Dass es sich bei den älteren und jüngeren Stimmen z. T. um Extrembeispiele handelt und das radikale Wüstenmönchtum des 4. Jahrhunderts im vorliegenden Entwurf einen zentralen Platz einnimmt, bedarf einer Begründung. Meine Wahl war zum einen vom Wunsch geleitet, ein möglichst einprägsames Beispiel für den jeweils zu veranschaulichenden Aspekt zu finden. Extrembeispiele kommen diesem Wunsch entgegen. An ihnen tritt in aller Deutlichkeit hervor, was in der |15| Alltäglichkeit christlichen Lebens oft verborgen bleibt. Zum anderen kommt dem frühen Mönchtum spiritualitätsgeschichtlich eine Sonderolle zu. Es vermag auch heutige spirituelle Suche durch seine inspirierte Nüchternheit zu orientieren.3 Damit soll nicht die zölibatäre Form christlichen Lebens zum Paradigma für alle anderen Lebensformen gemacht, sondern der symbolische Ort der Wüste für heutige Spiritualität in Erinnerung gehalten werden. Paradigmatisch ist die der Wüste abgewonnene Einsicht, «dass wahrhaft geistliches Leben nur möglich ist, wenn die Weltseite der Existenz ungeschminkt wahr- und ernst genommen wird.»4
Vergleicht man die Zeugnisse, so tritt etwas hervor, das gleichsam das raue Sacktuch darstellt, in das sich die drei hier gewählten Hauptfäden hineinsticken: die menschliche Existenz als eine von Armut, Krankheit und Gewalt heimgesuchte. Die Stimmen, die unseren Erkundungsgang in die Welt der christlichen Spiritualität begleiten werden, sind vom hellen und herben Geist der Seligpreisungen durchklungen. Sie bezeugen, dass das Evangelium dort am stärksten berührt und unter die Haut geht, wo Menschen sich als arm, gefangen und behindert erfahren, wo sie an die Schwelle des Todes kommen. Es ist die Stimme einer deutschen Philosophin jüdischer Abstammung, die in Auschwitz ermordet wird; die Stimme eines in Elend und zugleich überaus glücklich sterbenden Missionars, der aus Solidarität das Leben der Armen gewählt hat; die Stimme eines französischen Trappistenmönchs, der seinem gewaltsamen Tod klarsichtig und gelassen entgegenschaut; die Stimme eines widerständigen deutschen Theologen, dessen in Gefangenschaft verfassten Briefe an seine Braut die Güte der Schöpfung und der Sexualität preisen; eines italienischen Kleinen Bruders, den die Wüste das Gebet der Armut, die Kontemplation lehrt; die Stimme einer vièrge rouge, einer kämpferischen Philosophin, die auf ungewöhnliche Weise zum Gebet findet; die Stimme eines blinden Franzosen, der als Résistance-Kämpfer in den dunkelsten Jahren des 20. Jahrhunderts das Licht wiederfindet |16| und dem im KZ eine überwältigende mystische Erfahrung geschenkt wird; eines spanischen Karmeliten, der in einem elenden Klostergefängnis Gedichte von einer überweltlichen Schönheit schreibt und eine Mystagogie entwickelt, die Generationen von Gottessuchern prägen wird; eines ungarischen Jesuiten, den die Option für die Armen ins Gefängnis der argentinischen Militärjunta gebracht hat und der dort einen persönlichen Läuterungsweg durchlebt; eines Universitätsprofessors, der seine Lehrtätigkeit aufgibt, um mit Menschen mit schweren Behinderungen zusammenzuleben …
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