O sendetest du mich auf Schiffen hin!
Du gäbest mir und allen neues Leben.
THOAS.
So kehr zurück! Tu was dein Herz dich heißt;
Und höre nicht die Stimme guten Rats
465Und der Vernunft. Sei ganz ein Weib und gib
Dich hin dem Triebe, der dich zügellos
Ergreift und dahin oder dorthin reißt.
Wenn ihnen eine Lust im Busen brennt,
Hält vom Verräter sie kein heilig Band,
470Der sie dem Vater oder dem Gemahl
Aus langbewährten, treuen Armen lockt;
Und schweigt in ihrer Brust die rasche Glut,
So dringt auf sie vergebens treu und mächtig
Der Überredung goldne Zunge los.
IPHIGENIE.
475Gedenk, o König, deines edeln Wortes!
Willst du mein Zutraun so erwidern? Du
Schienst vorbereitet, alles zu vernehmen.
THOAS.
Aufs Ungehoffte war ich nicht bereitet;
Doch sollt ich’s auch erwarten: wusst ich nicht,
480Dass ich mit einem Weibe handeln ging?
IPHIGENIE.
Schilt nicht, o König, unser arm Geschlecht.
Nicht herrlich wie die euern, aber nicht
Unedel sind die Waffen eines Weibes.
Glaub es, darin bin ich dir vorzuziehn,
485Dass ich dein Glück mehr als du selber kenne.
Du wähnest, unbekannt mit dir und mir,
Ein näher Band werd uns zum Glück vereinen.
Voll guten Mutes, wie voll guten Willens,
Dringst du in mich, dass ich mich fügen soll;
490Und hier dank ich den Göttern, dass sie mir
Die Festigkeit gegeben, dieses Bündnis
Nicht einzugehen, das sie nicht gebilligt.
THOAS.
Es spricht kein Gott; es spricht dein eignes Herz.
IPHIGENIE.
Sie reden nur durch unser Herz zu uns.
THOAS.
495Und hab Ich, sie zu hören, nicht das Recht?
IPHIGENIE.
Es überbraust der Sturm die zarte Stimme.
THOAS.
Die Priesterin vernimmt sie wohl allein?
IPHIGENIE.
Vor allen andern merke sie der Fürst.
THOAS.
Dein heilig Amt und dein geerbtes Recht
500An Jovis Tisch bringt dich den Göttern näher,
Als einen erdgebornen Wilden.
IPHIGENIE.
So
Büß ich nun das Vertraun, das du erzwangst.
THOAS.
Ich bin ein Mensch; und besser ist’s wir enden.
So bleibe denn mein Wort: Sei Priesterin
505Der Göttin, wie sie dich erkoren hat;
Doch mir verzeih’ Diane, dass ich ihr
Bisher mit Unrecht und mit innerm Vorwurf
Die alten Opfer vorenthalten habe.
Kein Fremder nahet glücklich unserm Ufer;
510Von Alters her ist ihm der Tod gewiss.
Nur Du hast mich mit einer Freundlichkeit,
In der ich bald der zarten Tochter Liebe,
Bald stille Neigung einer Braut zu sehn
Mich tief erfreute, wie mit Zauberbanden
515Gefesselt, dass ich meiner Pflicht vergaß.
Du hattest mir die Sinnen eingewiegt,
Das Murren meines Volks vernahm ich nicht;
Nun rufen sie die Schuld von meines Sohnes
Frühzeit’gem Tode lauter über mich.
520Um deinetwillen halt ich länger nicht
Die Menge, die das Opfer dringend fordert.
IPHIGENIE.
Um meinetwillen hab ich’s nie begehrt.
Der missversteht die Himmlischen, der sie
Blutgierig wähnt; er dichtet ihnen nur
525Die eignen grausamen Begierden an.
Entzog die Göttin mich nicht selbst dem Priester?
Ihr war mein Dienst willkommner, als mein Tod.
THOAS.
Es ziemt sich nicht für uns, den heiligen
Gebrauch mit leicht beweglicher Vernunft
530Nach unserm Sinn zu deuten und zu lenken.
Tu deine Pflicht, ich werde meine tun.
Zwei Fremde, die wir in des Ufers Höhlen
Versteckt gefunden, und die meinem Lande
Nichts Gutes bringen, sind in meiner Hand.
535Mit diesen nehme deine Göttin wieder
Ihr erstes, rechtes, lang entbehrtes Opfer!
Ich sende sie hierher; du weißt den Dienst.
IPHIGENIE (allein).
Du hast Wolken, gnädige Retterin,
Einzuhüllen unschuldig Verfolgte,
540Und auf Winden dem eh’rnen Geschick sie
Aus den Armen, über das Meer,
Über der Erde weiteste Strecken
Und wohin es dir gut dünkt zu tragen.
Weise bist du und siehest das Künftige;
545Nicht vorüber ist dir das Vergangne,
Und dein Blick ruht über den Deinen
Wie dein Licht, das Leben der Nächte,
Über der Erde ruhet und waltet.
O enthalte vom Blut meine Hände!
550Nimmer bringt es Segen und Ruhe;
Und die Gestalt des zufällig Ermordeten
Wird auf des traurig-unwilligen Mörders
Böse Stunden lauern – und schrecken.
Denn die Unsterblichen lieben der Menschen
555Weit verbreitete gute Geschlechter,
Und sie fristen das flüchtige Leben
Gerne dem Sterblichen, wollen ihm gerne
Ihres eigenen, ewigen Himmels
Mitgenießendes fröhliches Anschaun
560Eine Weile gönnen und lassen.
Zweiter Aufzug
Erster Auftritt
OREST. PYLADES.
OREST.
Es ist der Weg des Todes, den wir treten:
Mit jedem Schritt wird meine Seele stiller.
Als ich Apollen bat, das grässliche
Geleit der Rachegeister von der Seite
565Mir abzunehmen, schien er Hülf und Rettung
Im Tempel seiner vielgeliebten Schwester,
Die über Tauris herrscht, mit hoffnungsreichen
Gewissen Götterworten zu versprechen;
Und nun erfüllet sich’s, dass alle Not
570Mit meinem Leben völlig enden soll.
Wie leicht wird’s mir, dem eine Götterhand
Das Herz zusammendrückt, den Sinn betäubt,
Dem schönen Licht der Sonne zu entsagen.
Und sollen Atreus’ Enkel in der Schlacht
575Ein siegbekröntes Ende nicht gewinnen;
Soll ich wie meine Ahnen, wie mein Vater
Als Opfertier im Jammertode bluten:
So sei es! Besser hier vor dem Altar,
Als im verworfnen Winkel, wo die Netze
580Der nahverwandte Meuchelmörder stellt.
Lasst mir so lange Ruh, ihr Unterird’schen,
Die nach dem Blut ihr, das von meinen Tritten
Hernieder träufend meinen Pfad bezeichnet,
Wie losgelassne Hunde spürend hetzt.
585Lasst mich, ich komme bald zu euch hinab;
Das Licht des Tags soll euch nicht sehn, noch mich.
Der Erde schöner grüner Teppich soll
Kein Tummelplatz für Larven sein. Dort unten
Such ich euch auf: dort bindet alle dann
590Ein gleich Geschick in ew’ge matte Nacht.
Nur dich, mein Pylades, dich, meiner Schuld
Und meines Banns unschuldigen Genossen,
Wie ungern nehm ich dich in jenes Trauerland
Frühzeitig mit! Dein Leben oder Tod
595Gibt mir allein noch Hoffnung oder Furcht.
PYLADES.
Ich bin noch nicht, Orest, wie du bereit,
In jenes Schattenreich hinabzugehn.
Ich sinne noch, durch die verworrnen Pfade,
Die nach der schwarzen Nacht zu führen scheinen,
600Uns zu dem Leben wieder aufzuwinden.
Ich denke nicht den Tod; ich sinn und horche,
Ob nicht zu irgendeiner frohen Flucht
Die Götter Rat und Wege zubereiten.
Der Tod, gefürchtet oder ungefürchtet,
605Kommt unaufhaltsam. Wenn die Priesterin
Schon unsre Locken weihend abzuschneiden
Die Hand erhebt, soll dein’ und meine Rettung
Mein einziger Gedanke sein. Erhebe
Von diesem Unmut deine Seele; zweifelnd
610Beschleunigest du die Gefahr. Apoll
Gab uns das Wort: im Heiligtum der Schwester
Sei Trost und Hülf und Rückkehr dir bereitet.
Der Götter Worte sind nicht doppelsinnig,
Wie der Gedrückte sie im Unmut wähnt.
OREST.
615Des Lebens dunkle Decke breitete
Die Mutter schon mir um das zarte Haupt,
Und so wuchs ich herauf, ein Ebenbild
Des Vaters, und es war mein stummer Blick
Ein bittrer Vorwurf ihr und ihrem Buhlen.
620Wie oft, wenn still Elektra meine Schwester
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