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Jan Wiechert
BÖSE ALTE ZEIT 2
Neue Fälle aus der hohenlohischen Geschichte
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Lektorat: Isabell Michelberger
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Eine Hochzeit und ein Todesfall
Die Herrin der Fliegen
Mutterseelenallein
Der Bauren-Änderle
Galgenbau für Anfänger
Strafe unter Palmen
Ein Stich ins Dunkle
Waldesruh
Anmerkungen des Autors
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Quellenverzeichnis
Karte
Der Autor
Eine Hochzeit und ein Todesfall
Die altehrwürdige, dem heiligen Georg und der Mutter Gottes geweihte Friedhofskapelle von Waldenburg liegt im Südosten des Stadtkerns. Von außen wirkt der mittelalterliche Bau eher unscheinbar: ein schlichter, weiß verputzter Quader, darauf ein Satteldach und ein Glockengiebel, der ein gutes Stück zu klein geraten scheint. Dass es sich um ein bemerkenswertes Kleinod handelt, erschließt sich erst bei einem Blick ins Innere. Die um 1500 entstandenen und erst in jüngster Zeit freigelegten und aufwendig restaurierten Wandmalereien zeigen Szenen aus dem Leben Mariens. Angesichts der Pracht dieser Bilder, die den Chorraum zieren, droht ein anderes, jüngeres Kunstwerk übersehen zu werden. Das aus Sandstein gehauene Epitaph hängt, blickt man in Richtung des Altars, an der rechten Wand. Es wird von einem Volutengiebel bekrönt, der ein rundes Medaillon umschließt. Darin ist ein pummeliger, splitternackter Putto zu erkennen, der sich auf einem Tuch oder Umhang niedergelassen hat. Geradezu lässig lehnt er sich auf einen Totenschädel. In seiner linken, leicht angehobenen Hand hält er einen verwitterten Gegenstand, dessen ursprüngliche Form nur mehr zu erahnen ist. Ironischerweise hat der Zahn der Zeit just an diesem Symbol der Vergänglichkeit besonders intensiv genagt und die Sanduhr in Sand zerfallen lassen.
Unter dem Medaillon und umrahmt von vier Wappentafeln schließt sich ein rechteckiges Textfeld an:
ANNO DOMINI MDC
X DEN VI. NOVEMBRIS
STARB DER EDEL VND
VÖST LIEBMANN VON
MEVSBACH ZV BRAU-
NSDORF. OTTENDORF
VND TREBINZ
DESSEN SEEL GOTT
GENEDIG SEIE AMEN.
Die Familie dieses edlen und festen Liebmann von Meusebach, der 1610 in Waldenburg zu Grabe getragen wurde, ist dem thüringischen Kleinadel zuzuordnen. Dorthin verweisen auch die drei in der Inschrift erwähnten Ortschaften: Braunsdorf liegt heute im Landkreis Greiz, Tröbnitz und Ottendorf im benachbarten Saale-Holzland-Kreis. Wie aber verschlug es diesen thüringischen Edelmann ins hohenlohische Waldenburg? Und wie kam er dort, fern der Heimat, zu Tode? Hierzu schweigt das steinerne Zeugnis in der Friedhofskapelle. Papierene Hinweise auf die blutige Tragödie, die sich seinerzeit zugetragen hat, haben sich hingegen im Hohenlohe-Zentralarchiv in Schloss Neuenstein erhalten. Alles begann mit einem freudigen Ereignis.
Ein Epitaph in der Friedhofskapelle von Waldenburg wirft Fragen auf: Wer war Liebmann von Meusebach und wieso fand er in Hohenlohe, fern seiner Heimat, den Tod? Die Antwort fand sich im Hohenlohe-Zentralarchiv in Schloss Neuenstein.
Im Herbst des Jahres 1610 war im sonst eher verschlafenen Residenzstädtchen Waldenburg eifrige Betriebsamkeit ausgebrochen. Die hohenlohischen Bediensteten und Untertanen in Schloss, Stadt und Umland hatten alle Hände voll zu tun, die Hochzeit des Grafen Ludwig Eberhard von Hohenlohe-Waldenburg mit Gräfin Dorothea von Erbach vorzubereiten. Zu dem Großereignis wurden zahlreiche erlauchte und mächtige Gäste aus dem Süden des Reiches erwartet. Neben der näheren und entfernteren Verwandtschaft des Brautpaares und einigen regionalen Größen hatten sich drei echte Big Player ihrer Zeit angekündigt: Herzog Johann Friedrich von Württemberg, sein jüngerer Bruder Herzog Ludwig Friedrich von Württemberg-Mömpelgard und Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach. Außer diesen dreien weist die Gästeliste elf Grafen, zwei Schenken von Limpurg, etliche Vertreter des regionalen Niederadels und Vertreter der Städte Schwäbisch Hall, Öhringen und Rothenburg ob der Tauber auf. Dass auch der heilbronnische Komtur des Deutschen Ordens geladen wurde, zeigt, dass man 1610, am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges, keine Bedenken hatte, überkonfessionell zu feiern, und dazu auch einen Katholiken im protestantischen Hohenlohe willkommen hieß.
Viele der adeligen Gäste wurden von ihren Ehefrauen und Kindern begleitet. Aber auch wer seine Familie zu Hause gelassen hatte, reiste keineswegs allein. Als typische und beispielhafte Reisegesellschaft kann der Tross herangezogen werden, mit dem Graf Ludwig Eberhard von Oettingen-Oettingen in Waldenburg erschien. Der Graf (ein Cousin des Bräutigams) wurde von seiner Gemahlin Margaretha (einer Halbschwester der Braut) begleitet. Der Gruppe hatten sich zudem zwei ledige Schwestern des Bräutigams angeschlossen, die sich zu dieser Zeit in Oettingen aufhielten. Die Dienerschaft der vier gräflichen Personen bestand aus einer Kammerjungfer, drei Kammermägden, einem Kammerdiener, einem Edelknaben, einem Lakaien, einem Schneider, einem Trompeter, einem Stallmeister, zwei Stallknechten, zwei Kutschern, zwei Stalljungen und einem Läufer. Im Ganzen kamen die Oettinger auf 21 Personen, die samt dem Gepäck von 28 Pferden getragen oder gezogen wurden.
Die Gefolgschaften der übrigen Gäste setzten sich ähnlich zusammen, wobei der eine lieber seinen Jägermeister oder einen Sekretär mitnahm und ein anderer auf Reisen nicht auf den eigenen Hufschmied verzichten wollte. Summa summarum weist das Gästeverzeichnis 172 Personen und 330 Pferde auf, die in Waldenburg und im nahen Westernach untergebracht werden mussten. Dieser Zahl sind noch die vor Ort lebenden Verwandten des Bräutigams, seine Diener und zugereistes Personal, etwa Musiker und Köche, hinzuzufügen. Kurzum: Waldenburg platzte für die Dauer des Festes aus allen Nähten. Unter diesen Umständen konnte nur den vornehmsten Gästen ein Logis im gräflichen Schloss angeboten werden. Der Rest musste mit einem Schlafplatz in einem Wirtshaus oder in einem bürgerlichen Wohnhaus vorliebnehmen. So schlief Liebmann von Meusebach im Haus des Forstknechts Conz Mayer. Auch die Witwe des Jörg Weber in Waldenburg stellte eine Stube mit zwei Betten zur Verfügung, die vier jungen Edelleuten aus der Entourage der Grafen von Erbach zugeteilt wurden. Unter ihnen war Friedrich von Lelliewah, den der hohenlohische Kanzleischreiber als »Frid. von Leliff« notierte und von dem noch die Rede sein wird. (Es sei bemerkt, dass sich nicht nur der hohenlohische Schreiber mit dem Namen des aus Polen stammenden Adelsgeschlechts schwertat. Sowohl in hohenlohischen als auch in anderen Quellen sind ein knappes Dutzend unterschiedlicher Schreibweisen zu finden. Die im Folgenden verwendete Form »Lelliewah« ist der Leichenpredigt des Friedrich von Lelliewah entlehnt.)
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