Alexander Fromm
ACID IST FERTIGEine kleine Kulturgeschichte des LSD
ImpressumBibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar. ISBN: 978-3-86408-214-6 (Print) // 978-3-86408-215-3 (Ebook) Coverillustration: Shutterstock/MastakA © Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin / 2016 www.vergangenheitsverlag.deAlle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.
„Die Phantasie setzt die künftige Welt entweder in die Höhe, oder in die Tiefe. Wir träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unseres Geistes kennen wir nicht. — Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft.“
Novalis: Blüthenstaub §16
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„Durch alle Wesen reicht der eine Raum:
Weltinnenraum. Die Vögel fliegen still
durch uns hindurch. O, der ich wachsen will,
ich seh hinaus, und in mir wächst der Baum.“
Rainer Maria Rilke: Es winkt zu Fühlung fast aus allen Dingen
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„Der Ausdruck ist gut gewählt, weil der Innenraum der Seele genauso unendlich und geheimnisvoll ist wie der äußere Weltraum und weil Kosmonauten des äußeren wie des inneren Weltraums nicht dort verbleiben können, sondern auf der Erde, ins Alltagsbewusstsein zurückkehren müssen.“
Albert H ofmann: LSD, mein Sorgenkind 1
Einleitung
1943Albert Hofmann: Wer hat’s erfunden?
1947Delysid
1951Ernst Jünger: Im Neuronengewitter
1959Cary Grant: Das unsichtbare Dritte
1960Ken Kesey: Trip or Treat
1962Timothy Leary: Tune in, turn on, drop out
1963The Doors: Slip Into Uncounsciousness
1965The Beatles: I’d Love To Turn You On
1965Robert Crumb: Keep On Truckin’!
1965Grateful Dead: Can’t Come Down
1965Pink Floyd: A Saucerful of Secrets
1965Peter Fonda: A Lovely Sort of Death
1969Bernward Vesper: Wohin die Reise geht
1970Peter Green’s Fleetwood Mac: Oh Well!
1970Acid + Sauerkraut = Krautrock
1971Steve Jobs: Der Apfel der Erkenntnis
1972Nina Hagen: Alles so schön bunt hier
1988Beastie Boys: Pass The Mic To Yauch
1993Die Fantastischen Vier: Tag am Meer
Beeinflusste Kunstwerke
Literaturverzeichnis
Anmerkungen
„LSD?“ werden einige verwundert die Augenbrauen heben. Ist das nicht die Droge, bei der die Menschen verrückt werden, aus dem Fenster springen und wenn sie Glück haben, hängen bleiben? „LSD!“ wird manch anderer denken und dabei verklärt an Hippies, Studentenrevolte und Woodstock denken. Dass man es mit einem Medikament zu tun hat, mit dem man einst Süchtige, psychisch Kranke und Depressionen behandelte, dürfte hingegen den wenigsten in den Sinn kommen.
Man taufte es Blue Cheer, Purple Haze, White Lightning oder einfach Acid. Die chymische Hochzeit von Lysergsäure und Diethylamin ergab Lysergsäurediäthylamid, kurz: Ell, Ess, Dee, drei Silben zwischen Himmel und Hölle, drei Buchstaben, die alles verändern. LSD wirkt direkt an der Schnittstelle zwischen Kultur und Natur, im Gehirn des Menschen. „Es gibt kaum einen anderen Wirkstoff von so weit reichendem kulturellen und gesellschaftlichen Einfluss wie Lysergsäurediäthylamid. Psychiater, Psychologen, Verhaltensforscher, Theologen, Philosophen, Maler, Schriftsteller und Musiker bedienten sich der bewusstseinsverändernden Droge, die ihre Bedeutung bis heute nicht verloren hat“, so Prof. Dr. Peter Nuhn von der Universität Halle. 2
Ein Zeugnis psychedelischer Kunst dürfte hierzulande jeder kennen: das Intro des öffentlich-rechtlichen Sonntagskrimis Tatort. Untermalt von hektischen Jazzrhythmen flüchtet der große Unbekannte, Sinnbild des Verbrechers, seit 1970 in eine enger werdende Spirale der Ausweglosigkeit. Der ARD-Brennpunkt bedient sich mit seiner Auftaktmelodie ebenfalls aus dem psychedelischen Klangarchiv; seit 1971 lenkt man mit Pink Floyds „Astronomy Domine“ die Aufmerksamkeit der Deutschen vom Abendbrottisch auf die Mattscheibe. Ein drittes Beispiel: das entspannt daherkommende Lied „Tag am Meer“ von den Fantastischen Vier schildert – heute wissen wir es – einen LSD-Rausch.
Unter den prominenten LSD-Astronauten versammeln sich illustre Namen wie Ernst Jünger, Cary Grant, Allen Ginsberg, Bob Dylan, Leonard Cohen, Jimi Hendrix, Carlos Santana, Jack Nicholson, Keith Haring, Lemmy Kilmister, Steve Jobs. Auch der Neuropsychologe Oliver Sacks, die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff und sogar Erich Honeckers Enkel, Roberto Yáñez Betancourt y Honecker, machten ihren LSD-Gebrauch publik. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Bekanntlich macht die Dosis, dass etwas nicht Gift ist. Beim Alkohol liegt die Grenze irgendwo zwischen Bier und Schnaps. LSD hingegen ist schnell überdosiert und schmal der Grad, der Brian Jones von Keith Richards und Syd Barrett von Roger Waters trennt. Dennoch ist die Substanz erstaunlich verträglich, denn bisher ist niemand an einer Überdosis LSD gestorben. Eine Wirkung gibt es schon ab 20 Mikrogramm (zur Vorstellung: 1 Gramm sind 1.000 Milligramm sind 1.000.000 Mikrogramm – genug, um 10.000 Artgenossen zu entrücken).
Ursprünglich ein legales Mittel zur Behandlung von Alkoholismus (beispielsweise in der Tschechoslowakei, die bis 1974 eigenes LSD produzierte) verließ die Substanz, die mystische Erlebnisse, ein geschärftes Bewusstsein und tiefer gehende Selbsterkenntnis versprach, die Kliniken und Krankenhäuser und wurde zum Treibstoff der Hippiebewegung. Bald gehörte es zum guten Ton, experienced , also LSD-erfahren, zu sein. Der Musiker Kim Fowley machte sich bereits 1966 seinen Reim darauf: „Let’s take a trip, it’s really hip.“ In den USA, wo LSD buchstäblich in aller Munde war, wurden ab 1966 erste Verbote verhängt. Auf Betreiben der Vereinigten Staaten verfügten die Vereinten Nationen ab 1971 eine weltweite Ächtung der Wunderdroge. Aus Medikamentenmissbrauch wurde plötzlich Drogenmissbrauch. Das Verbot war umfassend, der zuvor tausendfach bestätigte Nutzen bei therapeutischer Verwendung wurde aus politischen Gründen ignoriert. Die globale Prohibition hält bis heute an. Dies schreckte aber bekanntlich viele Menschen nicht ab. Durch das Verbot wurde LSD zeitweise nur noch hipper, verboten hip.
Befeuert wurde der Hype durch Pophits, die auf LSD anspielten. In „My Friend Jack“ schwärmten The Smoke ganz offensichtlich von ihrem Dealer, der präparierte Zuckerwürfel unters Volk bringt: „On the West Coast he’s real famous, kids all call him Sugarman.“ Damit schaffte es die britische Band 1967 bis auf Platz 2 der westdeutschen Hitparade. Mit Nancy Sinatra wurde LSD sogar Teil des Easy Listening und erreichte als leicht verdauliche Fahrstuhlmusik und Supermarktbeschallung ein größeres Publikum als alle psychedelischen Rockbands zusammen. Die Tochter von Frank Sinatra schwärmte von Sugar Town (Platz 5 in USA), wo Probleme verschwinden und immer die Sonne scheint. In der Popnummer „In Our Time“ wird sie hingegen ironisch: „Holding hands in the Louvre / some take trips and never move…“
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