Bild betreibt auch Ursachenforschung; unter der Überschrift »Ist Houellebecqs Bestseller eine Vorlage für den Terror?« schreibt das Blutblatt: »Eine Terrorwelle erfasst Paris: Gewalt, bürgerkriegsähnliche Zustände, auf der Straße liegen Tote. Die Täter: Islamisten – bereit, für ihre wahnsinnigen Ideen zu morden und zu sterben.
Solche Szenen sind es, die der französische Skandal-Autor Michel Houellebecq (59) in seinem Buch ›Soumission‹ (deutsch: Unterwerfung) beschreibt. Nun wurde aus der Fiktion blutige Realität! Ist Houellebecqs umstrittenes Werk also die Vorlage für die erschütternden Ereignisse am Freitagabend in Paris? (...)
›Unterwerfung‹ spielt im Jahr 2022: Die französische Gesellschaft ist in einem Kulturkampf versunken. Um den Sieg der rechtsextremen Front National zu verhindern, wird der vermeintlich gemäßigte Mohammed Ben Abbes zum ersten muslimischen Staatspräsidenten gewählt, unterstützt durch die Stimmen der Sozialisten und Konservativen. Doch kaum ist Abbes an der Macht, müssen Frauen Kopftücher tragen und dürfen nicht mehr arbeiten, die Christen sollen zum Islam konvertieren, die Polygamie wird eingeführt, nicht-islamische Professoren verlieren ihren Job. (...)
Houellebecq lebt davon, zu provozieren. (…) Wer sich intensiv mit dem Buch beschäftigt stellt fest: Mit dem Titel ›Unterwerfung‹ ist nicht der depressive Ich-Erzähler gemeint. Er wird am Ende zum Islam konvertieren, um weiterhin als Professor arbeiten zu können. Gemeint ist die ›Unterwerfung‹ einer gesamten Nation. Houellebecq rechnet mit einer Gesellschaft ab, die ihre eigenen Werte nicht mehr kennt und ihre Freiheit und Demokratie nicht verteidigt.
›Entscheidend für den Roman ist, dass die politischen Ereignisse, die er beschreibt, psychologisch ebenso überzeugend wie glaubhaft sind‹, schrieb der Gewinner des diesjährigen Welt-Literaturpreises Karl Ove Knausgård in seiner Rezension über das Buch in der New York Times . Das Thema sei nicht der Islam, sondern eine ›Kultur, in der die gemeinschaftlichen Bindungen sich auflösen, und die im Wunsch nach Stabilität, der vor allem anderen rangiert, ihre wichtigsten Werte aufgibt und sich einem religiösen Regime unterwirft‹.
Auch Knausgård bescheinigt Houellebecq, was der immer gesagt hat: ›Im Roman ist alles auf die Spitze gebracht.‹ Also tatsächlich Satire. Das Problem dabei ist nur, dass Satire nur von denen verstanden wird, die Zeit, Lust und den kulturellen Hintergrund haben, sich mit einem Thema zu beschäftigen. Alle anderen genügt die erste, die offensichtliche Ebene: Der Islam bedroht unsere Gesellschaft, und jeder, der sich dagegen stellt wird zum Schweigen gebracht. Und eine solche Haltung kann mörderische Reaktionen nach sich ziehen.«
Soweit Bild . Formulierungen wie »Skandal-Autor« oder »lebt davon, zu provozieren« sind schon verleumderisch genug; wenn man es für problematisch erklärt, dass zur vernünftigen Rezeption eines Textes ein Minimum an Beschäftigung mit ihm – »Zeit, Lust, kultureller Hintergrund« – notwendig ist, damit es keine »mörderischen Reaktionen« gibt, so gilt das nicht nur für die Leser von Bild , sondern vor allem für ihre Redakteure und Autoren.
Es ist grotesk: Ein viertelalphabetisches Hetzblatt befindet darüber, was ein Schriftsteller schreiben darf und was nicht. Michel Houellebecq hat mit knapper Not einen Bild -Persilschein ausgestellt bekommen; puuh, da hat der Autor aber Glück gehabt.
René Goscinny sei mit uns!
Eine Beschwörung des Geistes
Am 5. November 1977 starb in Paris einer der zurecht gerühmtesten Söhne seiner Stadt: René Goscinny, der Schöpfer und Texter von »Asterix«, des »Kleinen Nick«, von »Isnogud«, »Lucky Luke« und anderem Groß- und Hauptpersonal der gehobenen Unterhaltungsliteratur. Goscinny, den man nicht um des Reimes willen ein Genie nennen muss, wurde nur 51 Jahre alt. Sein Witz und seine Brillanz fehlen dauerhaft (wer »nachhaltig« sagt, kriegt leider Haue), und gerade nach dem Erscheinen des »Asterix«-Bandes N° 36, »Der Papyrus des Cäsar« (Text: Jean-Yves Ferri, Zeichnungen: Didier Conrad), vermisse ich den Esprit Goscinnys, dieses waschechten Parisers, der als Sohn jüdischer Einwanderer und feinstofflicher Meister der Dialoge und Sottisen wie kein Zweiter geeignet wäre, seine Helden Asterix, Obelix, Miraculix und Lucky Luke, also eine perfekt abgestimmte Mischung aus List, Stärke, Zauberkunst und Entschlossenheit, gegen die stinkende Beulenpest des IS ins Rennen zu schicken.
Was sind das – neben viel Ekelhafterem – für erbärmlich verlogene Lutscher: Paris eine Ausgeburt der Sünde nennen und selbst davon träumen, mit 72 Huris pro Nase des Johannes im Bordell »Chez Allah« abzuhängen, was man sich mit dem wahllosen Abschlachten unbewaffneter, wehrloser und an Glaubenskriegen jedweder Nullbirnencouleur unbeteiligter Menschen dann ja auch redlich verdient hat! Der Prophet Mohammed, dem man nachsagt, Tiere so geliebt zu haben, dass er sich einen Ärmel vom Gewand abtrennte, auf dem eine Katze schlief, die er nicht stören wollte, käme dafür als Fünfter in den Bund der Gerechten, und für das kulinarische Unwohl der Mörder, die es bei sich selbst nicht belassen können, wäre auch gesorgt: »Reseda, bring Wein und Mohammettwurst, aber nicht von dem Zeug für Tour- und Terroristen!«, würde ein freundlicher Wirt sagen, während ein chronisch unrasierter Ayatollah sich eingestehen müsste: »Sie sind alle so widerwärtig dumm, und ich bin ihr Chef. (Schluchz)!«
Lucky Luke würde nicht nur weiterhin den Daily Star mit dem rauchenden Colt in der Hand beschützen – »Die Pressefreiheit ist unantastbar!« –, sondern auch für die körperliche und seelische Unversehrtheit jedes mutigen Journalisten und Reporters in der Tradition von Hergés »Tim« einstehen, und ein gut beschwipst »Latürnich!« und »Die spinnen, die Islamisten!« ausrufender Obelix könnte eine Lappen-um-den-Kopf-Wickel-Kopfbedeckungssammlung en gros und de luxe anlegen. Dass die Mörder und ihre Auftraggeber vom IS bis herunter zum strenggläubischen Betbruder keinen Spaß verstehen, heißt ja nicht, dass man sich nicht treffsicher über sie lustig machen soll; das Gegenteil ist der Fall. Wer mit dieser tief humanen Behandlungsweise nicht einverstanden ist, will es nicht anders und muss sich eben polizeilich oder militärisch erschießen lassen; so what? Ein herzliches »Tschüssikowski, Bart- und Arschgesichter!« möge – ja, fromm können wir auch – ihren Weg in den Eigenabgrund begleiten.
Leviathan und Leviten
Satire ist eine Waffe, auch gegen den Antisemitismus
Diejenigen Deutschen, deren »Ehre« sich als »Treue« buchstabiert, sind in einem tatsächlich zuverlässig treu: in ihrem Ressentiment und ihrem Hass auf alles Andere, Abweichende und ihnen Fremde oder fremd Erscheinende. Im Jahr 2015 waren es zunächst die Bewohner Griechenlands, die »uns das Blut absaugen«, dann die Flüchtlinge aus Afrika oder dem Nahen Osten, die »uns« stören, »unsere Kapazitäten sprengen«, und, Platz einnehmend, zum »Volk ohne Leerstandsraum« machen.
Eine Gruppe kann sich des Hasses seitens dieser Deutschen in Permanenz gewiss sein: Juden. »Der ewige Jude« war im Nationalsozialismus ein zu Massenmord und Vernichtung anstiftender und aufstachelnder Kampfbegriff, den der Publizist Henryk M. Broder im Jahr 1986 mit einem Buch konterte, das bis heute zur Pflichtlektüre gehört: »Der ewige Antisemit«.
Geändert hat die kluge, scharfe Streitschrift nichts, der Antisemitismus ist virulent wie immer schon, auch wenn er mittlerweile häufiger geschminkt als ungeschminkt daherkommt. Für ihren Antisemitismus bedürfen deutsche Antisemiten keiner muslimischer Einwanderer; den lassen sie sich nicht nehmen, denn ihre »Ehre« heißt, siehe oben, eben »Treue«, und in diesen Phantomdisziplinen beanspruchen sie die Meisterposition.
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