Natürlich gab es auch in der Vergangenheit bereits mehr oder weniger komplexe Systeme. Das Geschäftsleben ist von jeher voller Überraschungen, unerwarteter Ereignisse und unvorhersehbarer Zwischenfälle: eine Maschine, die aus unerfindlichen Gründen ausgefallen ist, eine Gesetzesänderung oder auch die unerwartete Nachfrage nach bestimmten Produkten oder Leistungen. Mir geht es aber um die Komplexität in Unternehmen, die sich deutlich verändert hat.
Vor allem in großen Systemen ist fast alles, womit wir im Alltag zu tun haben, sehr kompliziert geworden: Produkte, die wir entwerfen, Jobs, die wir erledigen, und auch Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten. Stärkster Treiber dieses Anstiegs ist sicherlich die informationstechnologische Revolution der letzten Jahrzehnte. Denn Systeme, die früher noch getrennt voneinander gearbeitet haben, werden jetzt miteinander verbunden und dadurch voneinander abhängig. Sie sind per Definition schon komplexer geworden.
Komplexe Unternehmen sind viel schwerer zu managen, als wenn nur einzelne Probleme komplizierter Natur sind. Denn je komplexer etwas ist, desto diffiziler wird es, Vorhersagen über einen möglichen Ausgang zu treffen – komplexe Systeme reagieren einfach unerwartet und unvorhersehbar. Komplexe Unternehmen sind auch viel schwieriger zu verstehen und zu durchdringen, weil vieles jenseits der menschlichen kognitiven Grenzen liegt. Auch ist das Verhalten eines komplexen Systems in der Vergangenheit ein anderes, als es zukünftig sein wird.
Erschwerend kommt hinzu, dass wir zwar wissen, wie komplex die Strukturen sind und dass Unternehmen etwas ändern müssen, aber dieses Wissen allein reicht nun mal nicht. Fraglich ist zudem, ob es bereits das wirtschaftliche Denken der Manager von heute durchdrungen hat. Denn es ist letztlich dieses Denken, das den Einzug in die Schulen hält, die wiederum die Manager von morgen ausbilden.
Aber sehen wir uns einmal genauer an, wie sich diese neue Komplexität zeigt und wie die daraus entstandenen Probleme gelöst werden können.
Kompliziert versus komplex
Die Adjektive »kompliziert« und »komplex« werden oft mehr oder weniger synonym verwendet. Es ist ein Leichtes, das Komplizierte mit dem Komplexen zu verwechseln. Während im alltäglichen Sprachgebrauch die Unterscheidung nicht so streng genommen wird, ist es aber Pflicht für Manager, den Unterschied zu kennen. Denn es gibt ein böses Erwachen, wenn Sie ein komplexes Unternehmen managen, als wäre es komplizierter Natur!
Bevor wir ins Detail gehen, möchte ich eine kurze und vereinfachte Unterteilung der Begrifflichkeiten vorstellen.
Einfache Systeme enthalten nur wenige Wechselwirkungen und sind äußerst vorhersehbar. Nehmen Sie zum Beispiel das Scheinwerferlicht: Es ein- und auszuschalten ist die gleiche Aktion, die jedes Mal zum gleichen Ergebnis führt.
Die Merkmale von einfachen Systemen sind:
•Es gibt nur eine kleine Anzahl von Elementen.
•Es gibt wenig bis gar keine Wechselwirkung zwischen den Elementen.
•Sofern vorhanden, sind die Wechselwirkungen zwischen Elementen sehr gut organisiert.
•Die Attribute der Elemente sind vordefiniert.
•Gut definierte Vorgaben regeln das Verhalten.
•Das System entwickelt sich im Laufe der Zeit nicht weiter.
•Eventuelle Subsysteme verfolgen keine eigenen Ziele.
•Das System ist nicht von Verhaltensänderungen seiner Mitglieder betroffen.
•Das System ist für die Umwelt geschlossen.
Komplizierte Systeme hingegen bestehen aus vielen unterschiedlichen Elementen. Diese arbeiten auf nachvollziehbare Art und Weise. Der Motor eines Autos ist beispielsweise ein kompliziertes System. Wenn er nicht funktioniert, gibt es viele mögliche Ursachen. Normalerweise liegt aber ein bestimmter, erkennbarer und behebbarer Grund dafür vor, warum der Motor nicht anspringt. Es ist durchaus möglich, genaue Vorhersagen darüber zu treffen, wie sich das komplizierte System verhalten wird. Oder ein anderes Beispiel: Das Bauen eines Flugzeugs ist kompliziert, folgt aber vorhersehbaren Schritten.
Die Merkmale komplizierter Systeme:
•Das System wird von zwei oder mehr Faktoren beeinflusst.
•Diese Faktoren sind bekannt und beherrschbar.
•Die Faktoren stehen nicht in Wechselwirkung zueinander.
Im Gegensatz dazu sind komplexe Systeme durch verwobene Elemente charakterisiert, die für sich betrachtet auf strukturierte Weise funktionieren können, die sich jedoch durch Interaktion untereinander ständig gegenseitig beeinflussen. Drei Eigenschaften bestimmen die Komplexität einer Umgebung:
1. Vielfalt:Hier geht es um die Anzahl der möglicherweise interagierenden Elemente.
2. Interdependenz:Dieser Terminus zielt auf die Frage, welche Beziehung zwischen den einzelnen Elementen besteht.
3. Diversität:Mit diesem Begriff wird der eigentliche Grad der Heterogenität beschrieben.
Je größer nun Vielfalt, Interdependenz und Diversität sind, desto größer ist auch die Komplexität. Das Wachstum eines Lebewesens ist zum Beispiel extrem komplex: Es spielen dabei so viele unterschiedliche und voneinander abhängige Elemente eine Rolle, dass die Vorhersehbarkeit begrenzt ist. Die Implementierung eines Design-Thinking-Mindsets in Ihrem Unternehmen hingegen ist meist kompliziert, aber die verschiedenen Prozessschritte, die Methoden und die Auswirkungen lassen sich relativ einfach vorhersagen.
Die Merkmale komplexer Systeme:
•Komplexe Systeme bestehen aus einzelnen Elementen, die miteinander in Wechselwirkung stehen.
•Schon wenige Wechselwirkungen oder minimale Unterschiede in den Anfangsbedingungen führen oft zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen.
•Im Gegensatz zu komplizierten Systemen können komplexe Systeme emergent sein. Das bedeutet, dass sich neue Eigenschaften oder Strukturen innerhalb eines Systems infolge des Zusammenspiels der Elemente bilden.
•Wechselwirkungen zwischen den Elementen innerhalb des Systems sind lokal, die Auswirkungen gehen aber in der Regel darüber hinaus.
•Komplexe Systeme stehen im Kontakt mit ihrer Umgebung und sind von einem permanenten Durchfluss von Energie abhängig.
•Sie bilden selbstständig stabile Strukturen und sind in der Lage, Informationen zu verarbeiten bzw. zu lernen.
•Sie haben die Fähigkeit zur inneren Harmonisierung.
•Das Verhalten des Systems ist nicht nur vom aktuellen Zustand, sondern auch von der Vorgeschichte des Systems abhängig.
•Das System ist unabhängig von den Anfangsbedingungen, das heißt, es hat kein konkretes Ziel oder Vorgehen, das bereits am Anfang feststünde.
Der Unterschied zwischen komplizierten und komplexen Systemen
An dieser Stelle lässt sich also festhalten, dass der Hauptunterschied zwischen komplizierten und komplexen Systemen darin liegt, dass Sie bei Ersteren normalerweise Ergebnisse vorhersagen können, wenn Sie die Ausgangslage kennen, bei Letzteren dagegen nicht. In einem komplexen System können die gleichen Bedingungen zu vollkommen anderen Ergebnissen führen, da die Elemente abhängig von den Wechselwirkungen im System sind. So ist das Auto für sich betrachtet kompliziert, aber das Verhalten der Autofahrer ist ein komplexes System, da die Fahrweise sich ständig ändert – je nach Reaktion auf Wetter, andere Fahrer, Fahrbahn etc. Der Ausgang ist nicht vorhersagbar, weil das System sich kontinuierlich anpasst, sobald sich irgendeine Komponente in Bezug zu einer anderen ändert.
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