Bevor wir nun Schritt für Schritt in das Thema einsteigen, darf ich Ihnen meine Interpretation zum Thema Robustheit präsentieren.
Ein robustes Unternehmen ist stabil. Es strandet nicht. Das robuste Unternehmen steht auf sicheren Beinen, kann auf Störungen reagieren, hält diese gut aus und bleibt auf Kurs. Hinter einem robusten Unternehmen steht immer ein robuster Unternehmer. Der robuste Unternehmer ist in der Lage, das Unternehmen auch durch schwierige Situationen zu führen. Er kann das, weil er physisch und psychisch robust ist, weil er das notwendige Wissen und die geeigneten Werkzeuge zur Hand hat und weil ihm das Glück des Tüchtigen hold ist. Dabei – und das ist wahrscheinlich der wichtigste Punkt – bleibt seine persönliche Lebensqualität auf einem hohen Niveau erhalten.
Teil I UNBERECHENBARES – WAS UNTERNEHMEN INS WANKEN BRINGT
1 Der gestörte Alltag – wenn der Hamster aus dem Rad fliegt
Warum es sich nicht lohnt, den Helden zu spielen
Robust ist, wer überlebt. Das gilt nicht nur für Unternehmen, sondern für alle Systeme. Ob wir von der Natur sprechen, von Wirtschaftsunternehmen, Banken, Kultur oder Vereinen. Systeme, die eine längere Zeitspanne überleben wollen, die also robust sind, müssen sich im Laufe ihrer Existenz verändern und anpassen. Denn die äußeren Rahmenbedingungen ändern sich ständig. Das gilt für alle denkmöglichen Systeme, auch für Sie als Unternehmer. Es wird immer etwas eintreten, worauf man als Unternehmer reagieren muss, wenn man nicht auf der Strecke bleiben will!
Sehen Sie sich doch einmal das Beispiel Natur an. Das ist das System, das bisher am längsten überlebt hat! Nein, es ist nicht die katholische Kirche, nicht die Kunst und Kultur und auch nicht die Landwirtschaft. Es ist die Natur. Seit dem Urknall gibt es unsere Erde. Zugegeben, sie hat sich in diesen vielen Millionen von Jahren massiv verändert – aber sie ist immer noch da. Deshalb nennen Experten in vielen unterschiedlichen Bereichen immer wieder die Natur als großes Vorbild, obwohl sie natürlich heute völlig anders aussieht als noch vor 100 oder 500 Jahren. Oder aber betrachten wir die Kultur, auch ein extrem altes System. Wenn wir das System Kultur, beginnend mit den ersten Höhlenmalereien bis zum Wirtschaftsfaktor Kultur heute, betrachten, dann hat dieses System viele Wandlungen durchgemacht. Das Bankensystem hingegen ist ein vergleichsweise junges System. Wir brauchen nur in die 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückzublicken und das, was wir sehen, mit dem heutigen Bankensystem zu vergleichen. Das hat praktisch nichts mehr miteinander zu tun.
Wenn Systeme dauerhaft überleben wollen und sich daher also laufend an geänderte Bedingungen anpassen müssen, dann braucht es einzelne Teile innerhalb des Systems, die sterben, die verschwinden, um Platz zu machen für etwas Neues. Ein sterbendes Element in einem System leistet somit einen wichtigen Beitrag für das Überleben des gesamten Systems!
Denken Sie an einen Wald und an einen umgestürzten Baum. Vielleicht hat ihn ein Sturm umgeworfen, vielleicht war er nur altersschwach. Jetzt liegt er im Wald und rottet langsam vor sich hin. Damit bietet er Lebensraum für viele kleine Tierchen und Mikroorganismen. Die wiederum sind Nahrung für andere, größere Tiere. Langsam zerfällt der Baum und wird zu Humus für die Erde und andere Bäume und Sträucher. Selbst nach seinem »Tod« leistet der Baum damit oder gerade deswegen einen wichtigen Beitrag zum Überleben des gesamten Ökosystems.
Und nun gehen Sie gedanklich zu Ihrem eigenen Unternehmen und betrachten Sie seine Entstehungsgeschichte aus der Sicht eines Systems. Da sind Sie als Führungspersönlichkeit, es gibt Ihre Mitarbeiter, Produkte und Dienstleistungen oder nur Produkte oder nur Dienstleistungen, es gibt Kunden, Lieferanten, wahrscheinlich eine Steuerberatungskanzlei, zumindest eine Bank und wahrscheinlich noch einige andere Mitwirkende in diesem System. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sind diese Protagonisten Ihres Systems nicht mehr dieselben wie am Anfang Ihrer Unternehmensgeschichte. Wahrscheinlich sind Mitarbeiter hinzugekommen, andere ausgeschieden. Vielleicht ist der eine oder andere freiwillig von dannen gezogen, andere wieder wurden gekündigt, weil sie die erwartete Leistung nicht erbrachten. Wahrscheinlich existiert das eine oder andere Produkt nicht mehr. Vermutlich haben sich einige Produkte schlechter verkauft als erwartet oder vielleicht sind sie im Laufe der Zeit obsolet geworden. Dafür sind andere Produkte hinzugekommen. Dasselbe gilt sehr wahrscheinlich für Ihre Kunden. Ihr System »Kleinunternehmen« hat also bereits einige Veränderungen hinter sich gebracht. Einzelne Elemente sind ausgeschieden, andere sind dazugekommen.
Alle KMUs gemeinsam bilden als System das Rückgrat der Wirtschaft. Als insgesamtes System sind sie robust. Das einzelne Kleinst‐ und Kleinunternehmen aber ist oft so gar nicht robust. Es läuft jederzeit Gefahr, Probleme zu bekommen oder gar zu scheitern. Eigentlich extrem, oder?
Es heißt, Kleinst‐ und Kleinunternehmen seien das Rückgrat und der Motor der Wirtschaft. Das stimmt auch. Es gilt insbesondere dann, wenn man alle Kleinst‐ und Kleinunternehmen als funktionierendes System betrachtet. Dann handelt es sich um ein stabiles, ein robustes System. Robust und überlebensfähig ist das gesamte System aber unter anderem deshalb, weil immer wieder einzelne Teilnehmer des Systems scheitern oder aus anderen Gründen das System verlassen.
Große Unternehmen verdienen im Durchschnitt zwar ein wenig besser als die »Kleinen« und könnten damit mehr Steuern bezahlen. Das kommt uns allen zugute. Das ist aber nur in der Theorie so. Wir alle wissen, wie tüchtig, gewieft und ehrgeizig große Unternehmen sind, wenn es darum geht, Steuern zu sparen. Dabei machen sie nichts Illegales. Sie nutzen nur ihre internationale Vernetzung, die zahlreichen Lücken in der Gesetzgebung und nationale Egoismen. Nun haben große Unternehmen aber einen Nachteil, wenn man sie aus systemischer Sicht betrachtet. Wenn ein großes Unternehmen in Schwierigkeiten kommt, dann ist der Schaden wesentlich höher, als wenn ein kleines Unternehmen ins Wanken gerät oder gar scheitert. Es muss nicht einmal der Konkurs eines großen Unternehmens sein. Es reicht die Entscheidung eines internationalen Konzerns, einen Standort in Deutschland, der Schweiz oder in Österreich zu schließen. Die Folgen für Arbeitsplätze und Steuern sind enorm. Deshalb lösen eine Werksschließung oder ein Konkurs eines großen Unternehmens immer einen so großen medialen und politischen »Wirbel« aus. Das ist dann nämlich höchst »systemrelevant«.
Warum es manchmal Sinn macht, anderen den Vortritt zu lassen
Schließt dagegen ein Kleinunternehmer sein Unternehmen oder geht es in Konkurs, dann ist das weit weg von systemrelevant. Das Verschwinden eines kleinen Unternehmens ist bestenfalls eine statistische Größe. Damit das System der Kleinst‐ und Kleinunternehmer robust ist und dauerhaft überleben kann, braucht es also laufend Teilnehmer, die scheitern, die »sterben«, die Platz machen für Neues und die vor allem anderen Unternehmerinnen und Unternehmern zeigen, was nicht funktioniert. Das System Kleinst‐ und Kleinunternehmen braucht eine gewisse Menge an »statistischen Größen«.
Die geschlossenen oder gescheiterten Unternehmen leisten damit einen wichtigen Beitrag zum Überleben des gesamten Systems. Süffisant könnte man sagen, dass sie einen Heldentod sterben. Sie nehmen den eigenen Tod in Kauf, um der Gesamtheit zu helfen. Jetzt ist es aber so, dass diese »gescheiterten« Unternehmer keinen Preis dafür bekommen. Sie bekommen keine Medaille, kein Ehrengrab, keine Entschädigung, nichts, gar nichts erhalten sie. Ganz im Gegenteil, die Kultur des Scheiterns ist in unseren Gefilden eher unterentwickelt. Die Bank möchte das Haus oder die Wohnung des Unternehmers haben, um ihren Schaden gering zu halten. Die Familie ist entsetzt, weil die wirtschaftliche Existenzgrundlage verloren gegangen ist. Die enttäuschten Mitarbeiter haben ihren Arbeitsplatz verloren. Dem Unternehmer geht es höchstwahrscheinlich schlecht, weil er bis zum Konkurs schon viel Ärger hatte und die Abwicklung des Konkurses noch einmal jede Menge Probleme bedeutet. Dazu kommen die schlechte Presse und die üble Nachrede im Ort. Und dann startet die ganze Arbeit für den Unternehmer von vorne. Jetzt darf er nämlich damit beginnen, eine neue Existenz aufzubauen. Und das alles deshalb, weil dieser Unternehmer den Heldentod gestorben ist! Ich frage Sie: Wollen Sie ein Held sein? Wollen Sie wirklich den Heldentod sterben? Wohl hoffentlich eher nicht! Die Helden mögen bitte die anderen sein! Seien Sie in dieser Hinsicht egoistisch und lassen Sie anderen in puncto Konkurs den Vortritt! Ihre Familie, Ihre Mitarbeiter, Ihre Bank und einige andere Menschen in Ihrem Umfeld werden es Ihnen danken.
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