Das Wenige verschwindet leicht dem Blick,
145Der vorwärts sieht wie viel noch übrig bleibt.
ARKAS.
Doch lobst du den, der was er tut nicht schätzt?
IPHIGENIE.
Man tadelt den, der seine Taten wägt.
ARKAS.
Auch den, der wahren Wert zu stolz nicht achtet,
Wie den, der falschen Wert zu eitel hebt.
150Glaub mir und hör auf eines Mannes Wort,
Der treu und redlich dir ergeben ist:
Wenn heut der König mit dir redet, so
Erleichtr’ ihm, was er dir zu sagen denkt.
IPHIGENIE.
Du ängstest mich mit jedem guten Worte;
155Oft wich ich seinem Antrag mühsam aus.
ARKAS.
Bedenke was du tust und was dir nützt.
Seitdem der König seinen Sohn verloren,
Vertraut er wenigen der Seinen mehr,
Und diesen Wenigen nicht mehr wie sonst.
160Missgünstig sieht er jedes Edeln Sohn
Als seines Reiches Folger an; er fürchtet
Ein einsam hülflos Alter, ja vielleicht
Verwegnen Aufstand und frühzeit’gen Tod.
Der Skythe setzt ins Reden keinen Vorzug,
165Am wenigsten der König. Er, der nur
Gewohnt ist zu befehlen und zu tun,
Kennt nicht die Kunst, von weitem ein Gespräch
Nach seiner Absicht langsam fein zu lenken.
Erschwer’s ihm nicht durch ein rückhaltend Weigern,
170Durch ein vorsetzlich Missverstehen. Geh
Gefällig ihm den halben Weg entgegen.
IPHIGENIE.
Soll ich beschleunigen was mich bedroht?
ARKAS.
Willst du sein Werben eine Drohung nennen?
IPHIGENIE.
Es ist die schrecklichste von allen mir.
ARKAS.
175Gib ihm für seine Neigung nur Vertraun.
IPHIGENIE.
Wenn er von Furcht erst meine Seele löst.
ARKAS.
Warum verschweigst du deine Herkunft ihm?
IPHIGENIE.
Weil einer Priesterin Geheimnis ziemt.
ARKAS.
Dem König sollte nichts Geheimnis sein;
180Und ob er’s gleich nicht fordert, fühlt er’s doch
Und fühlt es tief in seiner großen Seele,
Dass du sorgfältig dich vor ihm verwahrst.
IPHIGENIE.
Nährt er Verdruss und Unmut gegen mich?
ARKAS.
So scheint es fast. Zwar schweigt er auch von dir;
185Doch haben hingeworfne Worte mich
Belehrt, dass seine Seele fest den Wunsch
Ergriffen hat, dich zu besitzen. Lass,
O überlass ihn nicht sich selbst! damit
In seinem Busen nicht der Unmut reife
190Und dir Entsetzen bringe, du zu spät
An meinen treuen Rat mit Reue denkest.
IPHIGENIE.
Wie? sinnt der König, was kein edler Mann,
Der seinen Namen liebt und dem Verehrung
Der Himmlischen den Busen bändiget,
195Je denken sollte? Sinnt er vom Altar
Mich in sein Bette mit Gewalt zu ziehn?
So ruf ich alle Götter und vor allen
Dianen die entschlossne Göttin an,
Die ihren Schutz der Priesterin gewiss,
200Und Jungfrau einer Jungfrau, gern gewährt.
ARKAS.
Sei ruhig! Ein gewaltsam neues Blut
Treibt nicht den König, solche Jünglingstat
Verwegen auszuüben. Wie er sinnt,
Befürcht ich andern harten Schluss von ihm,
205Den unaufhaltbar er vollenden wird:
Denn seine Seel ist fest und unbeweglich.
Drum bitt ich dich, vertrau ihm; sei ihm dankbar,
Wenn du ihm weiter nichts gewähren kannst.
IPHIGENIE.
O sage was dir weiter noch bekannt ist.
ARKAS.
210Erfahr’s von ihm. Ich seh den König kommen;
Du ehrst ihn, und dich heißt dein eigen Herz,
Ihm freundlich und vertraulich zu begegnen.
Ein edler Mann wird durch ein gutes Wort
Der Frauen weit geführt.
IPHIGENIE (allein).
Zwar seh ich nicht,
215Wie ich dem Rat des Treuen folgen soll.
Doch folg ich gern der Pflicht, dem Könige
Für seine Wohltat gutes Wort zu geben,
Und wünsche mir, dass ich dem Mächtigen,
Was ihm gefällt, mit Wahrheit sagen möge.
IPHIGENIE. THOAS.
IPHIGENIE.
220Mit königlichen Gütern segne dich
Die Göttin! Sie gewähre Sieg und Ruhm
Und Reichtum und das Wohl der Deinigen
Und jedes frommen Wunsches Fülle dir!
Dass, der du über viele sorgend herrschest,
225Du auch vor vielen seltnes Glück genießest.
THOAS.
Zufrieden wär ich, wenn mein Volk mich rühmte:
Was ich erwarb, genießen andre mehr
Als ich. Der ist am glücklichsten, er sei
Ein König oder ein Geringer, dem
230In seinem Hause Wohl bereitet ist.
Du nahmest Teil an meinen tiefen Schmerzen,
Als mir das Schwert der Feinde meinen Sohn,
Den letzten, besten, von der Seite riss.
So lang die Rache meinen Geist besaß,
235Empfand ich nicht die Öde meiner Wohnung;
Doch jetzt, da ich befriedigt wiederkehre,
Ihr Reich zerstört, mein Sohn gerochen ist,
Bleibt mir zu Hause nichts das mich ergetze.
Der fröhliche Gehorsam, den ich sonst
240Aus einem jeden Auge blicken sah,
Ist nun von Sorg und Unmut still gedämpft.
Ein jeder sinnt was künftig werden wird,
Und folgt dem Kinderlosen, weil er muss.
Nun komm ich heut in diesen Tempel, den
245Ich oft betrat um Sieg zu bitten und
Für Sieg zu danken. Einen alten Wunsch
Trag ich im Busen, der auch dir nicht fremd,
Noch unerwartet ist: ich hoffe, dich
Zum Segen meines Volks und mir zum Segen,
250Als Braut in meine Wohnung einzuführen.
IPHIGENIE.
Der Unbekannten bietest du zu viel,
O König, an. Es steht die Flüchtige
Beschämt vor dir, die nichts an diesem Ufer
Als Schutz und Ruhe sucht, die du ihr gabst.
THOAS.
255Dass du in das Geheimnis deiner Abkunft
Vor mir wie vor dem Letzten stets dich hüllest,
Wär unter keinem Volke recht und gut.
Dies Ufer schreckt die Fremden: das Gesetz
Gebietet’s und die Not. Allein von dir,
260Die jedes frommen Rechts genießt, ein wohl
Von uns empfangner Gast nach eignem Sinn
Und Willen ihres Tages sich erfreut,
Von dir hofft ich Vertrauen, das der Wirt
Für seine Treue wohl erwarten darf.
IPHIGENIE.
265Verbarg ich meiner Eltern Namen und
Mein Haus, o König, war’s Verlegenheit,
Nicht Misstraun. Denn vielleicht, ach wüsstest du,
Wer vor dir steht, und welch verwünschtes Haupt
Du nährst und schützest; ein Entsetzen fasste
270Dein großes Herz mit seltnem Schauer an,
Und statt die Seite deines Thrones mir
Zu bieten, triebest du mich vor der Zeit
Aus deinem Reiche; stießest mich vielleicht,
Eh zu den Meinen frohe Rückkehr mir
275Und meiner Wandrung Ende zugedacht ist,
Dem Elend zu, das jeden Schweifenden,
Von seinem Haus Vertriebnen überall
Mit kalter fremder Schreckenshand erwartet.
THOAS.
Was auch der Rat der Götter mit dir sei,
280Und was sie deinem Haus und dir gedenken;
So fehlt es doch, seitdem du bei uns wohnst
Und eines frommen Gastes Recht genießest,
An Segen nicht, der mir von oben kommt.
Ich möchte schwer zu überreden sein,
285Dass ich an dir ein schuldvoll Haupt beschütze.
IPHIGENIE.
Dir bringt die Wohltat Segen, nicht der Gast.
THOAS.
Was man Verruchten tut, wird nicht gesegnet.
Drum endige dein Schweigen und dein Weigern;
Es fordert dies kein ungerechter Mann.
290Die Göttin übergab dich meinen Händen;
Wie du ihr heilig warst, so warst du’s mir.
Auch sei ihr Wink noch künftig mein Gesetz:
Wenn du nach Hause Rückkehr hoffen kannst,
So sprech ich dich von aller Fordrung los.
295Doch ist der Weg auf ewig dir versperrt,
Und ist dein Stamm vertrieben, oder durch
Ein ungeheures Unheil ausgelöscht,
So bist du mein durch mehr als Ein Gesetz.
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