweiten Staates, wollten sich an ihren Bauern erholen, gerade wie der französische Adel nach der Schlacht bei Poitiers, als es sich um die Loskaufssumme für die mit König Johann dem Guten gefangenen Ritter handelte. Das einemal nannte man, was daraus entstand die Bagauda, das anderemal die Jaquerie (1358). – Die Bauern und Hirten hatten scharenweise ihre Hütten verlassen, um auf Bettel herumzuziehen. Überall abgewiesen und von den Garnisonen der Städte verjagt, taten sie sich in Bagauden, das heisst Banden, zusammen. Ihr Vieh töteten sie und assen es auf; mit den Ackerwerkzeugen bewaffnet, auf ihren Ackerpferden beritten, durchzogen sie das flache Land, nicht nur, um für ihren Hunger zu sorgen, sondern um es in wahnsinniger Verzweiflung zu verwüsten 124 . Dann bedrohten sie die Städte, wo ihnen oft ein plünderungssüchtiger, im Elend verkommener Pöbel die Tore öffnete. Die allgemeine Desperation und die dem Gallier angeborene Sucht nach Abenteuern vergrösserten ihr Heer in kurzem dergestalt, dass sie es wagen konnten, zwei von den Ihrigen, Aelianus und Amandus, zu Kaisern zu erheben und so den Anspruch auf das gallische Imperium zu erneuern. Bunt und sonderbar mag die Hofhaltung dieser ländlichen Imperatoren ausgesehen haben; das dritte Jahrhundert hatte zwar Bauernsöhne und Sklavenkinder genug auf den Thron der Welt gesetzt, aber in der Regel solche, die in den Armeen und dann im kaiserlichen Generalstab eine Vorschule der Herrschaft durchgemacht hatten. Aelianus und Amandus besassen einen solchen Anspruch nicht, dafür aber möglicherweise einen andern, der die sonstigen Mängel aufwog. Die christliche Sage, nachweisbar seit dem siebenten Jahrhundert, hat sie nämlich zu Christen gemacht 125 und ihnen auf diese Weise ein Recht verliehen gegenüber den götzendienerischen Kaisern. Soviel darf immer angenommen werden, dass eine Menge Christen unter den Armen und Elenden waren, welche sich den Bagauden anschlossen. Wir können dasselbe von Verfolgten aller Art, sogar von Verbrechern vermuten 126 .
Es scheint, dass das südliche und westliche Gallien weniger von der Bewegung berührt wurde als der Norden und Osten, wo die Not der Barbaren wegen viel grösser sein musste. Eine Stunde über Vincennes hinaus bildet die strengfliessende Marne, kurz vor ihrem Ausfluss in die Seine, eine Halbinsel, auf deren Rücken später die Benediktinerabtei St. Maur-les-fosses erbaut wurde. Schon die alten Kelten hatten mit Vorliebe solche Punkte zu ihren Kriegsfesten ( oppida ) gewählt, und gewiss gab es an Ort und Stelle schon Wall, Graben und Mauern aus alter Zeit 127 , als Aelianus und Amandus die Halbinsel zum »Bagaudenschloss« machten, ein Name, den sie noch Jahrhunderte hindurch geführt hat, obwohl in dem einen Jahre 285 auf 286 das wenigste daran gebaut sein konnte. Von diesem unangreifbaren Punkte aus, dem durch keine Furt noch Untiefe beizukommen war, machten sie ihre Streifzüge in Nähe und Ferne; hieher schleppten sie auch ihre Beute zusammen. Sie waren mit der Zeit keck genug geworden, nicht nur schwächere Städte ohne weiteres zu brandschatzen, sondern auch stärkere zu belagern. Es gelang ihnen, das alte, weitläufige Augustodunum (Autun) einzunehmen, wo weder Tempel noch Hallen noch Thermen vor ihnen Gnade fanden; alles wurde ausgeraubt und zerstört, die Einwohner ins Elend vertrieben.
Es musste mit den Bagauden aufgeräumt werden, bevor sie auf diese Weise Stadt um Stadt und damit alle Haltpunkte gegen die Barbaren zugrunde richteten. Dies war die Aufgabe des damaligen Caesars Maximianus Herculius, der sich damit den Augustustitel verdiente. Wir erfahren nur, dass er rasch und leicht fertig wurde, indem er die Banden teils aufs Haupt schlug, teils durch Hunger, wozu sich eine Pest gesellte, zur Übergabe zwang. Ob irgendeine direkte Erleichterung der erdrückenden Lasten erfolgte, welche den Aufruhr hervorgerufen hatten, ist mehr als zweifelhaft, da die Klagen über allzu hohe Steuern sich eher vermehren. Mittelbar besserte sich wohl die Lage des Landes überhaupt, als in der Folge die Germanen für mehrere Jahrzehnte eingeschüchtert wurden und die Usurpation aufhörte; aber im fünften, vielleicht schon im vierten Jahrhundert riefen ähnliche Ursachen auch wieder ähnliche Wirkungen hervor; die Bagauda hob wieder ihr Haupt empor 128 , und man möchte beinahe vermuten, dass sie nie ganz aufgehört hatte.
Doch wir kehren zu den Zeiten Diocletians zurück. Viele Gegenden Galliens lagen bleibend darnieder; die tiefverschuldeten Landbesitzer um Autun zum Beispiel hatten noch unter Constantin 129 sich nicht so weit erholt, dass sie auch nur die alte Bewässerung und Reutung hätten in Gang setzen können, so dass ihr Boden in Sumpf und Gestrüpp ausartete; die Burgunderreben starben ab; das Waldgebirg füllte sich mit wilden Tieren. »Die Ebne bis an die Saone war einst fröhlich und reich, solange man die Gewässer in Ordnung hielt – jetzt sind die Niederungen zum Flussbett oder zur Pfütze geworden; die gewaltigen Weinstöcke sind verholzt und verwildert 130 , und neue kann man nicht pflanzen . . . Von der Stelle an, wo der Weg auswärts führt nach dem belgischen Gallien (also so ziemlich von Autun selbst an), ist alles wüste, stumme, düstere Einöde; selbst die Heerstrasse ist schlecht und uneben und erschwert den Transport der Früchte sowohl als die öffentlichen Sendungen.« – Im Mittelalter kam es auch einmal, um die Zeit der Jungfrau von Orleans, so weit, dass die Rede ging: es stehe von der Picardie bis Lothringen kein Bauernhaus mehr aufrecht; allein was eine lebenskräftige Nation in zwanzig Jahren wieder einholt, gereicht einer abzehrenden zur tödlichen Einbusse.
Was halfen da die grossen und dauernden Anstrengungen des Maximian und Constantius? Mit der Deckung des Rheines, wozu sie es samt aller Tapferkeit und allem Talent brachten, war doch erst die Möglichkeit einer Heilung des zerstörten Innern gegeben, aber noch lange nicht die Heilung selbst. Immerhin wirkte die Tätigkeit der beiden Fürsten nachhaltig, so dass die Germanen auf längere Zeit die Schläge fühlten. Mehrmals zieht Maximian gewaltig über den Rhein, gleich Probus, und bändigt (287–288) Burgundionen, Alamannen, Heruler und Franken 131 ; Constantius befreit das Bataverland von den letztern (294) und schlägt die wieder hereingebrochenen Alamannen in der furchtbaren Schlacht bei Langres (298, nach andern 300), wo ihrer 60 000 fielen. Allerdings kam den Römern dabei eine innere Krisis unter den Germanen zustatten, von der wir nur leider zu wenig wissen. »Die Ostgoten«, heisst es 132 , »zernichten die Burgundionen, aber für die Besiegten waffnen sich die Alamannen; die Westgoten, mit einer Schar Taifalen, kämpfen gegen Vandalen und Gepiden . . . Die Burgundionen haben die Gegend der Alamannen weggenommen, aber mit schwerem Verlust bezahlt, und nun wollen die Alamannen das Verlorne wieder erkämpfen.« Hier liegt offenbar die Erklärung der seltsamen, immer nur auf kurze Zeit gestörten Waffenruhe zwischen Römern und Deutschen unter Constantin dem Grossen; die welthistorische Veränderung, welche er zu leiten hatte, sollte ohne allzu bedeutende Störung von aussen sich vollziehen können; ebendazu musste gleichzeitig im fernen Osten der Friedensschluss vom Jahr 297 und die Minderjährigkeit des Sassaniden Sapor II. dienen.
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