Und Shrat erinnert sich: »Von den PN -Gigs sollte jeder anders werden. Das erste Plakat, das wir dafür machten, ist nach wie vor das Beste, das wir je hatten, obwohl man nichts drauf lesen konnte.«
Die neue Wohnung brachte uns nichts als Ärger. Der Goetheplatz war nicht in Schwabing, wo die Leute schon immer etwas extremer und toleranter lebten, sondern eine reine Kleinbürger- und Gastarbeitergegend. Vorurteile gegen Langhaarige, Gammler und Hippies machten einem das Leben schwer. In vielen Läden wurde man nicht bedient, in manche Lokale gar nicht erst reingelassen oder so provoziert, dass man freiwillig das Weite suchte. Und Barbara entpuppte sich bald als stockbiederes Mädchen mit allerlei Macken.
Eines Tages strich sie die Fensterrahmen grün und rot, und zwar auch außen. Ab da hatten wir in der Wohnung keine ruhige Minute mehr. »Puff«, sagten die Hausbewohner und schnitten uns. Tagsüber ging ich mit Rüdiger beim Studentenschnelldienst jobben, abends standen wir meist im Bungalow am Flipper. Der Bungalow in der Türkenstraße, auch inzwischen abgerissen, war der absolute Treffpunkt der Münchner Szene. Dort planten die Studenten der Filmhochschule ihre ersten Filme, wurden Deals aller Art gemacht, gingen Filmemacher Klaus Lemke, May Spils, Schauspieler wie Rolf Zacher und Musiker ein und aus. Das Bungalow war ein Umschlagplatz für ideelle und materielle Güter. Die Typen in ihren langen Ledermänteln und mottenzerfressenen Pelzen, in Schlapphüten und dunklen Sonnenbrillen, die Mädchen in einer Mischung aus Revolverbraut und dekadentem Vamp, saßen verschwörerisch zusammen wie ein Geheimbund. Mein Bruder hatte sich inzwischen im Bühlertal eingerichtet und schrieb Mitte des Monats: »es freut mich, dass ihr nun doch ein sicheres und offensichtlich lustiges dach über dem kopf habt. …. hast du übrigens versucht, bei der neuen zeitschrift underground unterzukommen?«
Nun, so sicher und lustig war das Dach eben nicht, unter dem wir wohnten. Aber es gab andere Aufenthaltsorte: im Blow Up spielten die Pink Floyd und es war das beste Konzert, das ich je von ihnen gesehen habe. Einige Tage später traten die Bee Gees mit einem 40-Mann-Orchester im Deutschen Museum auf, und die Leute standen Kopf: Orchestermusiker und Pop? Musste man die Popmusik nun doch ernst nehmen, war sie dabei, in die Kulturdomäne einzudringen? Drei Tage später ging an meinen Bruder ein Brandbrief: »barbara hat mich heute so gut wie aus der wohnung geschmissen ... zu meiner sorge, bald einen job zu finden, kommt nun auch wieder das wohnungssuchen, und zwar bis zum 1. 12., falls du eine möglichkeit sehen solltest, wie ich aus der geschichte herauskommen kann, ruf bitte nach 19.00 an.«
Rüdiger und ich hatten nun neben der Hausbesitzerin auch noch Barbara als Gegnerin, die den »chaotischen Zuständen« ein Ende bereiten wollte. Denn wie bei allen Kommunewohnungen gingen auch bei uns immer mehr Leute ein und aus, saßen völlig Unbekannte in der Küche und leerten den Kühlschrank oder mit Kopfhörern bei der Stereoanlage, wenn nicht gar im eigenen Bett. Weder Rüdiger noch mir gefiel das, aber wie sollte man sich durchsetzen ohne gleichzeitig als »spießig und bürgerlich« verspottet zu werden? Die »guten Freunde aus dem Underground « mussten nicht wie wir morgens jobben gehen, sondern machten sich darüber auch noch lustig. Außerdem, was heißt hier Privatbesitz? Alles für alle, Konsumgüter sind für die Allgemeinheit da! Bücher, Zeitschriften, Schallplatten, Klamotten, sie verschwanden schneller, als sie kamen. Und die Telefonrechnung stieg ins Astronomische. Wenn es ans Bezahlen ging, waren die »guten Freunde aus dem Underground « längst weitergezogen. Die Subkultur hatte eine neue Form des Schmarotzertums hervorgebracht, jederzeit ideologisch belegbar.
Desperados - With A Little Help From My Friends
Am 20. November schrieb mein Bruder einen Lagebericht zur Frankfurter Szene: »das kann doch nicht wahr sein, dass es bei euch so wüst und enervierend zugeht, da kann man ja richtig angst kriegen, ich erlebe zwar in frankfurt auch eine menge von konflikten und pathologischen sachen, doch die rühren eher aus einer völlig gegenteiligen situation. da hier alle hochgradig anti-autoritär eingestellt sind und ein extremes gemeinschaftsbewusstsein entwickelt haben, herrscht in der gruppe, in der wolf und ich verkehren, eine überempfindlichkeit, die am laufenden band zu kleinen katastrophen führt. stundenlang wird darüber diskutiert, ob man mit einem mädchen noch verkehren soll, das sein kind nicht in den sozialistischen kindergarten tut und in harten worten den anderen müttern vorwirft, die erziehung im sds-kindergarten tauge momentan noch nicht viel. oder du sitzt in einem lokal mit ein paar leuten und unterhältst dich mit einem bekannten über einen film, den ihr gerade gesehen habt. am nächsten tag erfährst du, dass sich ein mädchen, das dabeisaß, darüber beschwerte, nicht ins gespräch miteinbezogen worden zu sein, du würdest sie offensichtlich mit absicht ignorieren. die leute rufen sich denn auch nachts um zwei uhr noch an, weil sie ein problem haben, mit dem sie nicht alleine fertig werden. im vordergrund stehen freundschaften und das leben in der gemeinschaft. wer sich zurückzieht, muss das rechtfertigen oder wird privatistischer neigungen und eines anti-sozialen verhaltens beschuldigt. eine eigenartige auseinandersetzung, die dir ziemlich verrückt vorkommen wird, gab es kürzlich. es ging um eine große kommune, die im nächsten jahr gegründet werden soll. dabei entstanden zwei dominierende fronten, die einen wollten in die kommune nur leute aufnehmen, mit denen jeder einverstanden ist, die jeder für interessant und unproblematisch hält, und von denen nicht zu erwarten ist, dass sie große spannungen und kontroversen in die gruppe und deren leben bringen werden. die anderen wollen auch leute aufnehmen, mit denen nur einige einverstanden sind, die zwar interessant, aber auch schwierig sind, und mit denen es nicht immer leicht sein wird, reibungslos auszukommen. die ersteren wollen einen club von ›beautiful people‹ mit ziemlich gleichen interessen und lebensansichten, die zweiten eine gruppe ernsthafter leute, die vielfältige interessen und lebensweisen präsentieren und ein modell für die lösung gesellschaftlicher konflikte darstellen sollen. die beautiful -leute nennen die anderen spöttisch ›genossen‹, die mehr sozial ausgerichteten ihre kontrahenten ›bürgerliche‹. solange diese situation nicht gelöst ist, wird es zu der beabsichtigten kommune nicht kommen. in einer scharfen attacke hat dann einer die ursachen dieser frontstellung zu klären versucht. er griff die bürgerlichen hart an und warf ihnen vor, die revolution, von der ein stück in dieser kommune verwirklicht werden soll, sei für sie ja nur ein abenteuerliches spiel, während sie für die genossen eine todernste angelegenheit sei. dieser zwiespalt ließe sich aus der herkunft der jeweiligen leute erklären, die ›bürgerlichen‹ hätten fast alle noch kontakt mit ihren eltern, mit eltern, die ihnen den kauf eines autos finanzierten, die wohnungseinrichtung und das studium, mit eltern, die ihnen jederzeit aus ernsthaften finanziellen schwierigkeiten helfen würden. wenn für sie das experiment der kommune misslingen würde, dann wäre das keine katastrophe, sie könnten ja jederzeit zu ihren eltern und damit ins bürgertum zurück. sie seien also nichts anderes als desperados, die auf ein abenteuer ausziehen, das sie jederzeit wieder ohne große einbuße abbrechen könnten. anders sieht es bei den ›genossen‹ aus. sie haben kein zuhause, in das sie sich wieder retten können, sollte etwas schiefgehen. ihnen geht es nicht darum, aufregend zu leben, sondern in erster linie menschenwürdig. allerdings soll das keine kommune nach dem berliner oder hamburger muster werden, wo alle in ein paar zimmer zusammengepfercht hausen. wir haben gerade eine villa mit fünfzehn zimmern, vier bädern und drei küchen in aussicht. einziehen sollen ebenso viel mädchen wie ›typen‹, so sagt man in ffm zu männern; insgesamt denken wir an etwa zehn personen plus zwei, drei kleinere kinder, die miete soll pro zimmer nicht hundertfünfzig übersteigen. ein aufenthaltsraum mit fernsehen, stereoanlage, zeitschriften und nachschlagebibliothek, eine art informationszentrum ist vorgesehen, damit sich nicht jeder die sachen kaufen muss … um diesem langen brief endlich ein ende zu machen: wenn ihr nicht mehr als drei personen seid, könnt ihr gerne mal kommen. ich kann euch allerdings nur für tage oder wochenenden einladen, an denen wolf in frankfurt ist, weil ihr ihn sonst bei der arbeit stört. ... schöne grüße an den ganzen verein.«
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