Ich weiß nicht genau, wie wichtig es ist, dass viele Leute unterschiedliche Versionen von meiner ersten Begegnung mit Astral Weeks erzählen. Ich glaube nicht, dass das Album Menschen, die dunkle Zeiten durchleben, anzieht. Es kam zu einer Zeit heraus, in der eine Menge Dinge, an der eine Menge Leute leidenschaftlich hingen, auseinander zu brechen begannen, als die selbstzerstörerische unterirdische Strömung, die immer ein Begleiter der großen Sechziger Party war, eine Menge Fußknöchel fest im Griff hatte und nach unten zog. Obwohl es letztlich zeitlos ist, war Astral Weeks vielleicht doch das Produkt einer Ära. Es ist besser, das zu glauben, als sich zu fragen, von welchen mit Staubweben behafteten, irischen Gespenstern Van Morrison abstammen könnte.
Drei Fernsehsendungen: 1970 eine Übertragung von NET, unglaubliche Starbesetzung im Fillmore East. The Byrds, Sha Na Na und Elvin Bishop haben ihr Ding gemacht. Jetzt sehen wir drei von vier Songs aus Van Morrisons Set. Wie damals für ihn üblich bildet »Cypress Avenue« von Astral Weeks den Höhepunkt. Nachdem er alle Strophen durch hat, treibt er den Song, die Band und sich selbst zu einem Fanal, das seitdem zu einem seiner Markenzeichen und einem zeitlosen klassischen Rock’n’ Roll Setende geworden ist. Mit einer unbeschreiblichen Dynamik, die ihm erlaubt, von vollendet hingeworfener exzentrischer Phrasierung im nächsten Atemzug zu purer Leidenschaft zu springen, lässt er die Musik von Crescendo zu Crescendo anschwellen, beendet den Song und beginnt ihn neu, beendet und beginnt, wieder und wieder, erzwingt lange manische Pausen wie riesige Fragezeichen zwischen Ende und Neubeginn und beherrscht den Raum durch reine Spannung, die sich zu einem Schrei aufbaut – »Es ist zu spät, um jetzt aufzuhören« –, und genau wenn man glaubt, jetzt gerät alles aus den Fugen, macht er eiskalt einen Schnitt, hinterlässt die Leere einer krepierten Explosion, schmeißt das Mikrofon hin und verlässt die Bühne. Das gehört wirklich zu den perversesten Dingen, die ich einen Künstler in meinem ganzen Leben habe tun sehen. Und natürlich ist es sensationell, unsere Eingeweide haben sich verknotet, wir sind halb verrückt und flehen nach mehr, aber wir wissen verdammt nochmal gut, wir haben bereits etwas gesehen und gehört.
1974, die nächtliche Übertragung eines Rockkonzerts im Fernsehen: Van und seine Band kommen auf die Bühne, schlagen ein paar strahlende Akkorde an, und ungefähr zehn Minuten lang hängt er an den Worten »Way over yonder in the clear blue sky / Where flamingos fly.« Kein anderer Text. Ich glaube, auch keine Instrumentalsolos. Nur diese Worte, langsam, wieder und wieder, aufgeblasen, permutierend, zerpflückt, im Raum schwebend und dann in alle Winde zerstreut, wie ein Mantra gemurmelt, bis sie zu Silben ohne Sinn werden, dann wieder zurück zu demselben aufsteigenden Bild, während die Zeit völlig still zu stehen scheint. Er steht da, mit geschlossenen Augen, singt entrückt, während die Band zitternd über offen gestimmten, riesigen, tiefen, blauen Strömen eigener Art schwebt.
1977, Frühsommer, gleiche Art von Show: er singt »Cold Wind in August«, ein Song aus seinem kurz zuvor veröffentlichten Album A Period of Transition, das auch eine maßgeblich veränderte Version des Flamingosongs enthält. »Cold Wind in August« ist eine Ballade, die Van fein und standardmäßig interpretiert. Das einzige Problem ist, dass er die ganze Zeit, während er singt, in gerader Linie auf der Bühne hin- und herläuft, seine Augen fest geschlossen, sein kleiner hydrantenförmiger Körper drängt stromaufwärts gegen etwas an, das eine höllische Nervosität sein muss, die sich vielleicht auch auf den Kameramann überträgt.
Worum es hier geht, ist ein kompletter Satz verbaler Ticks, obwohl einige auch physischer Art und Grund genug sind, sich die Mühe zu machen, seinen Stil zu definieren. Sie sind überall auf Astral Weeks zu finden: vier gehetzte Wiederholungen der Sätze »you breathe in, you breathe out« und »you turn around« in »Beside You«; in »Cyprus Avenue« zwölf mal »way on up«, »baby«, dreizehn mal hintereinander gesungen, was klingt wie jemand, der ekstatisch den Hügel zu seiner Geliebten hinunter rennt, und die herzzerreißende Art, wie er »one by one« in der dritten Strophe dehnt; und am meisten bei »Madame George«, wo er die Worte »dry« und dann »your eye« zwanzig mal in einem sich spiralförmig drehenden melodischen Bogen singt, der so wunderschön ist, dass er einem den Atem raubt, und dann folgt: »And the love that loves the love that loves the love that loves the love that loves the love that loves.«
Van Morrison ist besessen davon, wie viel musikalische oder verbale Information er auf kleinem Raum komprimieren kann, und dann wieder im Gegensatz dazu, wie weit er eine Note, ein Wort, einen Klang oder ein Bild dehnen kann. Einen Augenblick einzufangen, sei es Zärtlichkeit oder schmerzlicher Stich. Er wiederholt gewisse Phrasen bis ins Extrem, die bei jedem anderen lächerlich wirken würden, weil er darauf wartet, dass sich eine Vision entfaltet, er versucht so unaufdringlich wie möglich, sie anzuschieben. Manchmal vermittelt er sie durch Stille, in dem er den Song mittendrin abwürgt: »It’s too late to stop now!« Er ist auf der großen Suche, angetrieben von dem Glauben, dass durch diese musikalischen und mentalen Prozesse die Erleuchtung erlangt werden kann. Oder zumindest ein flüchtiger Blick darauf.
Wenn er dies versucht, läuft das eher über Gefühle als über das Gesprochene Wort – vielleicht entstammt das Gefühl hauptsächlich dem Streben danach –, aber es bleibt auch immer die Wahrnehmung: WAS, wenn er das WORT ERGRIFFE; es gibt Zeiten, da scheint das WORT ganz in der Nähe zu schweben. Und dann gibt es Zeiten, wo wir merken, dass das WORT direkt neben uns war, dass die profansten, über Gebühr beanspruchten Phrasen transformiert werden: Nehmen wir »love« aus »Madame George.« Aus der relativen Stille heraus das WORT: »Snow in San Anselmo«. »Darauf läuft es hinaus«, will Van sagen, und das meint er auch (sind seine Interviews nicht faszinierend?) Was er nicht sagt ist, dass er in dieser Schneeflocke ist, isoliert durch den Song »And it’s almost Independence Day«.
Ihr fragt euch jetzt wahrscheinlich, wann ich endlich auf den Punkt komme und über Astral Weeks spreche. Es gibt in der Tat jede Menge Astral Weeks, über die ich nichts erzählen möchte, und zwar weil es, unabhängig davon, ob ihr es gehört habt oder nicht, nicht fair wäre, euch meine, von lapidarer subjektiver Metaphorik geprägte Interpretation aufzudrängen, und weil ich in vielen Fällen auch gar nicht weiß, wovon er spricht. Er aber auch nicht: »Es überrascht mich nicht, dass die Leute meine Songs unterschiedlich interpretieren«, sagte er einem Interviewer des Rolling Stone. »Ich möchte nicht den Eindruck vermitteln, ich wüsste, was das alles bedeutet, dem ist nämlich nicht so ... Es gibt Zeiten, in denen ich selbst vor einem Rätsel stehe. Ich sehe mir an, was ich gemacht habe, und, ja, da ist es eben und es fühlt sich gut an, aber ich kann nicht mit Sicherheit sagen, was es bedeutet.«
There you go
Starin’ with a look of avarice
Talkin’ to Huddie Ledbetter
Showin’ pictures on the walls
And whisperin’ in the halls
And pointin’ a finger at me
Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was das »bedeutet«, obwohl ich mich auf eine Art annähern möchte, die so indirekt und ausweichend wie der Text selbst ist. Weil man sowieso Schwierigkeiten bekommt, wenn man sich vornimmt, genau zu erklären, was ein mystisches Dokument, denn nichts anderes ist Astral Weeks, bedeutet. Es bedeutet zum einen, dass Richard Davis Bass spielt, was die Songs und die Texte mit einer Lyrik bereichert, die mehr sind als nur großartiges musikalisches Können: sein Spiel ist mehr als inspiriert, es hat ihn etwas berührt, etwas aus dem Reich der Wunder. Das ganze Ensemble ist so, die Streichersektionen von Larry Fallon, die Gitarre von Jay Berliner (er spielte auch bei Mingus’ Black Saint and the Sinner Lady), Connie Kays Schlagzeug. Van und sie klingen so, als würden sie die Gedanken des anderen nicht nur lesen, sondern in ihnen schwelgen. Die Tatsachen mögen ganz anders aussehen. John Cale machte zur gleichen Zeit in einem angrenzenden Studio ein Soloalbum und er sagte, dass »Morrison mit niemandem arbeiten konnte. Also ließen sie ihn schließlich allein im Studio. Er spielte alle Stücke mit einer akustischen Gitarre ein und später spielten sie den Rest auf anderen Tonspuren dazu.«
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