Joe Schlosser
Kein Weg ist lang
Mechthild Kaysers dritter Fall
FUEGO
- Über dieses Buch -
In Bremens sonst so unantastbarer Oberschicht läuft einiges aus dem Ruder, als der Sohn des Investors Richard Schäfer, Stefan, entführt wird. Die Forderung: eine Million Euro, keine Polizei.
Mechthild Kayser und ihre Mordkommission haben ohnehin mit anderen Dingen zu tun. Im Knoops Park in Bremen Nord wird eine Leiche entdeckt. Die Identität ist schnell geklärt: Der Tote ist Torsten Lammert, der unlängst aus der Haft entlassen worden ist. Die Spur führt zu seinem gewalttätigen Ex-Mithäftling Brubeck. Doch der Fall scheint komplizierter als zunächst angenommen, denn Brubeck ist flüchtig. Mechthild Kayser sieht sich gezwungen, für weitere Recherchen mit der Bremer Unterwelt zu kooperieren.
Währenddessen wird ein Oberneuländer Unternehmer erschlagen, und undurchsichtige Geschäftspraktiken werden offenbart, in die noch ganz andere Größen sogar aus den eigenen Reihen verwickelt zu sein scheinen – was ein Vorankommen für die Mordkommission beinahe unmöglich macht. Der Fall erfordert volle Konzentration, denn die Vermutung liegt nahe, dass eine Verbindung zu der Entführung Stefan Schäfers besteht. Wird es Mechthild gelingen, das alles beherrschende Band zwischen Milieu und Elite zu zerschlagen und so einen entscheidenden Sieg gegen die Drahtzieher einzufahren?
Prolog
Es verdiente ohne Zweifel die Bezeichnung „Anwesen“, was er sich vor Jahren hier außerhalb von Lilienthal gebaut hatte. Oder besser: errichten ließ. Inmitten eines 30.000 Quadratmeter großen Parks stand seine Villa. Zweigeschossig mit ausgebautem Dach. Einst Landsitz eines zu Wohlstand gekommenen Bremer Getreidehändlers und jetzt ergänzt durch einen gewaltigen, modernen Anbau. Blaue Pfannen und geschwungene Gauben schwebten seiner Frau vor. Und sie setzte sich damit durch, die alte Kaufmannsvilla um einen ihrer Ansicht nach architektonisch perfekt angeordneten Anbau zu erweitern, der das alte Haus an drei Seiten umgab. Andere Stimmen sprachen von einer Verschandelung des schönen, ehemaligen Landsitzes. Neureich und unkultiviert, spotteten alteingesessene Anwohner und verwehrten ihm den wirklichen Zugang in ihre Kreise der ehemaligen Dorfgemeinschaft. Aber zwischen den Tönen war auch Neid zu hören, auf einen, der es geschafft hatte und nun Eigentümer dieses Prachtbaus war und damit selbstbewusst machte, was er wollte. Der Putz strahlte weiß zwischen all dem Grün hervor. Rhododendren, Bäume und Bäumchen. Ausgedehnte Grasflächen, auf denen so allerlei Gerät der Bauern aus dem vergangenen Jahrhundert ausgestellt war und die einem großen Swimmingpool Raum boten. Das Haus sah nach Platz aus. Viel Platz. Die Vierergarage war geschickt an das Haupthaus angeschlossen und wirkte wie ein riesiger Wintergartenanbau. Statt der Garagentore hatte er große, breite Glastüren einbauen lassen, die sich automatisch hoben, wenn sie mittels der Fernbedienung in Gang gesetzt wurden. Durch die Scheiben konnte jeder einen Blick auf die englische Luxuslimousine, seinen edlen Geländewagen und den weißen Maserati werfen. Das Porschecabriolet seiner Frau war noch das günstigste unter diesen Karossen. Das Grundstück wurde von einer halbhohen weißen Mauer umgeben und ließ den Blick auf all die Wohlhabenheit auf dem Gelände zu. Ein Fehler. Während er eingangs allen zeigen wollte, was er geschafft hatte, bereute er später, dass viele missgünstige Blicke ihn nun unbehelligt auf seinem Anwesen ausmachen konnten. Immer wieder dachte er daran, die Mauer erhöhen zu lassen. Aber er konnte sich letztendlich nie dazu entschließen. Er war hin und her gerissen zwischen dem vermeintlichen Genuss, neidische Blicke zu erhaschen, und einem unzweifelhaft bestehenden Sicherheitsinteresse. Für sich und seine Familie.
Vor Jahren war das Bürogebäude seines Firmenimperiums noch mit auf dem Gelände angesiedelt gewesen. Er wollte seine Mitarbeiter wenigstens optisch an seinem Reichtum teilhaben lassen. Aber die Diskrepanz zwischen seinem Einkommen und den knauserigen Gehältern, die er seinen Angestellten zahlte, wuchs so sehr, dass er sich entschloss, in Bremen eigens ein Bürohaus bauen zu lassen. Ein paar Kontakte, die Ankündigung, einige seiner Firmen steuerlich wirksam in Bremen anzusiedeln, und schon verkaufte ihm die Stadt ein zentral gelegenes Grundstück zu einem Spottpreis. So lief das eben. Das hiesige Bürogebäude ließ er entkernen und umbauen, um darin seinem Hobby nachgehen zu können. Der Sammlung historischer Automobile. Eine stattliche Anzahl Oldtimer hatte er schon beisammen. Echte Raritäten befanden sich darunter. Und wenn er Gäste aus der Geschäftswelt einlud, war ein Gang durch diese heiligen Hallen ein obligatorischer Zeitvertreib. Und auch so mancher hohe Beamte oder Politiker, dessen Loyalität er sich versichern wollte, konnte die erlesenen Restaurationen bewundern und hier einen Umschlag mit dem erforderlichen Geld zugesteckt bekommen. Und er wurde auch noch öffentlich gelobt für sein Engagement zum Erhalt automobiler Kultur. Aber in Wirklichkeit interessierte ihn nur der gegenwärtige Wiederverkaufspreis des jeweiligen Automobils. Denn der spekulative Zugewinn der Veräußerung eines seiner Schätze war steuerfrei.
Er war also einer, der es nicht nur zu einigem Reichtum gebracht hatte. Er wollte auch immer mehr. Geld und Einfluss, Macht. Die Jagd nach Gewinn war sein Lebenselixier. Und er wollte unbedingt auch steuerlich irrelevanten Gewinn. Das war das Schönste für ihn. Die Beschaffung von Schwarzgeld war das Salz in der Suppe seines Lebens. Was konnte man damit nicht alles machen. Leute bestechen, unter der Hand Immobilienpreise drücken und so Steuern sparen. In schwierigen Zeiten mal jemanden bezahlen, der wieder für Klarheit am Markt sorgte. Uneinsichtige bezähmen und überzeugen. Ja, natürlich hatte er es nicht immer leicht. Er musste seinen Kuchen schon verteidigen. Nicht nur das Finanzamt drohte von außen, auch im Inneren seines kleinen Imperiums führte seine Affinität zur Halbwelt und zu obskuren Persönlichkeiten einer ebenso obskuren Geschäftswelt immer wieder zu Schwierigkeiten, die er nicht mit Hilfe staatlicher Organe lösen konnte. Während er zu Beginn seiner Karriere auch schon mal selbst die Dinge in die Hand nehmen und riskant agieren musste, erlaubte ihm seine heutige finanzielle Situation, fremde Dienste in Anspruch zu nehmen. Das kostete zwar, aber er brauchte sich selbst die Hände nicht mehr schmutzig zu machen. Was nicht bedeutete, dass er, wenn es im Notfall erforderlich sein würde, seine Angelegenheiten nicht auch selbst regeln konnte. Aber er versuchte seine Weste frei von Flecken zu halten. Mittlerweile war er ein angesehener und umworbener Bürger geworden. Durch die Verlagerung seiner Firmen nach Bremen bescherte er der Stadt trotz seiner Gegenmaßnahmen einen nicht unerheblichen Steuersegen, galt als Investor und Wohltäter. Er war im Rathaus genauso gern gesehen wie auf den vielen gesellschaftlichen Anlässen, die die Stadt beging. Und auf seinen eigenen Partys tauchten schon lange keine Zuhälter und Barbesitzer mehr auf. Er achtete schon sehr genau darauf, wen er mit wem zusammenbrachte und wen er beeindrucken wollte. Er bevorzugte Konstellationen, die ihm später einmal hilfreich und somit einträglich sein konnten. Er war ein charismatischer Heuchler geworden. Viele ließ er in dem Glauben, mit ihnen befreundet zu sein. Aber wenn es hart auf hart ging, kannte er nur sich. Wenn es an der Zeit war, ließ er Menschen einfach fallen. Wenn es erforderlich war, zerstörte er sie. Es waren wirklich zwei Welten, in denen er sich bewegte, und es gelang ihm, diese peinlich genau zu trennen und voneinander fernzuhalten. Jedenfalls meistens.
Doch jetzt war geschäftlich wie privat einiges aus dem Ruder gelaufen. Zwischen diesen beiden Bereichen unterschied er innerlich eigentlich nicht. Egal, woher die Probleme kamen: Sie gingen ihn immer persönlich an. Und er löste sie immer auf die gleiche Art und Weise: konsequent und zielgerichtet. Er hatte sie auch diesmal wieder in den Griff bekommen. Aber es war nicht leicht gewesen. Und es war ihm klargeworden, dass die bloße Erhöhung der Mauer um sein Grundstück keinen Sinn machen würde.
Читать дальше