Wir wissen, daß alle Güter dieser Erde nichts sind als amorpher Rohstoff, weder gut noch böse, weder wert noch unwert, solange sie nicht zu zweiter Natur wiedergeboren sind. Die Güte, die aus Gewöhnung und freundlicher Anlage kommt, nicht wiedergeboren aus Stärke des Herzens, ist keine Güte; Natur, durch kein vergeistetes Auge neu erzeugt, ist nicht Natur; das Meisterwerk gewinnt seine Freiheit, indem es durch Kunst zur Natur wiedergeboren wird; der Mensch selbst, ungeläutert durch Fall, Bewußtheit und Aufstieg, bleibt im Seelenhaften ungeboren. Die Wiedergeburt durch Bewußtheit und freien Willen zur Pflicht und zum Liebeswerk war dem mechanistischen Wesen noch nicht beschieden; noch ist es ungebrochenes Natur- und Kriegswerk, in gleichem Stande wie Selbstverteidigung vor Anbruch des Gesetzes oder Ernährung ohne Erkenntnis des Eigentums. Und doch ist die Mechanisierung sittlicher Durchgeistigung fähig; ihr höchster und edelster Teil, der Staat, hat durch vorzeitliche Weihen sie erfahren und könnte ohne diese Verklärung seiner Sendung nicht bestehen. Freilich fließen die tausendfachen Attribute des Staates aus ehrwürdigeren Quellen; Heimatsliebe, Stam- [52]mesgenossenschaft, nationale Gemeinschaft, des Kulturbesitzes und Erlebens, religiös-theokratische Verschwisterung des Empfindens haben sein Reich ins Übernatürliche gesteigert. Doch es entscheidet nicht die Herkunft, sondern die immanente Notwendigkeit des Wesens; es entscheidet das Bewußt sein, daß die geheiligte Institution höher steht als die Notdurft des einzelnen, die Ahnung, daß der Mensch nicht um eines irdischen Glückes willen geschaffen ist, sondern in göttlicher Sendung, der Glaube, daß die menschliche Gemeinschaft nicht eine Zweckvereinigung bedeutet, sondern eine Heimat der Seele. Dieses unausgesprochene Bewußtsein, das auch der unvollkommensten Staatsform noch einen Schimmer von Göttlichkeit verleiht, muß dereinst erwachen für jede Form und Handlung materiellen Lebens und muß selbst die Mechanisierung ergreifen und durchdringen. Stets war das Wirken in Wissenschaft und Kunst, in Heer und Staat sich bewußt, daß kein Werk verantwortungslos für sich allein steht, daß jedes sich selbst und der Welt Rechenschaft schuldet, daß eine Kette der Pflicht und Notwendigkeit alles Schaffen verbindet, daß Losgelöstheit und Willkür die Schmach des Eigennutzes und der sinnlichen Knechtschaft an der Stirn trägt. Das Bewußtsein muß aber erwachen, daß in gleichem Maße alles materielle Handeln und alles, was ihm dient, ein Bauen am irdischen und überirdischen Leibe der Menschheit bedeutet, darin jeder Schritt und Handstreich, jeder Gedanke und Laut Kerne und Zellen formt, daß eine göttliche Verantwortung und Dankbarkeit eines jeden Sache zu jedermanns Sache und jedermanns Sache zur Sache eines jeden [53] macht, daß es kein Unglück und Verbrechen gibt, für das wir nicht alle Rechenschaft schulden, daß kein Recht, keine Pflicht, kein Glück und keine Macht abseits vom Schicksal aller erworben und vertreten werden kann. Ist einstmals auch die Mechanisierung von dieser Erkenntnis durchgeistet, so ist sie nicht länger ein empirischer Gleichgewichtszustand; dann wächst sie empor und hinein als wahrhafter Organismus in das Gesamtorganon des Schöpfungskreises, auf daß nun in seinen Adern ungehemmt vom Herzen zum Herzen der Gottheit die Kräfte strömen und das planetare Leben zum Bilde organischer Theokratie sich vollendet.
Überblicken wir getrost den Umfang der mechanistischen Erscheinung! Die technisch dienende Verrichtung: Das wuchernde Geschlecht zu nähren und zu erhalten, wird von der mechanisierten Ordnung zulänglich geleistet. Zu den Kräften der Natur, zum Bereiche sinnlicher Erkenntnis ist ein bedeutendes Verhältnis geschaffen. Im nützlichen Denken, im Sammeln und Verteilen der Kräfte, in der Beweglichkeit der Massen und der Geister ist Ungeahntes erreicht. Das Übel der Mechanisierung beginnt, wo die ungebrochene, undurch- geistete Kraft sich des innern Lebens bemächtigt, wo die gewaltig entfesselte Bewegung verantwortungslos aus der dienenden Bindung sich befreit, um den Menschen und sein Geschlecht, den Herrn des Getriebes, zum Knecht seines eigenen Werkes zu erniedern. Hier quillt Unfreiheit, sinnloses Mühen, Feindschaft, Not und geistiges Sterben.
Doch dem Menschen ist es gegeben, sich zu besinnen und mit dem Lichte seiner übersinnlichen Ahnung die Wirrnis zu durchleuchten. Die Me- [54]chanisierung als materielle Ordnung wird er nicht preisgeben, solange nicht neue Ereignisse und Einsichten ihn gelehrt haben, den Naturkräften anders als durch organisierte Arbeit und Forschung entgegenzutreten. Die Mechanisierung als geistige Herrscherin des Daseins wird er bekämpfen und kann er vernichten, sobald er die Praxis vom Zweck zum Mittel mäßigt, sobald er des Notzwangs und Blutlohns nicht mehr bedarf, sobald er vorzieht, aus freiem Willen zu leisten, was heute der Zwang ihm erpreßt, und den ärmlichsten Teil seines unedlen Sonderglücks um Menschheitssegen einzutauschen.
Daß es nur eines Umsteuerns des Geistes bedarf, nicht des Maschinellen, begreifen wir aus innerster Tiefe, sobald wir nochmals die Mechanisierung als Erscheinung verlassen und sie als Geistesevolution von innen ergreifen. Hier erscheint sie uns als die gewaltige Steigerung des Erdengeschöpfes zum Intellekt, der in der beispiellosen Zahl seiner Träger, in der Schärfe und Nachhaltigkeit, Zielrichtung, Verzweigung und Sammlung seiner Organe ein ungeheures Maß niedersten Geistes in Bewegung hält. Dieses Maß reicht aus, um dem blinden Willen der Natur ein Gleichgewicht zu bieten; und die erste dankbare Regung der beschenkten Welt ist das kindliche Vertrauen, sie dürfe den überschwenglichen Kräften des Intellekts ihr Glück und ihre Freiheit anheimstellen. Hier beginnt Irrtum und Not und mit ihr die Heilung. Endlich hat die Steigerung des Denkens die kritische Einsicht gereift, daß Intellekt zum Ordnen der Begriffe taugt, nicht zum Erkennen; indem nun diese Einsicht sich zum Begreifen erhebt, die höchste [55]Pflicht der unteren Geisteskräfte sei Selbstbeschränkung, Selbstaufhebung, Verzicht auf alles Richten und Lenken: so ist alsbald der Boden für die reine Saat bereitet, die lebend von Anbeginn im Dunkel des Menschenherzens schlummert. Es ist Zeit zum Anbruch der Seele! Daß wir heute ihr Bild zu ahnen, ihren Mächten uns hinzugeben vermögen, verdanken wir der Not der intellektualen Weltepoche. Sie welkt, nachdem sie diese Frucht getragen; nicht in dem Sinne zwar, als solle die Menschheit künftig auf ihr Recht zu denken und zu formen verzichten: sie wird es pflegen und stärken, doch stets in dem Bewußtsein, daß es niedere Kräfte, zum Dienst geborene sind, deren sie in höherer Verantwortung und Sendung waltet. Berühren aber die ersten Strahlen der Seele die intellektuale Welt und ihre Verwirklichungsform, die mechanistische Ordnung, so ist es nicht entscheidend, welche der Starrnisse zuerst dahinschmelzen; denn nicht der Zusammenhang sekundärer Ereignisse, sondern die Sonnennähe transzendenter Ahnung führt den Frühling über die Welt. In diesem bescheidenen Sinne ist der aufbauende Teil der Erörterung zu verstehen: Nicht ein vollkommenes Verzeichnis irdischer Handlungen in zeitlicher Reihenfolge ist ihr letztes Ziel, sondern die Aufweisung pragmatischer Verwirklichungsformen des Gedankens: Daß Seelenrichtung des Lebens und Durchgeistung der mechanistischen Ordnung das blinde Spiel der Kräfte zum vollbewußten, freien und menschenwürdigen Kosmos gestaltet.
[56] Noch schwebt unentschleiert und unbenannt die Aufgabe über unserm Haupt. Den Weltzustand, der uns umgibt, haben wir ermessen; die Richtung, die zur Freiheit führt, wurde erkennbar, das Gestirn, dem wir folgen, weist den Weg zur Seele. Nun liegt uns ob, die pragmatische Form zu gestalten, die den überstrebenden Gedanken irdisch umfaßt und unsrer Epoche greifbar vermittelt; die metaphysische Aufgabe soll uns ihr physisches Abbild enthüllen.
Читать дальше