Self-Assessments
Es gebe in den Verwaltungsräten auch die sogenannten Self-Assessments. Dabei handelt es sich um eine Selbstevaluation der einzelnen Verwaltungsratsmitglieder. Sie bewerten ihre Leistung, ihre Stärken, ihre Erwartungen und auch ob sie die jeweiligen Ziele erfüllt haben. Die Resultate werden im Verwaltungsrat diskutiert und jeder hat die Möglichkeit, sich mit seinen Kollegen zu vergleichen. Dort sollte jeder Verwaltungsrat knallhart sagen, wie man etwas empfinde. Es bringe nichts, um den Brei herumzureden oder etwas zu beschönigen. Man könne es ja anständig formulieren; der Respekt gehöre dazu.
Verwaltungsräte äusserten sich dazu wie folgt:
Teambildung – Reisen
Es spiele für ihn keine Rolle, ob er ein Verwaltungsratsmitglied schon aus der Vergangenheit kenne. Bei einer Neubesetzung versuche er, die Besten aufgrund ihres Curriculums, ihrer Leistungen und Erfahrungen zu analysieren und dann ein Gespräch zu führen. Er ginge sogar so weit, es vorzuziehen, jemanden vorher nicht gekannt zu haben; so gebe es keine Belastungen und auch keinen freundschaftlichen Gefallen, den man zurückgeben sollte. Seine Aufmerksamkeit gelte dem Team. Starke individuelle Persönlichkeiten, die nur auf sich selber schauen, möchte er darin nicht haben. Die Teamfähigkeit eines Verwaltungsrates und die Einstellung, die Firma in den Vordergrund stellen und nicht sich selbst, spielten für ihn eine zentrale Rolle. Das Team dürfe durchaus auch kontroverse Elemente beinhalten. Er möchte die Herausforderung und die Diskussion, aber man müsse als Mensch fähig sein, am Schluss einen Teamentscheid zu akzeptieren, auch wenn er nicht den eigenen Ideen entspreche – in dieser Hinsicht könnte es wieder ein Vorteil sein, jemanden schon gut zu kennen. Er investiere viel Zeit für ein Auswahlverfahren, um sicher zu gehen, ein gutes Team formen zu können. Man könne mit ganz einfachen Dingen ein Team bilden. Am Vorabend einer Verwaltungsratssitzung gebe es etwa ein Nachtessen, manchmal mit dem CEO, dann sei es ein Geschäftsessen. Oder auch ohne CEO, wenn man keine entsprechenden Themen habe; dann würde allgemein diskutiert, um das Team zu formen. Der gesamte Verwaltungsrat mache überdies eine Reise pro Jahr; auch dort gebe es Zeit, zwischen Sitzungen und Kundenbesuchen ganz locker zu diskutieren und zu schwatzen. Zusätzlich gehe der Verwaltungsrat in eine zweitägige Retraite, nicht am Hauptsitz, sondern irgendwo in der Nähe an einem abgelegenen Ort, um Strategien zu besprechen und Zeit für informelle Gespräche zu haben. Bei all diesen Reisen und damit verbundenen Sitzungen gehe es ihm stark um das Zwischenmenschliche, weil das für ihn der Kernpunkt eines zu Höchstleistungen fähigen Teams sei. Er komme aus einer 30-jährigen Firmenkultur, die stark auf einer teamorientierten Entscheidungskultur beruhe, das habe ihn natürlich geprägt. Er sei ein absoluter Fan von Teamfähigkeit, aber mit klaren Richtlinien. Ein einmal gefällter Entscheid sei ein Entscheid, der nicht mehr diskutiert würde, und es werde eingeführt, was entschieden wurde.
Zusammenspannen – Machos
Mit der Zeit würden sich Beziehungen entwickeln, das könne man nicht verhindern. In seinem Verwaltungsrat hätten sich die Mitglieder vorher nicht gekannt. Es sei natürlich nicht gut, wenn zwei Mitglieder immer derselben Meinung seien und man spüre, dass die beiden eine besondere Beziehung pflegten. Er erinnere sich an eine Sitzung, in der ein Verwaltungsrat zu einem Thema eine spezielle Meinung hatte. Es wurde nicht in seinem Sinne entschieden. Zwei Tage später habe er von einem anderen Mitglied einen Anruf erhalten, um dasselbe Thema nochmals anders aufzubringen. Er habe sofort gemerkt, dass die beiden miteinander gesprochen hätten. Das sei nicht offen, und ihm sei echte Transparenz wichtig. Es sei auch nicht gut, wenn sich zwei Frauen in dem Sinne zusammentäten, um gemeinsam eine Idee verteidigen zu müssen. Das sei für ihn ebenso absolut inakzeptabel wie wenn sich Männer als Machos aufführten.
Enttäuschungen – keine Firmenloyalität
Die Beziehungen sollten auf einer so weit wie möglich klaren geschäftlichen Basis funktionieren. Probleme, wie er sie beobachtet habe, seien genau deshalb entstanden, weil es persönliche Beziehungen gab. Entweder seien diese Beziehungen im Verwaltungsrat entstanden, falls sich die Leute vorher nicht gekannt hätten, oder sie seien schon vorher dagewesen und die Leute hätten sich im Verwaltungsrat wieder getroffen. Eine Firma sei eine rechtliche Körperschaft, klar definiert durch das Gesetz, und nicht etwas Persönliches. Ihre Existenz habe einen einzigen Grund, nämlich zu überleben. Eine Firma kenne auch keine Loyalität. Die Leute, die für das Unternehmen arbeiten, zeichneten sich durch ihre Managementqualität und Loyalität aus. Enttäuschung komme in dem Moment auf, wo diese Menschen realisierten, dass die Firma keine Loyalität zeige; dies etwa, wenn sie in Schwierigkeiten komme. Viele Angestellte würden glauben, die Firma sei eine menschliche Person; gerade das sei sie aber nicht. Der Verwaltungsrat sei bei grossen, kotierten Unternehmen nicht der Besitzer, er erhalte lediglich jedes Jahr einen Lohn und sei von Gesetzes wegen verpflichtet, Massnahmen zu treffen, damit die Firma überlebe. Und genau da gingen dann viele dieser menschlichen Eigenschaften, die man schätze, verloren. Wenn also jemand zwanzig oder dreissig Jahre für eine Firma gearbeitet habe und dies richtigerweise, – denn vielleicht hätte er sogar für mehr Geld wechseln können –, auch als Loyalität ihr gegenüber auslege, müsse er bei Schwierigkeiten enttäuscht die negative Erfahrung machen, dass er wie jeder andere, der vielleicht gerade mal zwei Jahre dort gearbeitet habe, auf die Strasse gestellt würde. Es sei unmöglich, 50 000 Angestellte zu kennen, aber man sollte im Grossen und Ganzen wissen, wie gut sie seien und welche ersetzt werden müssten und welche nicht. Dann könne man Letzteren für ihre Loyalität etwas zugestehen. Aber meist sei es eben so, dass eine Firma, die in ernsthafte Schwierigkeiten gerate, zu diesem Zeitpunkt kein gutes Management und keinen guten Verwaltungsrat habe. Deshalb würden diese Unfälle überhaupt passieren.
Dysfunktionalität – Persönlichkeitsstrukturen
Das Geschäft finde in einem Verwaltungsrat als Diskurs statt. Man unterhalte sich, hinterfrage Dinge, stelle Hypothesen auf und habe Visionen. Da sei es wichtig, in welchen Rollen man miteinander spreche und wie die Rollen gelebt würden. Das Persönliche sei schon sehr wichtig: in einem Verwaltungsrat müsse man auch verstehen und vermitteln können. Da komme es enorm darauf an, wie die persönlichen Beziehungen unter den Verwaltungsratsmitgliedern seien. Sie könnten auch dysfunktional sein, beispielsweise, wenn jemand permanent versuche, dominant aufzutreten und immer recht haben möchte. Das sei nur eine von vielen Persönlichkeitsstrukturen; extrem wichtig scheine es ihm, dass man diese kenne und verstehe. Es müsse eine Art und Weise gefunden werden, miteinander umzugehen, unterschiedliche Meinungen zu erlauben und gleichzeitig auch einen Konsens zuzulassen. All das sei geprägt durch die individuelle Persönlichkeit und Erfahrung, kurz das, was man in einen Verwaltungsrat mitbringe.
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