PS: Die Uschi Obermaier hat übrigens auch noch Jahre nach dem Tod ihres Lebensgefährten in dem umgebauten Schuh-Bus gewohnt. Unnützes Wissen, Teil 2.
Wir holen uns die Wiener zurück
Nachricht von daheim. Meine frisch geschiedene Freundin Lisa schickt eine Nachricht mit einem Selfie neben einer Ortstafel. Poppendorf steht da drauf.
Au weia, wenn jetzt die Wiener das Südburgenland gentrifizieren, Fincas errichten und Ausschau nach Pusta-Boys halten, sehe ich schwarz für die völkerverbindende Freundschaft zwischen den Bundesländern. Pusta-Boys ! Wem bitte fällt so was ein. Die wird gleich wieder ausgewiesen werden aus Poppendorf und das schöne Burgenland nie wieder weiter als bis zum Designer-Outlet-Center Parndorf betreten dürfen! Integration beginnt im Urlaub. Darum heißt es auch nicht mehr Fremdenverkehr, sondern »Urlaub bei Freunden«!
Wobei ich da eh noch ein Urlauberintegrationstrauma habe. Als ich einst Kind war, waren wir an einem warmen Sonntag im Frühling beim Kirchenwirt essen. Es muss irgendein akuter Feiertag gewesen sein, denn man ging damals nicht einfach so ins Gasthaus essen. Ich tippe auf Muttertag, denn es war schon warm. Ich durfte zum ersten Mal meine neuen, schneeweißen Sandalen ausführen, und überall in den Gasthäusern wurden die Mütter ausgeführt. Normalerweise waren in diesen Gasthäusern neben den Kirchen eher Sommerfrischler und Urlaubsgäste anzutreffen. Aber an besonderen Hochamtsfeiertagen übernahmen wir Einheimischen wieder den Vorsitz. Und saßen in sicherer Distanz nebeneinander. Kulinarisch waren beide Seiten voll integrationswillig, die Wiener aßen gern Bauernschmaus, wir vom Land hingegen gern Wiener Schnitzel. Mit einer Scheibe Zitrone, oder wenn das Gasthaus etwas Besseres war, sogar mit Preiselbeeren. Neugierig blickte jeder über seinen Tellerrand hinaus und zu den Fremden hinüber. Manchmal wurden unter uns Kindern auch zarte Bande der Freundschaft geknüpft. Obgleich die sprachliche Hürde eine nicht zu unterschätzende Barriere bildete, auch wenn die große Hauptstadt Wien, wo die meisten Sommerfrischler her waren, eigentlich nur 120 Kilometer entfernt war. Ohne Autobahn bedeutete das damals noch drei Stunden Fahrt über kurvige Bergstraßen.
Am Nebentisch an diesem warmen Frühlingssonntag saß ein Sommerfrischler-Ehepaar. Die Sommerfrische dürfte aber das einzig Frische in ihrer Ehe gewesen sein, denn sie hat ihn von der Suppe (Leberknödel) bis zur Nachspeise (Birne Helene) angekeift. Vorwiegend ging es um das Schuhwerk. Und dass man für die Sommerfrische die guten Schuhe nicht hätte beanspruchen müssen. »Man trägt hier Gummistiefel!«, sprach sie. Ich schaute auf meine Füße hinunter, die den Wirtshausboden noch nicht erreichten, auf meine wunderschönen weißen Sandalen, und verstand die Welt nicht mehr.
Später war ich selbst auch nicht besser. Das ferne Wien kannte ich nur aus der beliebten TV-Serie »Ein echter Wiener geht nicht unter«. Das war für mich das echte Wien. Ich wusste nichts von Hietzing oder dem Burgtheater. Als ich zum ersten Mal nach Wien kam, erwartete ich, dass hier alle Familien ihre Badewannen in der Küche hätten und man sich abends rund um den Esstisch versammelte, um viel Bier zu trinken und sehr laut miteinander zu sprechen. Vielleicht braucht der Mensch solche Klischees zur ersten groben Orientierung. Alle Kärntner singen. Alle Schwaben sind sparsam. Alle Tiroler tragen Lederhosen. Alle Wiener sind grantig. Die Berliner noch mehr. Darum mag ich die auch so.
Die Wiener kamen sehr gern zu uns auf Urlaub. Mir gefiel das auch gut, weil es etwas Exotisches in meinen Alltag brachte. Schließlich gab es zu der Zeit noch kein Internet, sondern zwei Fernsehkanäle und Vierteltelefone. Manchmal fuhr ich heimlich mit meinem roten Rennrad zu den touristischen Hotspots unserer Gegend und hielt nach den Fremden Ausschau. Beim Natur- und Waldlehrpfad oder im Freibad. Je älter ich wurde, desto genauer schaute ich, bis irgendwann einer zurückschaute. Mein erster Freund. Ein Wiener!
Auf einmal gab es brasilianische Telenovelas im Fernsehen (»Die Sklavin Isaura«), und ich hatte einen Wiener Freund! Das war der Beginn meiner persönlichen Globalisierung. Vor lauter Freude wollte ich mit meinem Integrationswillen bei ihm Eindruck schinden. Nach unserem ersten romantischen Abend sagte ich zu ihm: »Baba, i drah mi jetzt ham.« Das kannte ich von einem Wolfgang-Ambros-Lied vom Sender ORF Burgenland, der bei uns immer lief, weil wir so nah an der steirisch-burgenländischen Grenze wohnten. Was ich damals nicht wusste, war, dass »I drah mi ham« bedeutet, dass man schwer suizidgefährdet ist und ein letaler Ausgang des Abends im Raum stehen könnte.
Später hörte sich das mit der Sommerfrische leider auf. Die Wiener sind weitergefahren nach Italien oder Jugoslawien. Oder gleich nach Griechenland geflogen. Da war auf einmal alles möglich. Aber wir Steirer und Burgenländer steckten nicht traurig die Köpfe in den Sand, sondern Bohrmaschinen in die Erde. Und siehe da, wir fanden Thermalquellen! So holten wir die Wiener wieder zurück und bauten ihnen gleich noch eine Autobahn dazu, damit das mit der Anreise schneller geht.
Als wir vorgestern um 4 Uhr früh völlig übermüdet und unterkühlt am Flughafen in Doha gebeten wurden, den Pool zu verlassen, hätte ich auch eine kürzere Anreise bevorzugt. Da fiel mir das mit der Sommerfrische und den warmen Thermalquellen wieder ein. Wir wären einfach eine Stunde über die Autobahn A2 gefahren, hätten eine kurze Pause bei der Raststation eingelegt, wären einmal kurz um 50 Cent aufs Klo gegangen und hätten dann einen Kaffee gekauft, um die 50 Cent wieder hereinzuspielen. Weil wir ausgefuchst sind, hätten wir uns gleich so einen Kaffee genommen, wo man das Häferl gratis dazubekommt. Win-win für alle! Eine Stunde später wären wir samt dem neuen Häferl auch schon am Urlaubsziel gewesen. Aber nein, ich wollte ja ein Abenteuer für die ganze Familie!
Statt auf einer Raststation im Wechselgebiet hatten wir also einen Zwischenstopp in Doha. Dort bekamen wir gleich einen kleinen Einblick, welche unverhofften Abenteuer so eine Reise bereithalten kann. Dabei hatte ich mir Doha so spektakulär vorgestellt. Wie eine orientalische Telenovela. Emirate, Ölscheichs und Prinzessinnen, Kaffee aus güldenen Tassen. Aladin und die Wunderlampe. Tausendundeine Nacht. Die bezaubernde Jeannie. Major Nelson und Major Healey. So weit, so unrealistisch. Flaschengeist gab es natürlich keinen. Den hätten wir eher wieder in der steirischen und burgenländischen Thermenregion gefunden. Einen Uhudler-Flaschengeist!
Aber in Doha am Flughafen ist nichts aus irgendwelchen Flaschen gesprungen, auch sonst ist dort nichts herumgesprungen, weil um vier Uhr früh das komplette arabische Flughafenwunderland geschlossen war. Also blieb uns nichts anderes übrig, als nach einer Schlaf- oder zumindest Liegemöglichkeit für die kommenden sechs Stunden Ausschau zu halten. Die einzige Liegemöglichkeit, die ich auf meiner Doha-Flughafen-App fand, war ein Spa mit Schwimmbad. Ein Schwimmbad mitten am Flughafen, das noch dazu 24 Stunden geöffnet hat, wo gibt’s denn so was?! Wenn Geld keine Rolle mehr spielt, gönnt man sich ein Schwimmbad am Flughafen. Sehr klug von den Scheichs! Tourismusmagnet, sag ich nur. Vielleicht hätten wir unsere Thermalbäder auch näher an die Autobahn heranbauen sollen? Oder zumindest so kleine Teaser-Sprudelbecken entlang der Parkplätze aufstellen? Es gibt eh kaum was Grauslicheres als Autobahnparkplätze.
Читать дальше