Zurück zu Grange. Der Hype um ihn war riesig. Deshalb ging Halas mit seinen Bears nach Ende der Saison 1925 noch auf Tour, tingelte mit dem »Galloping Ghost« am Nasenring durch die Football-Manegen der USA. Diese Reisen mit acht Spielen in zwölf Tagen in St. Louis, Philadelphia, New York, Washington, Boston, Pittsburgh, Detroit und Chicago – kurz darauf folgte dann auch noch ein weiterer Neunspiele-Trip in den Westen und Süden der USA – war anstrengend und bot sportlich daher nicht das beste Niveau. Aber die Stadien waren voll und so war der Trip zumindest finanziell ein großer Erfolg. Für Halas, die Bears – und Grange. Dessen Manager, Charles Pyle (*1882, †1932), wurde in den Folgemonaten aber immer geldgieriger und bekam den Hals nicht voll. Was zur Folge hatte, dass Grange die Bears nach nur einer Saison wieder verließ. Er kehrte zwar 1929 zu ihnen zurück, konnte aber wegen einer mittlerweile erlittenen, schweren Knieverletzung nie wieder an seine besten Zeiten anknüpfen.
Die NFL und die Bears hatten da schon längst eine neue Attraktion: Bronko Nagurski (*1908, †1990), Spitzname: »Monster of the Midway« (»Monster der Mitte«). Der Sohn ukrainischer Einwanderer war auf beiden Seiten des Football-Feldes gefürchtet, er ging sowohl im Angriff als auch in der Verteidigung kompromisslos zur Sache und war kaum zu stoppen. Für die Bears rollte er ab 1930 wie eine Dampfwalze über den Rasen. Mit seinen über 100 Kilo purer Kraft bei 1,88 Meter Körpergröße war er der erste Prototyp der heutigen Running-Back-Generation. Nagurski war auch Zeitzeuge des ersten inoffiziellen »Playoff-Spiels« in der Geschichte der NFL. Am Ende der Saison 1932 lagen die Bears und die Portsmouth Spartans (die heutigen Detroit Lions) nämlich gleichauf an der Tabellenspitze. Um den Meister zu küren, wurde ein zusätzliches Spiel im Chicago Stadium, eine 1929 eröffnete Halle, in der sonst das Eishockey-Team Chicago Blackhawks aus der NHL spielte, vereinbart. Draußen war ein Kickoffunmöglich, weil ein Schneesturm über der Stadt herrschte. Chicago gewann mit 9:0. Nach einem Zwei-Yard-Pass von Bronko Nagurski in die Endzone sorgte Harold Grange für den entscheidenden Touchdown. Für die Bears war es der zweite Titel nach 1921.
Weil den Ligafunktionären und den Zuschauern dieses erste »Alles oder nichts«-Spiel so gut gefiel, beschloss man, ab der Spielzeit 1933 die NFL in zwei Divisionen aufzuteilen, deren jeweilige Sieger am Saisonende in einem Endspiel gegeneinander antraten. Die Vorläuferidee des Super Bowl war geboren. Die NFL East bestand damals aus den New York Giants, Brooklyn Dodgers, Boston Redskins, Philadelphia Eagles und Pittsburgh Pirates. Die NFL West aus den Chicago Bears, Portsmouth Spartans, Green Bay Packers, Cincinnati Reds und Chicago Cardinals. Im ersten »richtigen« Finale triumphierten erneut die Bears, sie bezwangen die Giants vor eigener Kulisse mit 23:21.
Finanziell lukrativ war Profifootball in den USA aber weiterhin nicht. Viele Teams nagten am Hungertuch und standen am Rande ihrer Existenz. Durch die Weltwirtschaft skrise im Laufe der 1920er Jahre, gepaart mit dem Börsencrash 1929 an der New Yorker Wall Street, magerte die NFL immer mehr ab. In nur sechs Jahren reduzierte sich die Anzahl ihrer Teams rasant, von 22 im Jahr 1926 bis runter auf acht im Jahr 1932. Ligaboss Carr hatte in der Zwischenzeit klar Schiff gemacht und die finanziell in Not geratenen Mannschaften rausbefördert. Ihm war Qualität wichtiger als Quantität. Und er wollte Spannung. Das Positive daran: Die verbliebenen Mannschaften standen wirtschaftlich auf festem Fundament. Und Carr hatte ein Auge darauf, dass nur noch Teams neu hinzukamen, die seriös haushalteten. Er konnte nun auch seinen Plan, die NFL vorwiegend in US-Großstädten zu etablieren, konkretisieren. Auf einem Ligameeting vor der Saison 1933 wurde beschlossen, drei neue Franchises aufzunehmen: die Pittsburgh Pirates, die Philadelphia Eagles und die Cincinnati Reds. Letztere wurden 1934 wieder rausgeworfen, weil sie ihre Mitgliedsbeiträge nicht bezahlen konnten. Aber die Pirates, die 1940 in Pittsburgh Steelers umbenannt wurden, und die Eagles gibt es bis heute.
Bronko Nagurski war auch als Wrestler aktiv.
In Pittsburgh war Art Rooney (*1901, †1988), auch »The Chief« (»Der Chef«) genannt, der starke Mann. Ein talentierter Boxer und Baseball-Spieler, der einen niedrigen vierstelligen Betrag auf den Tisch legte, um ein NFL-Team gründen zu dürfen. Während die Steelers lange erfolglos in der Liga vor sich hindümpelten, entwickelten sie sich ab den 1970er Jahren prächtig und fuhren sechs Super-Bowl-Siege ein. Das Besondere: Seit 1969 bis heute hatten in Pittsburgh nur drei Head Coaches das Sagen (mehr dazu in Kapitel #3). Eine gute Freundschaft pflegte Art Rooney zu Bert Bell (*1895, †1959). Auch der blätterte – gemeinsam mit Lud Wray (*1894, †1967), dem ersten Head Coach der Boston Braves (das sind die heutigen Washington Redskins) – ein paar Tausend Dollar hin, damit seine Philadelphia Eagles die Starterlaubnis für die NFL bekamen. Wray wurde zum ersten Cheftrainer des Franchises, flog aber schon 1935 wegen Erfolglosigkeit wieder raus. Den Posten übernahm nun Bell, der sich aber auch weiter ums operative Geschäft kümmerte und aufgrund der schlechten sportlichen Situation bis Ende dieses Jahrzehnts mit massiven finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Genau wie Rooney. Daher heckten die beiden Kumpels etwas aus, was als »Pennsylvania Polka« in die NFL-Geschichtsbücher einging. In den Jahren 1940 und 1941 entwickelten sich zwischen den Eagles und den Steelers wilde Tauschgeschäfte, von denen sowohl die Spieler beider Teams als auch die Städte Philadelphia und Pittsburgh betroffen waren. Mittendrin war mit Alexis Thompson (*1914, †1954), ein weiterer Geschäftsmann. Höhepunkt des ganzen Durcheinanders: In der Saison 1943 schlossen sich die Steelers und die Eagles zu den »Steagles« zusammen. Hintergrund war der Spielermangel in der Liga aufgrund des Zweiten Weltkriegs.
Nach dem Ende des Kriegs fand Bell eine neue Herausforderung. Er wurde zum NFL-Boss gewählt (siehe Kapitel #2). Die Eagles wurden 1949 von Thompson an die Happy Hundred verkauft. Eine Investorengruppe, von denen ein LKW-Magnat namens James Clark die meisten Teamanteile besaß. Heute sind solche Eigentümergruppen laut NFL-Satzung verboten (siehe Kapitel #11). Philadelphia konnte 1948, 1949 und 1960 den NFL-Titel gewinnen. In der Saison 2017 auch erstmals den Super Bowl. Seit 1994 ist dieses Franchise im Besitz von Jeffrey Lurie (*1951), einem Kinoketten-Erben, der zuvor unter anderem auch schon großes Interesse am Kauf der New England Patriots hatte. Aus der Historie heraus gehört das Kräftemessen zwischen den Eagles und den New York Giants zu den ältesten Teamrivalitäten der NFL. Die lautstarken und oft über die Stränge schlagenden Fans der Eagles sind ligaweit am gefürchtetsten. Das ergab eine Umfrage von »Sports Illustrated« im Jahr 2011 unter 321 NFL-Spielern. Im Lincoln-Financial-Field-Stadion wird auch schon mal der Weihnachtsmann mit Schneebällen beworfen. Eli Manning (*1981), Quarterback von Eagles-Erzrivale New York Giants, sagte im März 2019 bei »Newsday«: »Ein Neunjähriger auf der Tribüne hat mir seine beiden Mittelfinger gezeigt und was über meine Mutter gesagt. Ich musste seine Worte erst mal googlen. Ja, da herrscht eine andere Kultur.«
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Zurück in die 1930er Jahre. 1934 erhielt ein Team den Namen, den es auch heute noch trägt. Die Rede ist von den Detroit Lions. Sie entstanden 1929 als Portsmouth Spartans, die ab 1930 in der Liga mitmischten. Portsmouth war damals die kleinste Stadt mit einem NFLTeam. Die Spartans mussten raus aus der Einöde, um wirtschaftlich zu überleben. Diese Aufgabe übernahm George Richards (*1889, †1951), Besitzer einer Radiostation in Detroit. Er machte die Spartans zu den Lions und hauchte ihnen in »Motor City« neues Leben ein. Gleich in ihrer Premierensaison durften die Lions an Thanksgiving mitwirken. Diese NFL-Spiele am amerikanischen Erntedankfest-Feiertag (immer am vierten Donnerstag im November) hatten schon damals Tradition. Sie wurden 1934 eingeführt und sorgten stets für mediale Aufmerksamkeit. Dass George Richards ein lokaler Radiosender gehörte, erleichterte den Start seines neuen Teams in Detroit natürlich zusätzlich. Er nutzte seine Kontakte und tütete einen Deal mit der National Broadcasting Company (NBC) ein, einem US-Hörfunk- und Fernseh-Netzwerk. Schon Tage vorm Kickoff wurde die Werbetrommel gerührt. Ergebnis: Das Stadion war ausverkauft und das Thanksgiving-Duell der Lions gegen die Chicago Bears am 29. November 1934 war das erste NFL-Spiel überhaupt, das landesweit im Radio übertragen wurde. Für die NBC am Mikro saß Graham McNamee (*1888, †1942), damals Amerikas bekannteste Stimme. Die Bears gewannen diese Partie 19:16. Die Lions genießen seit 1945 bis heute das Recht, jedes Jahr an Thanksgiving ein Heimspiel zu haben.
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