1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 Mit anzusehen, wie der früher so muntere und selbstsichere Mann sich langsam, aber sicher in sich selbst verkroch, wie er sich seiner Frau gegenüber immer gereizter benahm und wie die Glut in seinen Augen allmählich erlosch, war kaum zu ertragen gewesen. Als vor sieben Wochen der Zusammenbruch kam, waren weder Marianne noch Flemming überrascht. Bei Dans Depression hatte es sich um eine Katastrophe mit Ansage gehandelt.
Jetzt, sieben Wochen später, ging es ihm wesentlich besser, aber er war noch weit davon entfernt, wieder der Alte zu sein. Und die Sorge war noch immer unüberhörbar, wenn sich seine engsten Vertrauten über ihn unterhielten. Nicht zuletzt diese Besorgnis hatte Flemming nach Rücksprache mit Marianne dazu bewogen, Dan in die Ermittlungen im Mordfall bei Kurt & Ko ein wenig miteinzubeziehen – als eine Art Therapie, bei der er sich zur Welt außerhalb der Gørtlergade 8 im Allgemeinen und zu seinem Arbeitsplatz im Besonderen verhalten musste.
»Flemming?« Dan wedelte mit der Hand, um Flemmings Gedankenkette zu unterbrechen. »Bist du noch da?«
»Ja, ja, entschuldige.« Flemming richtete sich in seinem Sessel auf und setzte den Kugelschreiber aufs Papier. »Fang ganz oben an. Sebastian Kurt?«
»Niemand nennt ihn anders als Kurt«, begann Dan. »Er ist einige Jahre älter als wir, vielleicht Ende vierzig. Jedenfalls ist er noch keine fünfzig – an das Fest würde ich mich erinnern.« Er lächelte. »Bevor er mich einstellte, hatte ich nie mit ihm gearbeitet, aber wir hatten natürlich voneinander gehört und uns auch ein paarmal getroffen, bei Preisverleihungen und so. Kurt ist verdammt gut. Diplomkaufmann, soweit ich weiß. Er war jahrelang Verwaltungsdirektor der dänischen Abteilung einer der größten internationalen Agenturen, bis er vor gut zehn Jahren Kurt & Ko gründete und ein paar der größten Kunden mitnahm.«
»Danke für den Lebenslauf. Aber wie ist er?«
»Als Mensch? Ach so, ziemlich in Ordnung, aber auch ziemlich von sich eingenommen. Er mag keine Gespräche, bei denen es nicht wenigstens am Rande um ihn geht.« Dan machte eine Pause, bevor er fortfuhr: »Das Personal verabscheut ihn. Jedenfalls die Kreativen. Wenn du die Leute in meiner Abteilung fragst, dann ist er ein kleingeistiger Fliegenficker, ein auf die Umsatzkurve fixierter, unkultivierter, gefühlloser Kerl ohne jeden Anflug von Fantasie, geschweige denn von Ästhetik«
»Und was denkst du?« Flemming kam mit dem Mitschreiben kaum nach.
»Was ich von ihm halte? Ich kenne ihn auch von einer etwas anderen Seite, also nein, ehrlich gesagt, stimme ich in vielerlei Hinsicht mit den anderen überein«, sagte Dan. »Er hat wirklich keine Fantasie, und er geht wirklich sehr in seiner Buchführung auf. Aber das ist ja auch sein Job, oder? Immerhin sorgt er dafür, dass zweiundfünfzig Leute eine fette Heuer bei ihm beziehen; und wir können sicher sein, dass das Geld jeden Monat auf unseren Konten eingeht.«
»Ist er verheiratet?«
»Sogar gut verheiratet. Zum zweiten Mal. Sie heißt Henriette und ist Mitte dreißig. Soweit ich weiß, hat sie eine Ausbildung als Maklerin, aber ich glaube nicht, dass sie sehr viel mehr macht, als sich um ihr eigenes Haus zu kümmern. Du kennst es, das weiße riesengroße Palais am Ende des Bøgebakken, oben am Wald.«
Flemming nickte. »Ah ja, das – ein gewaltiger Kasten. Haben sie Kinder?«
»Zwillinge, zwei Mädchen im Alter von sechs oder sieben Jahren.«
»Seht ihr euch privat?«
»Eigentlich nicht.« Dan lachte auf. »Es gab mal ein Abendessen. Marianne und Henriette haben sich sofort in die Haare gekriegt, in aller Höflichkeit und mit nur leicht erhobenen Stimmen natürlich, aber danach hatte keine mehr Lust, diesen Erfolg zu wiederholen. Und wenn die Frauen nicht wollen …«
»So kenne ich Marianne ja gar nicht. Worum ging’s bei dem Streit denn?«
»Ich weiß es nicht mehr. Irgendwas mit Au-pair-Mädchen und Ausländerrechten. Du weißt ja, wie Marianne ist, wenn es um Ausländer geht.«
Flemming nickte.
»Das war es schon, was mir zu Kurt einfällt«, sagte Dan. »Lass uns mit Sara Kellerup weitermachen, sie ist die Finanzdirektorin, obwohl ich nie begriffen habe, was dieser Titel soll. Über alles, was mit den Finanzen der Firma zu tun hat, bestimmt eigentlich allein Kurt. In jedem anderen Laden wäre die Kellerup ganz einfach die Leiterin der Buchhaltung, aber es soll ja nach was klingen.«
»Bildet sie sich etwas darauf ein, Finanzdirektorin zu sein?«
»Nein, so meine ich das nicht. Wenn jemand eingebildet ist, dann Kurt. Je mehr Mitarbeiter er mit tollen Titeln hat, desto beeindruckter ist er von sich selbst.« Dan schüttelte den Kopf. »Nein, Sara ist okay. Sie ist ziemlich ruhig, Anfang dreißig. Unverheiratet, keine Kinder. Sehr vernünftig, sehr kontrolliert. Macht ihre Arbeit gut. Sie ist die beste Freundin unserer Empfangsdame, nur damit du gewarnt bist!«
»Wie ist das denn zu verstehen?«
»Dazu kommen wir noch. Pernille ist ein eigenes Kapitel!«
»Kommen wir zum Produktionschef.
Er heißt Christoffer Bidstrup, ist in unserem Alter und vielleicht das größte Planungsgenie, dem ich je begegnet bin. Er war in einer Unzahl von Agenturen beschäftigt, sowohl in Dänemark als auch im Ausland, und es gibt so gut wie nichts, was er nicht kann. Sein Job ist die Koordination aller technischen Bereiche. Er hat auch dafür zu sorgen, dass wir die richtige Software haben, dass unsere Grafiker die Weiterbildung bekommen, die sie brauchen, sämtliche Deadlines eingehalten werden und wir nicht von den Druckereien beschissen werden.« Dan legte die Hände in den Nacken. »Christoffer wohnt gleich neben der Firma, in einer der neuen Etagenwohnungen am Wasser.«
»Frau, Kinder?«
»Nein und noch mal nein. Er ist schwul, und soweit ich weiß, wohnt er seit vielen Jahren mit seinem Freund zusammen.«
»Okay. Sonst noch was über ihn?«
Dan schüttelte den Kopf. »Nichts Wichtiges. Ich mag ihn.«
»Die Empfangsdame und die Sekretärin der Direktion?«
»… hassen sich. Jetzt ist es raus. Pernille und Elisabeth sind beide seit vier, fünf Jahren bei der Firma, und in der ganzen Zeit konnten wir ihren Zickenkrieg verfolgen. Darüber hinaus sind sie beide eine Reihe von Allianzen mit anderen Frauen in der Firma eingegangen. Sara Kellerup, zum Beispiel, ist konsequent auf Pernilles Seite.«
»Das hast du bereits erwähnt.«
»Habe ich das? Na gut, ich bin jedenfalls stolz darauf, dass es wenigstens ein Detail in diesem Hühnerstall gibt, das ich begriffen habe. Sonst bin ich ziemlich blank, muss ich sagen. Ich habe keine Ahnung, was das soll. Oberflächlich gesehen umarmen und kichern sie alle miteinander und scheinen beste Freundinnen zu sein, aber zwischen den Zeilen reden sie dermaßen schlecht voneinander, dass man kaum seinen Ohren traut. Sie benehmen sich wie Teenager auf einem Schulausflug.«
»Fang mit Pernille an. Wie heißt sie weiter?«
»Klausen. Pernille Klausen. Tja, was soll ich sagen, sie ist ein einziges großes Klischee. Langes, schwarz gefärbtes Haar mit jeder Menge künstlicher Zotteln, damit es so aussieht, als wäre es länger, professionelles Make-up und hohe Hacken, auch im Alltag. Würde lieber von Karotten und Haferbrei leben, als sich in Sachen zu zeigen, die aus der Mode gekommen sind. Im letzten Sommer hat sie ihre Röcke so kurz getragen, dass sie den Lippenstift oben und unten hätte einsetzen können.«
»Dan, verflucht!« Flemming musste sich anstrengen, um nicht zu lachen. »So was kannst du doch nicht sagen!«
»Warte nur, bis du sie siehst!« Dan grinste. »Formal ist es ihr Job, Telefonate anzunehmen, Post zu sortieren, Gäste zu empfangen, den Kontakt zu der Reinigungsfirma zu halten, so was halt.«
»Und informell?«
»… verwendet sie fünfundsiebzig Prozent ihrer Arbeitszeit darauf, Singlebörsen abzuchecken und Schuhe bei eBay zu kaufen.«
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