Chris: »Weil die anderen in der Mehrzahl waren und auch die Verträge hatten, Helge, Angelika, Uschi, Rainer Langhans, Uli usw., fuhren die und spielten.«
Peter: »Da hatten sich Amon Düül I schon mit der Kommune I in Berlin zusammengetan.«
Shrat: »Wir waren dann ziemlich allein, wir wussten nicht, was wir machen sollten. Damals sind wir voll in den Seilen gehangen. Chris ist nach Hause zu seiner Mutter, hat da die letzten Kröten auf Kredit genommen. Ich hab auch Geld zu Hause geholt. Und dann sagten wir: gut, wir ziehen jetzt woandershin und machen allein weiter.«
Dennoch fuhren ein paar von ihnen nach Essen zum Festival. Brummbär traf sie dort.
»Ich erinner mich nur noch, dass auf dieses Super-Gruga-Dingsda Amon Düül I vollkommen ausgetrippt war. Und dass immer diese Durchsagen kamen: ›Amon Düül – hören Sie auf zu spielen! Sie müssen umbauen!‹ Sie sollten plötzlich ihre ganze Bühne umbauen, aber alle waren irgendwie auf Acid und völlig weggetreten. Ich machte Lightshow und hatte meine Lichtorgel und den ganzen Kram auch aufgebaut. Dann habe ich wieder abgebaut, da sie ja auf der anderen Bühne spielen sollten, es gab damals zwei, aber die Düüls weigerten sich umzuziehen, weil sie gar nicht mehr dazu in der Lage waren. Uschi Obermaier rannte immer rum und sagte: ›Bist du für uns oder gegen uns?‹ Nur weil ich abbaute, dabei war es gar nicht anders zu machen. Und da traf ich dann auch Chris, Falk, Shrat und John Weinzierl. Shrat war der einfachste von ihnen, der hatte eine so positive Ausstrahlung, der war damals wohl einer der wichtigsten Leute. John war immer ein stiller, hübscher, blonder Junge, der nicht viel sagte, sondern sich zu den Mädchen setzte. Aber Chris und Shrat, die waren es! Die hatten ein Konzept wie das der Grateful Dead -Family. Damals dachte man ja immer, man könnte in fünf Jahren die ganze Welt verändern, keinen Krieg mehr, und alle Menschen lieben sich. Da erzählte mir Chris, sie würden jetzt eine neue Gruppe machen, die sollte »Phallus Dei« heißen. Das war aber dann hinterher nur der Titel vom ersten Album.«
Die Essener Songtage manifestierten den Mythos der Amon Düül, machten sie über Nacht überregional bekannt.
Aber nicht in allen Tageszeitungen lasen sich die Berichte so positiv wie der folgende in der Kölnischen Rundschau vom 3. Oktober mit der Überschrift »Fast 40.000 Besucher erlebten das Fest der Hippies in Essen« ... »Die Revolution fand nicht statt. So etwa könnte man das Fazit der mit Spannung erwarteten Internationalen Essener Song-Tage ziehen, das vier Tage lang in rund 40 Veranstaltungen fast 40.000 Besucher in den ›Ruhrpott‹ lockte. Songs und Sex, Rock und Schock, zum Teil glänzende Musik, zum Teil unverständliches Gestammel. Doch das Protestgeschrei der Interpreten kam beim Publikum nicht an. Das wollte sehen, aber nicht handeln. In große Diskussionen ließ es sich nicht ein. Die US-Band Fugs spielte zwar zünftigen Rock, wirkte aber im übrigen nur ordinär. Genau wie das Kölner Kabarett Floh De Cologne . Die vielen Psychedelic-Shows ermüdeten die Fans ... Krawalle blieben erfreulicherweise aus ... Die Amon Düül aus München waren neben den Mothers Of Invention eine der besten Bands ... Sie haben eine eigene Lebensform entwickelt, indem sie sich zu einer Kommune zusammentaten. Von ihrer Lebensart erzählt die Musik. Sie ist völlig ungehemmt, leidenschaftlich und frei. Für manchen Zuschauer bot diese Gruppe ein ihm völlig unverständliches Bild: Junge Männer mit kunstvoll toupierten oder schulterlangen Haaren in phantasievoller Kleidung musizierten gemeinsam mit ebenso unkonventionell ausschauenden Mädchen in bodenlangen Kleidern. Selbstvergessen wurden die Instrumente bearbeitet: nur eine blonde Musikantin musste manchmal ihr Spielen unterbrechen, um das Kleinkind der Kommunardenband vor dem Sturz von der Bühne zu bewahren oder dem kleinen Blondschopf ein Mikrofon hinunter zu reichen, damit er auch hineinkrähen konnte ...«
In seinem Buch Rock Zeit beschreibt Rolf Ulrich Kaiser, der Veranstalter des Festivals, die Reaktion auf Amon Düül so: »Die Düüls hatten uns im August '68 ein Tonband nach Essen geschickt. Dort bereiteten wir die ›Internationalen Essener Song-Tage‹ vor. Das Band war verrauscht, der Klang stumpf und monoton. Aber es strahlte irgendwas, wer weiß schon was, aus. Wir holten sie zum Festival. ›Wir sind elf Erwachsene und zwei Kinder und haben uns entschlossen, alles gemeinsam zu machen, auch die Musik!‹, schrieben sie in ihrem lustigen, handgemalten Begleitbrief. Acht Erwachsene und ein Kind trafen ein, die anderen – Amon Düül II – waren gerade abgesplittert. Sie spielten einige Male beim Festival. Kein Kritiker kapierte ihre halb- bis einstündigen, einförmigen Rhythmen. Typisch war die Kritik der Frankfurter Allgemeine Zeitung, die vom ›halbstündigen musikalischen Nichts‹ sprach und sich an den ›erotischen Bewegungen der hübschen Rasselschwenkerinnen‹ ergötzte.« Noch auf dem Festival unterzeichnete Amon Düül I einen Plattenvertrag mit Schlagerproduzent Peter Meisel, Entdecker von Drafi Deutscher und Manuela.
Auch in München wurde der musikalische Underground aktiv. So fand am 29. September in der Discothek Crash eine Veranstaltung mit dem kuriosen Titel »Rhythm ’n’ Blues contra Underground« statt, wo einige der inzwischen überall entstehenden Schüler- und Laienbands auftraten. Wenn ich meinem Gedächtnis trauen darf, war auch Embryo darunter. Dagegen schien unser Wohnprojekt nun endgültig zu scheitern. Wolf hatte einen definitiven Rückzieher gemacht, mein Bruder beschloss, zu Wolf nach Bühlertal bei Baden-Baden zu ziehen. Barbara und ich kämpften gegen eine aussichtslos finanzielle Misere an.
»lieber wolf, da sich ja nun unser gemeinsames wohnungsprojekt für die nächste zeit total zerschlagen hat, und barbara und ich bis spätestens 1.11. hier ausziehen müssen, haben wir heute die, wie mir scheint, ideale wohnung für uns beide gefunden. 3 zimmer, küche, bad, beim goetheplatz, miete 330,- wir müssen bis spätestens 15.10. DM 800 für vermittlung, 3 monatsmieten im voraus bezahlen, haben aber momentan absolut nichts, nun frage ich dich, wolf, ob du uns ca. 2.000 DM kurzfristig leihen kannst?«
»liebe ingeborg, ich weiß, dass meine antwort eine bittere nachricht sein muss, die möglicherweise eure pläne total begräbt, aber ich muss euch gestehen, dass ich keinen sous habe, ich lebe von der hand in den mund, werde bald meine zuwendungen hier verlieren, da ich mich total zerstritten habe mit meinen arbeitszulieferanten. habe mir selbst schon geld geliehen, um über den monat zu kommen, zwar bin ich nicht so schlimm dran wie ihr, aber ich könnte euch offen gestanden keinen zehner geben, das gemeinsame wohnungsprojekt sehe ich in der tat auch gefährdet, da ihr euch nicht einmal auf meine zusagen verlassen könntet, ich käme nach münchen. ich finde es offen gestanden jetzt ziemlich gleichgültig, wo man wohnt in dieser republik, die personelle, soziale und kulturelle misere ist überall gleich frustrierend, und zentren, wie wir sie uns überlegt haben, kann man überall aufbauen oder nirgends, es ist immer nur eine frage der leute, die aber wohl in münchen am schwersten zu finden und zu erreichen sind, weil dort die caféhausatmosphäre und enkes schwabing offensichtlich nicht totzukriegen sind ...«
Das war mehr als desillusionierend in jeder Hinsicht, zeigte die Irritation, die bereits die Intelligenzija befallen hatte. Ich aber wollte nicht analysieren, ich wollte handeln. Wir mieteten die Wohnung zu zweit, mit einem über tausend Ecken erbrachten Kredit und viel Optimismus.
Da waren in Mexiko schwere Studentenunruhen vor der Olympiade, wurde der Yippie-Leader Abbie Hoffman vor den »Untersuchungsausschuss für unamerikanische Umtriebe« gestellt und verspottete das Gericht mit einem Sternbannerhemd, dass er sich auf die Brust gemalt hatte. Da wurde Fritz Teufel zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt, gaben die Mothers Of Invention ihr erstes Münchner Konzert im Deutschen Museum, zogen Amon Düül II nach Herrsching und Amon Düül I ins Berliner Hansa-Studio für die erste LP.
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