Als Napoleon bei seiner Flucht durch das äußere Rannstädter Thor die steinerne Brücke zwischen der kleinen Funkenburg und dem Zollhause hatte sprengen lassen, so geriethen die Colonnen von Artillerie, Bagage, so wie die zurückgebliebenen Truppen in die fürchterlichste Verwirrung. Gedrängt von den nacheilenden siegreichen Truppen, suchte sich Alles über die kleinen hölzernen Brücken, welche über die eigentliche Pleiße in die Gärten führen, zu retten. Die Brücken stürzten unter der Last der Darüberhineilenden zusammen, zahllose Menschen ertranken, die Uebrigen wurden gefangen, Kanonen und Fuhrwesen erbeutet. Als wie von einem Sturmwind auf die Erde hingeschleudert, lagen hier umgestürzt zahllose Wagen und Kanonen über einander, und füllten den ganzen Raum der Promenade bis zum Hallischen Thore an. Man soll hier allein über 100 Kanonen, und gegen 800 Wagen erbeutet haben. Sehr viele dieser Wagen gehörten der Garde, und hatten die Aufschrift: Fourgon de la Garde Imperiale. Vom Place de Repos an, besonders aber auch auf dem sogenannten Fleischerplatze, an dem Richterschen Garten, so wie am Hahnrey-Brückchen, lagen ganze Leichenhügel und hohe Haufen von Gewehren, welche man bereits aus dem Flusse herausgezogen hatte. Nahe der Brücke nach dem Richterschen, sonst Hermannschen Garten lag am Flußrande, neben andern entkleideten Leichnamen, ein Toder von edler Bildung. Die Nachbarn erzählten, wie sie ihn hier im Wasser hätten mit dem Tode kämpfen sehen; es sey ein stattlicher Mann in französischer Generals-Uniform gewesen. Man hielt ihn für Poniatowsky 1), von dem die allgemeine Sage gieng, daß er in dieser Gegend ertrunken sey. Mit Wehmuth betrachteten wir den ritterlichen Mann, dessen Verdienste Freund und Feind anerkennen, und der verdient hätte, für eine bessere Sache, als die der französischen Tyrannie, zu fallen.
Hier auf diesem Platze trug noch Alles das Gepräge der gestrigen Zerstörung; es dünkte uns ein ungeheurer Schiffbruch auf festem Lande. Kaum konnten wir durch die Trümmer des zahllosen Fuhrwerks uns hindurchwinden, zwischen denen Sterbende ächzten, und schwer Verwundete, aus Liebe zum Leben, mit den letzten Anstrengungen ihrer Kräfte am Boden fortkrochen. Schon wurde es dämmerig, einzelne Wachfeuer loderten zwischen diesen Leichenhügeln auf, an denen der, gegen menschliche Leiden abgehärtete Krieger ruhig sich sein Abendessen bereitete. Ich fand, daß diese gehäuften fürchterlichen Scenen menschlichen Elends das gewöhnliche Mitleid unterdrücken; sie erzeugen einen dumpfen Ernst, der bei dem ältern Krieger eine Gleichgültigkeit gegen Gefahr und Tod, aber freilich meistens auch gegen die Leiden Anderer, hervorbringt. Wohl dem, der dann noch ein menschlich-theilnehmendes Herz sich erhält !
Wir wollten versuchen, bis zum äußern Rannstädter Thore zu kommen, doch war dieses unmöglich. Es zogen so eben Russische Truppen (ich glaube von der Bennig’schen Armee) zur Verfolgung des Feindes mit klingendem Spiele in gedrängten Reihen den Rannstädter Steinweg hinaus. — Die gesprengte Brücke am Thore ist bereits wieder hergestellt, noch brannten aber rechts über dem Mühlgraben einige Gebäude, welche durch die Sprengung in Brand geriethen.
Diese Brücke wird in der Geschichte Napoleon’s, so wie der Schlacht von Leipzig, ewig denkwürdig bleiben. Billig sollte sie künftig den Namen ihres kaiserlichen Zerstörers 2) tragen.
Ueber den Weg, welchen der Kaiser, als er gestern Morgen Leipzig verließ, einschlug, herrschen verschiedene Meinungen, doch ist Folgendes die glaubwürdigste. Napoleon brachte die Nacht vom 18 tenauf den 19 tenOctober im Gasthofe, dem Hotel de Prusse, am Petersplatze zu; der König von Neapel und seine Begleitung in den nahgelegenen Häusern. Gestern Morgen, als der Kaiser zu Pferd steigen wollte, erhielt er durch einen Adjudanten des Königs von Sachsen einen Brief dieses Monarchen, er las ihn, und sagte dem Ueberbringer, daß er im Begriff sey, sich selbst zum König zu begeben, welches auch geschah. Er blieb eine halbe Stunde bei dem Könige, im lebhaftesten Gespräch begriffen. Als er ihn verließ, (der König wohnte, wie immer, im Apelschen Hause am Markte,) sagte er dem vor dem Logis aufmarschirten Sächs[ischen] Garde-Grenadier-Bataillon: Adieu, Saxons, gardez bien votre Roi! Der Kaiser setzte sich zu Pferde, neben ihm ritt der König von Neapel, hinter ihm Berthier, Caulaincourt, Marschälle, Generale und Escorte der Garde zu Pferd. Als der Kaiser an das innere Rannstädter Thor kam, war es mit fliehenden französischen Truppen so angefüllt, daß es unmöglich war, durchzudringen. Der Kaiser ritt durch die Fleischergasse und Burgstraße zurück, zum Petersthore hinaus. Hier trieb er seine, auf dem Roßplatze aufgestellten Truppen, welche gegen die eindringenden Russen zu weichen anfiengen, noch einmal vorwärts, und entfloh für seine Person mit der vorigen Begleitung rechts die Allee entlang, wo er auf Nebenwegen das äußere Rannstädter Thor erreichte, und durch Sprengung der Brücke den weiteren Rückzug für den ersten Andrang der siegreichen Alliirten sicherte. —
Ueber den Einzug der alliirten Monarchen hoffe ich noch einige genauere Nachrichten einzuziehen, welche mein nächster Brief enthalten soll.
1)Dieses war falsch. Der Fürst Joseph Poniatowsky, seit dem 16 tenOctober zum französischen Marschall ernannt, war zwar am 19 tenOctober Morgens auf der Flucht ertrunken, aber nicht in der Pleiße, sondern in der Elster.
Spätere Anmerk.
2)Mehrere spätere Nachrichten bestätigen es, daß diese Brücke auf unmittelbaren Befehl Napoleon’s in die Luft flog. Der sachkundige Bericht in den Deutschen Blättern, Nro. 58. sagt : „Der Kaiser Napoleon selbst wiederholte den Befehl zur Sprengung der Brücke , als er am Ende des Saales der großen Funkenburg hielt. Hinter dem Kuhthurme ließ er noch die über den Lindenauer Mühlwehrgraben und die vor dem Gasthofe zu Lindenau über die Luppe gehenden Brücken ebenfalls sprengen, und blieb darauf in Lindenau bis gegen 3 Uhr, ehe er von dannen ritt.“
Spätere Anmerk.
Leipzig, den 21 stenOctober 1813
Der heutige Tag war zu einer Wanderung auf das ewig denkwürdige Schlachtfeld bestimmt, die ich, da in der jetzigen Lage von Leipzig weder Reitpferde noch Miethwagen zu bekommen sind, mit einigen Freunden zu Fuße unternahm, indem wir von der Gegend des Petersthors an ausgiengen. Noch bis an das äußere Thor lagen einzelne entkleidete Tode. Die starken Pallisaden, wodurch die Franzosen das äußere Thor in Vertheidigungszustand gesetzt hatten, waren durch das österreichische Geschütz am 19 tenMorgens zum Theil niedergeschmettert worden. Gegen dieses Thor kämpften am vorgestrigen Morgen die österreichischen Truppen von dem Colloredoschen Corps, so wie von der Reserve unter dem Erbprinzen von Hessen-Homburg. Zunächst stand die Division Greth von Colloredo. Vor derselben war eine Batterie 6 Pfünder, hinter derselben eine Batterie 12 Pfünder aufgefahren, die Franzosen vertheidigten noch hartnäckig die dem Thore nahgelegenen Gärten, deren Mauern sie allenthalben mit Schießscharten versehen hatten. Die österreichischen Batterien waren zur Beschießung der Stadt, im Fall sich die Franzosen darin noch länger hätten halten wollen, bestimmt; sie erwarteten von den Straßenhäusern bei Stötteritz, wo sich der commandirende Feldmarschall Fürst Schwarzenberg befand, durch 6 Kanonenschüsse das Signal zum Angriff. In der Zwischenzeit kamen zum Petersthor heraus mehrere sächsische Parlamentärs aus der Stadt, welche sich den österreichischen Vorposten mit dem Gesuche näherten, sie zum Kaiser Alexander und dem Fürsten Schwarzenberg zu bringen, indem sie Unterhandlungen des Königs von Sachsen, so wie Bitten der Stadt Leipzig, welche in der jetzigen fürchterlichen Lage das Wohl derselben allein befördern könnten, zu überbringen hätten. Ein österreichischer Major begleitete sie daher zu den Straßenhäusern, wo der Kaiser Alexander, der König von Preußen, der Fürst Schwarzenberg und die ganze Generalität der großen alliirten Armee hielt. Der Kaiser Alexander nahm die Sendung an. Der Stadt wurde Schonung versprochen, alle übrige Unterhandlungen aber abgelehnt. Der Chef des Russischen Generalstabs, General Toll, begleitete die in die Stadt rückkehrenden Parlamentärs, um jedem Mißverständnisse über die Meinung des Kaisers vorzubeugen. Sie nahmen den Weg wieder durch das Petersthor, da am Grimmaischen Thore, welches den Straßenhäusern näher lag, die Armee des Kronprinzen bereits unter heftiger Kanonade vorrückte. Diese Operationen wurden auch während des Unterhandelns keineswegs gehemmt, da man vermuthete, daß der Kaiser Napoleon noch in der Stadt sey, und durch alle Mittel Zeit für den, seiner Armee so nachtheiligen Rückzug gewinnen wollte. Der von der Nord-Armee auf die Grimmaische Vorstadt muthvoll ausgeführte Sturm, und die Besetzung der Stadt, machte nun die Beschießung Leipzigs von der Seite des Petersthors, welche sich der menschenfreundliche Kaiser Alexander auch nur als äußerste Maßregel vorbehielt, unnöthig. —
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