»Dann lass deiner Fantasie mal freien Lauf und sag mir Bescheid, wenn dir was einfällt.«
»Jedenfalls gefällt mir diese Theorie schon wesentlich besser als die Unfalltheorie.«
»Die sollten wir aber auf jeden Fall auch in die engere Wahl ziehen. Kommst du mit, ich werde ihren Eltern mal ganz behutsam auf den Zahn fühlen.«
Siebels setzte sich gegenüber von Maria Niehaus, Peter Niehaus blieb am Fenster stehen. Till setzte sich in eine Ecke vom Zimmer und nahm die Rolle des Zuschauers ein. Siebels führte das Gespräch.
»Wie war Ihr Verhältnis zu Ihrer Tochter?«
Maria Niehaus öffnete langsam ihren Mund, holte Luft, doch bevor sie etwas sagen konnte, antwortete ihr Mann.
»Sie war unsere Tochter, unser einziges Kind. Wir haben sie geliebt. Es gab Meinungsverschiedenheiten, so wie in jeder normalen Familie. Aber wir haben über alles gesprochen, manchmal habe ich mich mit ihr auch gestritten. Aber es gab nie ernsthafte Probleme zwischen Tanja und uns. In den letzten Jahren war der Kontakt nicht mehr so intensiv. Vor zwei Jahren ist sie bei uns ausgezogen, sie hat sich eine Wohnung in Sachsenhausen genommen. Nach ihrem Abitur, das sie übrigens als Jahrgangsbeste mit einer Eins abgeschlossen hat, hat sie eine Ausbildung bei der Deutschen Bank gemacht. Sie wollte im Anschluss an die Ausbildung Betriebswirtschaftslehre studieren. Die Bank hat ihr dann aber ein lukratives Angebot gemacht und sie hat das Studium erst einmal verschoben. Ich war gegen diese Entscheidung. Ich wollte, dass sie gleich mit dem Studium beginnt, sonst hätte sie es nämlich nie begonnen. Sie hätte sich sehr schnell an das regelmäßige Einkommen gewöhnt, das Studium wäre in Vergessenheit geraten. Das war meine Meinung, die ich ihr auch deutlich gesagt habe. Und das war der letzte Streit, den ich mit ihr hatte. Einen Streit, weil ich nur das Beste für sie wollte. Aber Tanja wollte unabhängig sein. Und sie wollte schon gar keine Ratschläge von mir haben. Und am wenigsten wollte sie, dass ich mich in ihr Leben einmische.« Die letzten Sätze sprach Niehaus immer langsamer und bedächtiger aus. Seine Frau fing an zu schluchzen.
Siebels reichte ihr ein Taschentuch. »Wussten Sie, dass Ihre Tochter vor sechs Monaten einen Schwangerschaftsabbruch hat vornehmen lassen?«
»Sie hat was?« Niehaus fuhr herum und schrie Siebels an. Maria Niehaus schaute ungläubig. Man sah ihr an, dass sie das eben Gehörte erst verarbeiten musste.
»Ihre Tochter war im zweiten Monat schwanger. Das war im Februar. Wir haben eine Arztrechnung über den Schwangerschaftsabbruch und der behandelnde Arzt hat uns den Eingriff bestätigt.«
»Nein, das wussten wir nicht. Oder wusstest du davon, Maria?« Niehaus sprach nun leise, fast flüsterte er.
»Nein, sie hat mir nie etwas von einer Schwangerschaft erzählt. Nicht einmal andeutungsweise. Das hätte ich doch merken müssen. Ich bin doch ihre Mutter. Wir haben so oft miteinander telefoniert in den letzten Monaten. Aber sie wirkte immer fröhlich und zufrieden.«
Die Stimme von Maria Niehaus klang monoton. Till vermochte nicht einzuschätzen, ob das an dem Trauerzustand der Mutter lag oder ob sie ihre wahren Gefühle in Bezug auf Tanjas Schwangerschaft verbergen wollte.
»Könnte es sein, dass ein Schwangerschaftsabbruch für Ihre Tochter einfach von nicht so großer Bedeutung war?«
»Wenn Sie eine Frau wären, würden Sie eine solche Frage nicht stellen.« Jetzt klang ihre Stimme wütend. Auch ihr Mann wurde wieder zorniger.
»Was wollen Sie damit sagen? Dass meine Tochter ein dummes Flittchen war, für die eine Schwangerschaft gleichbedeutend mit einem Pickel ist, den man loswerden will?«
»Es tut mir leid, wenn ich taktlos war, ich will mir nur ein Bild von Ihrer Tochter machen. Haben Sie eine Vorstellung, wer der Vater gewesen sein könnte?«
»Olaf. Von einem anderen Mann weiß ich nichts.«
»Olaf Kreuzberger, der Kollege aus der Bank, von dem Sie mir gestern erzählt haben?«
»Genau der. Ein anständiger Mann. Etwas Besseres hätte Tanja gar nicht passieren können.«
»Tanja war da aber anderer Meinung. So wie ich Sie gestern verstanden habe, hat sie mit ihm Schluss gemacht. Hatten Sie deshalb auch Streit mit Ihrer Tochter?«
»Wir hatten keinen richtigen Streit wegen dieser Sache. So tief bin ich in ihr Privatleben nicht eingedrungen, dass ich mich deswegen mit ihr gestritten hätte. Aber ich habe ihr zu verstehen gegeben, dass ich Olaf für einen sehr passablen Mann halte.«
»Hatte ihre Tochter noch andere Verehrer? Hartnäckige Verehrer? Verehrer, denen sie einen Korb verpasst hat?«
»Meine Tochter hatte mit Sicherheit sehr viele Verehrer. Sie war bildschön. Sie hatte die Schönheit ihrer Mutter geerbt. Und sie war sehr selbstbewusst und erfolgsorientiert. Das hat sie von mir geerbt. Und das zusammen ist eine Kombination, die Männer magisch anzieht. Das fing schon an, als sie zwölf Jahre alt war. Die sechzehn- und siebzehnjährigen Nachbarsjungen schlichen um unser Haus wie räudige Straßenköter. Und Tanja verstand sehr schnell, wie man Männern den Kopf verdreht.«
Siebels dachte an seine Tochter, an seine mittlerweile zwölfjährige Tochter, die nun ohne ihn aufwachsen musste. Hatte sie auch schon Verehrer? »Es tut mir leid, aber ich habe Sie noch nicht über alle Umstände aufgeklärt, die mit Tanjas Tod zu tun haben.« Siebels holte Fotos vom Tatort aus seiner Jackentasche und legte zwei davon auf den Tisch. Niehaus schaute sie fassungslos an. Die roten Buchstaben auf Tanjas Rücken waren deutlich zu lesen. »Ich bin eine kleine geile Schlampe«.—
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