Seit April 1842 schrieb Engels für die „Rheinische Zeitung“ kritische Berichte gegen die preußische Politik und begegnete bei einem Abstecher in die Kölner Redaktion Karl Marx. Marx „muß den elegant gekleideten und sich radikal gebärdenden Journalisten eher befremdlich gefunden haben – und der begegnete einem ungepflegten Ungetüm“ 6, meint der Marx-Biograf Raddatz zu der ersten Begegnung. Seiner Ansicht nach war Engels’ politische Meinung zu „Marx’´ Politikverständnis … zu dieser Zeit diametral entgegengesetzt, er…hält das Einschmuggeln kommunistischer oder sozialistischer Dogmen für geradezu unsittlich.“ 7Chefredakteur Marx hatte sich von dem Gebaren und der Denk- und Ausdrucksweise der Berliner „Freien“, mit denen er im Doktor-Club so gerne verkehrt hatte, entschieden distanziert und damit auch von dem aufmüpfigen, radikalen Fabrikantensohn.
Auf Wunsch des Vaters brachte Friedrich Engels ab dem Winter 1842 in Manchester seine berufliche Ausbildung zu Ende. Dort lernte er die irische Arbeiterin Mary Burns kennen, die angeblich seit ihrem neunten Lebensjahr bei Ermen und Engels arbeitete, vielleicht aber, als sie Engels begegnete, ihr Dasein inzwischen als Dienstmädchen fristete. Sie wurden ein Liebespaar.
Während seiner fast zweijährigen Ausbildung in Manchester analysierte Engels die erbärmlichen Lebensumstände, die Verelendung und Ausbeutung der Fabrikarbeiter, unterstützt von Mary Burns, die ihm die elendesten Viertel in Salford und Manchester zeigte und ihn mit Arbeiter/innen zusammenbrachte. Somit waren die Eindrücke, die Engels 1845 in seinem Buch „Die Lage der arbeitenden Bevölkerung in England“ niederschrieb, auch ihr zu verdanken. Engels kritisierte ähnlich wie in seinen „Briefen aus dem Wuppertal“ die elenden Wohnquartiere, die Kinderarbeit, die berufsbedingten Krankheiten, die hohe Sterblichkeitsrate, die katastrophalen hygienischen Zustände und die Knebelung durch das Truck- und Cottagesystem. In diesem Zusammenhang bedauerte er auch den hohen Alkoholkonsum der Arbeiter, den er als Ausflucht aus ihrer ausweglosen Situation deutete.
Ausgerechnet der Fabrikantensohn Engels entwickelte wesentliche Kerngedanken zur sozialen Revolution. Ausgehend von „herbei geredeten“ Krisen, prognostizierte er, werde sich das Proletariat bilden und dieses werde „bald die ganze Nation mit Ausnahme weniger Millionäre ausmachen. In dieser Entwicklung tritt aber eine Stufe ein, wo das Proletariat sieht, wie leicht es ihm wäre, die bestehende soziale Macht zu stürzen, und dann folgt die Revolution.“ 8Marx’ Angleichung an Engels’ Grundüberzeugung wurde das Fundament für ihre lebenslange Zusammenarbeit, die im Sommer 1844 begann. Nachdem Karl Marx und Friedrich Engels ihre übereinstimmung im Denken erkannt hatten, konnten sie sich nicht mehr voneinander trennen. Engels bezog sogar Quartier bei dem neuen Freund, als Frau Jenny mit Baby bei ihrer Mutter in Trier weilte.
Karl Marx und Friedrich Engels sahen sich nicht als Konkurrenten: Engels überließ Marx die intellektuelle Führung – nicht aus einem Unterlegenheitsgefühl heraus, sondern weil dieser ein großer Vordenker, ein Visionär war. Zudem hatte Marx sich universitäre Meriten erworben, die Engels zu seinem Leidwesen fehlten, aber er kompensierte dieses Manko durch seinen wachen Geist, seine Analysefähigkeit und Praxisbezogenheit. Er war dem Freund geistig und vom Schreibvermögen her ebenbürtig, das genügte ihm. Natürliche Großzügigkeit und großbürgerliche Selbstsicherheit, basierend auf Vermögen, waren seine Basis, während Marxens Selbstsicherheit auf seinen geistigen Fähigkeiten und seiner adligen Frau gründete. Liebknecht, der beide gut kannte, meinte, Engels sei im Umgang viel schroffer gewesen, nicht so gewinnend, zugänglich und liebenswürdig wie Marx. Auch rhetorisch war Marx der überlegene, obwohl sein Trierer Dialekt manchen etwas unverständlich war. „Arbeiter“ hatte sich aus seinem Munde für einen Zuhörer wie „Achtblättler“ angehört, und dieses Missverständnis wurde mit Freude weitererzählt. Engels war sprachbegabt, – er soll 12 Sprachen fließend gesprochen und insgesamt 20 beherrscht haben –, aber nicht sprechbegabt. „Er stottert in zwanzig Sprachen“, witzelte man und führte dieses Manko auf Nervosität zurück. Und doch beneidete Karl Marx den Freund, weil er so sein wollte wie dieser: ein Bonvivant und Schöngeist, kein Biedermann und verbissener Theoretiker, wie er einer war. Zudem konnte Engels gut zeichnen, ansprechend dichten und war auch vom Äußeren her eine imponierende Erscheinung. Beide waren am weiblichen Geschlecht sehr interessiert, aber nur einer durfte sich frei ausleben. Aus Sicht mancher Zeitgenossen war Engels ein frivoler Mensch, denn er führte ein unkonventionelles Privatleben; lange Jahre lebte er mit Mary Burns in wilder Ehe zusammen, und auch deren Schwester Lizzie lebte in Manchester in diesem Haushalt.
Die Freundschaft mit Marx wurde im Elternhaus von Engels stets mit größter Skepsis verfolgt, aber die Eltern gaben nicht auf, den Sohn dessen negativem Einfluss zu entziehen; im Gegenteil, der Vater sicherte Friedrichs Existenz durch eine Anstellung in der Baumwollspinnerei Ermen & Engels. Friedrich Engels sen. war zuversichtlich, der Sohn werde seine Hirngespinste mit fortschreitendem Alter aufgeben und ein tüchtiger Kapitalist werden. Diesen Wunsch erfüllte ihm der Sohn tatsächlich – und blieb doch zeitlebens seiner überzeugung treu. Elise Engels, die seinen Weg mit mütterlicher Sorge begleitete, erhielt 1871 hierfür einen Beweis. Sohn Friedrich bat seine Mutter, die in ihrer Zeitung über die Gewaltbereitschaft der französischen Kommunarden gelesen hatte, nicht alles zu glauben, was dort stehe und vor allem solle sie sich nicht aufhetzen lassen. 40.000 Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, seien von den Versaillern nach der Entwaffnung massakriert worden; aber darüber spreche in der Presse niemand. Nur über die Gräueltaten der Anderen, zu denen er sich zähle, ereifere man sich. Der Sohn betonte: „Daß ich an meinen Ansichten, die ich seit bald 30 Jahren habe, nichts geändert hatte, wußtest Du, und es mußte Dir auch nicht unerwartet sein, daß ich, sobald die Ereignisse mich dazu nötigten, sie nicht nur vertreten, sondern auch sonst meine Schuldigkeit tun würde. Du würdest Dich meiner schämen müssen, wenn ich es nicht täte. Wenn Marx nicht hier wäre oder gar nicht existierte, so würde das an der Sache gar nichts ändern. Es ist also sehr unrecht, ihm dies in die Schuhe zu schieben, ich erinnere mich aber freilich auch, daß früher Marx’ Verwandte behaupteten, ich hätte ihn verdorben.“ 9
Nach Ausbruch der Revolution 1848 war Engels in Köln für die „Neue Rheinische Zeitung“ tätig, hielt es allerdings nicht am Schreibtisch aus. Vom Kriegswesen fasziniert, konnte er, wie er Jenny Marx im Juli 1849 schrieb, „der Lust nicht widerstehn, den Krieg mitzumachen. Willich war der einzige Offizier der etwas taugte und so ging ich zu ihm und wurde sein Adjutant. Ich war in vier Gefechten, wovon zwei ziemlich unbedeutend, namentlich das bei Rastatt, und habe gefunden daß der vielgerühmte Muth des Dreinschlagens die allerordinärste Eigenschaft ist, die man haben kann. Das Kugelpfeifen ist eine ganz geringfügige Geschichte und während des ganzen Feldzugs hab’ ich trotz aller Feigheit kein Dutzend Leute gesehn die sich im Gefecht feig benahmen. Desto mehr aber ,tapfre Dummheit‘. Enfin ich bin überall glücklich durchgekommen, und au bout du compte ist es gut daß Einer von der N.RH.Z. dabei war, weil alles demokratische Lumpenpack in Baden und der Pfalz war und nun mit nicht gethanen Heldentaten renommirt. Es würde wieder geheißen haben: die Herren der N.RH.Z. seien zu feig sich zu schlagen. Von allen den Herren Demokraten aber hat sich Niemand geschlagen, außer mir und Kinkel.“ 10Engels war mächtig stolz auf sich und hatte auch eine treffliche Begründung für seine freiwillige Teilnahme an den Gefechten. Nur wer an Ort und Stelle mitkämpfe, könne wirklichkeitsgetreu berichten. Im Freundeskreis nannte man Friedrich Engels später „den General“. Im Mai 1849 beteiligte er sich am bergischen Aufstand und nach dessen Scheitern beschloss er, „wenn ich von Hause einiges Geld bekomme, so geh ich wahrscheinlich nach Lausanne oder Genf und seh was ich anfange. Unsre Kolonne, die sich brav geschlagen hat, ennuyirt mich und hier kann man nichts machen. Willich ist im Gefecht brav, kaltblütig, geschickt und von raschem, richtigem überblick, außer dem Gefecht aber plus ou moins langweiliger Ideologe und wahrer Sozialist.“ 11Engels ging in seinem Brief an Jenny Marx auch auf Distanz zu den anderen Revolutionären, die er ironisch-überheblich die „wahren Sozialisten“ nannte. Was waren Marx und Engels nach dieser Terminologie? Sie waren Kommunisten; denn „Kommunismus ist eine auf Wissenschaft begründete Lehre gegenüber utopischem Sozialismus und sozialer Quacksalberei wohlmeinender Bürger“ 12, so Engels’´ Definition im Jahre 1890. Im Rückblick auf die damalige Zeit deutete der Marx-Biograf Banning die Begriffe folgendermaßen: „Sozialismus bedeutete 1847 eine Bourgeoisiebewegung, Kommunismus eine Arbeiterbewegung. … Jener Teil der Arbeiter …, der, von der Unzulänglichkeit nur politischer Umwälzungen überzeugt, eine gründliche Reorganisation der Gesellschaft forderte, nannte sich in jenen Tagen kommunistisch.“ 13
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