Am Tiefpunkt zu landen fühlt sich fürchterlich an. Es ist schmerzhaft und beschämend. Man langt dort an, wenn man Geld verliert, dessen Verlust man sich nicht leisten kann. Man langt dort an, wenn man seine Ersparnisse verspielt. Man langt dort an, nachdem man seinen Freunden erzählt hat, wie klug man sei, und dann muss man sie um ein Darlehen bitten. Man landet dann ganz unten, wenn der Markt auf einen zurauscht und einen anbrüllt: „Du Narr!“
Manche Menschen landen schon nach ein paar Wochen Trading am Boden. Andere schießen ihren Depots Geld zu, um die Stunde der Wahrheit aufzuschieben. Es schmerzt, wenn man im Spiegel einen Verlierer erblickt. Man verbringt sein Leben damit, Selbstwertgefühl aufzubauen. Die meisten Menschen haben eine hohe Meinung von sich. Der erste Impuls kann sein, sich zu verstecken, aber man darf nicht vergessen, dass man nicht allein ist. Fast jeder Trader hat das durchgemacht.
Viele Trader, die am Boden landen, verlassen den Markt und drehen sich nicht mehr um. Viele, die heute traden, werden in einem Jahr oder schon früher nicht mehr da sein. Sie werden nach ganz unten abrutschen, zerbröseln und gehen. Sie werden versuchen, das Trading zu vergessen wie einen bösen Traum.
Manche werden ihre Wunden lecken, warten, bis der Schmerz nachlässt, und dann zurückkehren, ohne viel gelernt zu haben. Sie werden ängstlich sein und ihre Angst wird ihr Trading noch mehr beeinträchtigen.
Zum Glück werden manche Trader vom Boden aufspringen und den Prozess der Veränderung und des Wachstums beginnen. Bei diesen Menschen durchbricht der Schmerz, am Boden zu landen, den Teufelskreis, beim Gewinnen ein Hochgefühl zu empfinden, dann alles zu verlieren und zusammenzubrechen. Wenn man sich eingesteht, dass ein persönliches Problem dazu führt, dass man verliert, kann man ein neues Leben als Trader aufbauen. Dann kann man anfangen, die Disziplin eines Gewinners zu entwickeln.
Der erste Schritt des Traders
Ebenso wie ein Alkoholiker eingestehen muss, dass er seine Trinkerei nicht im Griff hat, muss ein Trader zugeben, dass er seine Verluste nicht im Griff hat. Der erste Schritt eines AA-Mitglieds besteht darin, dass es sagt: „Ich bin Alkoholiker und gegen den Alkohol machtlos.“ Als Trader muss man sich im Zuge des ersten Schritts sagen: „Ich bin ein Verlierer und den Verlusten gegenüber machtlos.“
Alkoholiker auf dem Weg der Genesung kämpfen einen Tag um den anderen darum, abstinent zu bleiben. Als Trader kann man sich mithilfe der Grundsätze der AA wieder erholen. Man muss dann einen Tag um den anderen darum kämpfen, ohne Verluste zu traden.
Vielleicht sagen Sie jetzt, das sei unmöglich. Denn was ist, wenn man kauft und der Markt dann sofort fällt? Was, wenn man shortet und sich herausstellt, dass das die Talsohle war, sodass der Markt sofort steigt? Selbst die besten Trader verlieren an manchen Trades Geld.
Die Lösung ist, dass man eine Grenze zwischen unternehmerischem Risiko und Verlust zieht. Als Trader geht man ständig unternehmerische Risiken ein, erleidet aber niemals einen Verlust, der über dieses vorher festgelegte Risiko hinausgeht.
Beispielsweise geht ein Ladenbesitzer jedes Mal ein Risiko ein, wenn er neue Ware lagert. Wenn sie sich nicht verkauft, verliert er dadurch Geld. Ein intelligenter Geschäftsmann geht nur Risiken ein, die ihn auch dann nicht bankrott machen, wenn er mehrere Fehler hintereinander begeht. Zwei Kisten mit Waren zu lagern dürfte ein vernünftiges kaufmännisches Risiko sein, aber einen ganzen Hänger voll zu lagern ist wahrscheinlich ein Glücksspiel.
Als Trader treibt man Handel. Man muss sein kaufmännisches Risiko festlegen – den maximalen Geldbetrag, den man mit einem einzelnen Handelsgeschäft riskieren will. Dafür gibt es genauso wenig einen üblichen Dollarbetrag, wie es kein übliches Geschäft gibt. Welches Risiko für einen Geschäftsmann akzeptabel ist, hängt in erster Linie von der Größe des Trading-Depots ab. Zudem hängt es von der Trading-Methode und von der persönlichen Schmerztoleranz ab.
Das Konzept des unternehmerischen Risikos verändert die Art, wie man mit seinem Geld umgeht (siehe Kapitel 9, „Risikomanagement“). Das absolute Maximum, das ein Trader mit einem einzelnen Trade riskieren sollte, beträgt zwei Prozent des Kapitals in seinem Depot. Hat man beispielsweise 30.000 Dollar im Depot, sollte man höchstens 600 Dollar pro Trade riskieren, und wenn man 10.000 Dollar hat, sollte man höchstens 200 Dollar riskieren. Wenn Ihr Depot klein ist, beschränken Sie sich darauf, mit weniger Aktien, mit weniger teuren Futures oder mit Mini-Kontrakten zu handeln. Wenn Sie einen attraktiven Trade sehen, aber der Logik zufolge ein Stoppkurs so platziert werden müsste, dass mehr als zwei Prozent des Depotbestands auf dem Spiel stünden, dann lassen Sie diesen Trade bleiben. Man kann natürlich weniger riskieren, darf aber nie mehr riskieren. Man muss Risiken über zwei Prozent pro Trade genauso meiden, wie ein Alkoholiker Kneipen meidet.
Ein Trader, der die hohen Gebühren einem Broker und die Slippage einem Parketthändler in die Schuhe schiebt, gibt die Kontrolle über sein Trading-Leben ab. Versuchen Sie, beide gering zu halten, übernehmen Sie aber auch für beide die Verantwortung. Wenn man einschließlich Gebühren und Slippage auch nur einen Dollar mehr als sein unternehmerisches Risiko verliert, ist man ein Verlierer.
Führen Sie ordentliche Aufzeichnungen über Ihr Trading? Schlechte Aufzeichnungen sind ein sicheres Anzeichen für Glücksspiel. Ein guter Geschäftsmann führt gute Aufzeichnungen. Die Trading-Buchhaltung muss Datum und Preis jedes Einstiegs und Ausstiegs angeben, die Slippage, die Gebühren, die Stoppkurse, alle Anpassungen von Stoppkursen, Gründe für den Einstieg, Ziele für den Ausstieg, den maximalen Buchgewinn, den maximalen Buchverlust nach Erreichen eines Stoppkurses sowie alle etwaigen anderen Angaben, die notwendig sein können, um den Trade auch später, in der Zukunft, noch vollständig zu verstehen.
Es gehört zum üblichen Geschäftsgang, dass man aus einem Trade im Rahmen seines geschäftlichen Risikos aussteigt. Da feilscht man nicht, man wartet keinen weiteren Tick ab und hofft nicht, dass sich etwas ändert. Einen Dollar mehr zu verlieren als das festgelegte kaufmännische Risiko ist wie wenn man sich betrinkt, sich auf eine Prügelei einlässt, einem auf dem Heimweg schlecht wird und man morgens im Rinnstein aufwacht. Man würde ja nie wollen, dass einem das passiert.
Wenn man ein AA-Meeting besucht, trifft man auf Menschen, die seit Jahren keinen Alkohol mehr getrunken haben, sich nun hinstellen und sagen: „Hallo, ich heiße Soundso und bin Alkoholiker.“ Warum bezeichnen sie sich nach Jahren der Abstinenz immer noch als Alkoholiker? Weil sie, wenn sie glauben würden, sie hätten den Alkoholismus besiegt, wieder trinken würden. Wenn jemand meint, er sei kein Alkoholiker mehr, darf er ja einen trinken, dann noch einen – und landet vielleicht wieder in der Gosse. Ein Mensch, der trocken bleiben will, muss bedenken, dass er sein restliches Leben lang Alkoholiker bleiben wird.
Es käme Tradern zugute, wenn sie ihre eigene Selbsthilfe-Organisation hätten – ich würde sie als Anonyme Verlierer bezeichnen. Warum nicht Anonyme Trader? Weil ein drastischer Name die Aufmerksamkeit auf die selbstzerstörerischen Neigungen lenkt. Die Anonymen Alkoholiker nennen sich ja auch nicht Anonyme Trinker. Wenn man sich als Verlierer bezeichnet, konzentriert man sich auf die Vermeidung von Verlusten.
Einige Trader argumentieren gegen das ihrer Meinung nach „negative Denken“ in „Anonyme Verlierer“. Eine Rentnerin aus Texas – eine höchst erfolgreiche Traderin – hat ihre Methode beschrieben. Sie ist sehr gläubig, betet jeden Morgen und fährt dann in ein Büro, in dem sie aktiv tradet. Jedes Mal, wenn die Märkte beginnen, gegen sie zu laufen, begrenzt sie sehr schnell ihre Verluste, weil es Gott nicht gefallen würde, wenn sie sein Geld verlieren würde. Ich fand unsere Methoden sehr ähnlich. Das Ziel ist es, Verluste anhand einer objektiven, externen Regel zu begrenzen.
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