1 ...6 7 8 10 11 12 ...27 Die Frage ist also nicht, ob Pornographie ja oder nein , sondern welche Pornographie. Für Burroughs war die Pornosexualität nie etwas anderes als eine kümmerliche Wiederholung, ein negativer Karneval im Sinne Boschs, in dem sich das rostige Riesenrad des Begehrens für immer traurig weiterdreht. Bei Ballards Crash und David Cronenbergs Verfilmung des Romans allerdings gibt es eine positive, geradezu utopische Version der Pornographie.
Cronenbergs Arbeit lässt sich als Antwort auf die Herausforderung verstehen, die Baudrillard in Von der Verführung 31formuliert. Hardcore-Pornographie verfolgt uns im Spätkapitalismus ständig, sie ist die Chiffre einer vermeintlich entmystifizierten, desillusionierten »Wirklichkeit«. »Eine Kultur, die stets das Lösungsverfahren des Realen anstrebt , ist eine Pornokultur schlechthin.« Hier ist Hardcore die Wirklichkeit des Sexes und Sex ist die Wirklichkeit von allem anderen. Hardcore-Pornographie beruht auf einer Art ernsten Buchstäblichkeit, dem Glauben daran, dass es ein empirisch verifizierbares »es« gibt, dass der Sex im Realen / als das Reale darstellt. Wie Baudrillard ironisch bemerkt, ist diese empiristische Bio-Logik auf eine gewisse technische Glaubwürdigkeit fixiert – der Pornofilm muss der (vermeintlich) ungeschmückten, brachialen Mechanik des Sex treu bleiben. Zeichen und Ritual sind jedoch unvermeidlich: Im Hardcore-Porno, vor allem in der Praxis des Bukkakes, ist die Funktion des Spermas vor allem semiotisch. Kein Sex ohne Zeichen. Je höher die Auflösung des Videos, umso näher kommt man den Organen und umso mehr verschwindet das »es« aus dem Blick. Es gibt kein besseres Bild dieser »Orgie des Realismus« als das »japanische Vaginalzyklorama«, das Baudrillard in dem Abschnitt »Stereo-Porno« in Von der Verführung beschreibt. »Mit gespreizten Beinen sitzen Prostituierte am Rande einer Plattform, japanische Arbeiter mit hochgekrempelten Ärmeln … sie dürfen ihre Nasen bis zum Anschlag in die Vagina der Frau stecken, damit sie sehen, damit sie besser sehen – ja, was eigentlich?« »Warum beim Nackten, beim Genitalen stehen bleiben?«, fragt Baudrillard. »[W]er weiß, welche tiefe Lust sich in dieser Entjungferung, im Blick auf Schleimhäute und glatte Muskeln entfalten kann?« 32
Cronenbergs frühe Filme – von Parasiten-Mörder und Rabid – Der brüllende Tod bis zu Videodrome – sind Antworten auf genau diese Fragen. Cronenberg hat sie in seiner eigenen Version selbst gestellt: »Warum gibt es keine Schönheitswettbewerbe für das Innere des Körpers?« Parasiten-Mörder und Rabid wiederum konstatieren eine Äquivalenz zwischen dem Horror des Körpers und der Erotik. Die scheinbare Katastrophe, mit der beide Filme enden – die absolute Degeneration der gesellschaftlichen Struktur in eine brodelnde, anorganische Orgie – ist ambivalent. Der Zerfall der organischen Integrität, der Rückfall in einen Zustand vor der Mehrzelligkeit ist eine Art parodierend-utopische Entgegnung auf Freuds Das Unbehagen in der Kultur . Wenn die Kultur und die entfesselte Libido inkommensurabel sind, dann, so wird impliziert, umso schlimmer für die Kultur. Der von stumpfsinnigen Zombies besetzte Apartment-Komplex am Ende von Parasiten-Mörder ist der wahrgewordene Traum der befreiten Sexualität der sechziger Jahre …
Crash stellt nicht nur einen Rückzug aus dieser Bilderwelt dar, sondern es handelt sich vielmehr um ein neues Modell mechanisch-masochistischer Pornographie, in der nicht mehr das sogenannte Innere des Körpers wichtig ist, sondern der Körper als Oberfläche – eine Oberfläche, die mit Kleidern, Narben und durch Einstiche technischer Maschinerie geschmückt werden muss. Von der wahnhaften Leidenschaft besessen, ihren biotischen Code auszutauschen, fallen die Opfer der Sexplage in Parasiten-Mörder gleichsam hinter das Animalische zurück und in einen bakteriell-replikatorischen Rausch. In strengem Kontrast dazu ist Crash so leidenschaftslos wie ein Traum von Delvaux. Hier ist Sex vollständig durch Kultur und Sprache kolonisiert. Alle Sexszenen gleichen einem detailgetreu arrangierten Gemälde, irreduzibel phantasmatisch, und zwar nicht, weil sie »unecht« sind, sondern weil ihr Arrangement und ihre Konsistenz von der Phantasie abhängen.
Die Eröffnungsszene des Films, in der Catherine Ballard in einem Flugzeughangar steht, ist eindeutig die Verwirklichung eines phantasmatischen Szenarios; durch ihre Erzählung an einer späteren Stelle funktioniert sie zudem als das phantasmatische Supplement des ersten sexuellen Zusammentreffens zwischen Catherine und James, das wir sehen. Es gibt kein »es« des Sexes, keinen rohen, nackten Moment, in dem »es« passiert, nur ein (paradoxerweise) erweitertes und verschobenes Plateau, auf dem Worte und Erinnerung stärker nachhallen als jede Penetration.
Crash beruht so sehr auf der Ästhetik Helmut Newtons, dass es zuweilen aussieht, wie eine Aneinanderreihung von Helmut-Newton-Bildern. Oder besser gesagt, in Crash ist den Körpern dieselbe fast leblose Bewegungslosigkeit eigen wie Newtons Mannequins. Die Parallelen zu Newton sind sehr passend, da Ballard Newton für den »größten visuellen Künstler« 33unserer Zeit hielt, ein surrealistischer Bildproduzent, dessen Vision das Mittelmaß derer, die offiziell in den schönen Künsten arbeiteten, bloßstellte. »In Newtons Bildern«, so Ballard, »sehen wir eine neue Rasse des urbanen Menschen, die an einer neuen menschlichen Grenze leben, wo alle Leidenschaft verbraucht sind und alle Ambitionen befriedigt, wo die tiefsten Gefühle sich verschieben und in ein Terrain zurückziehen, das mysteriöser ist als Marienbad.« 34
Wenn Cronenberg über die Zukunft der Sexualität der »neuen Rasse urbaner Menschen« in Crash spricht, geht er meistens negativ vor:
»Der Hochmut in einigen der schwierigen oder verwirrenden Aspekte von Crash , das Science-Fiction-hafte des Buches, hängt mit der pathologischen Psychologie der Zukunft zusammen, die Ballard entwirft. Sie entsteht gerade jetzt, aber er antizipiert sie und verlegt sie in die Vergangenheit – das Jetzt – und arbeitet mit ihr, als sei sie schon vollständig entwickelt.«
Die Ehe der Ballards ist in sich vollkommen dysfunktional:
»Einige Vertriebsfirmen sagten: ›Vielleicht sollten sie die Beziehungen am Anfang normaler gestalten, so dass wir sehen, an welchen Stellen es falsch läuft.‹ Mit anderen Worten, sie stellten sich das Ganze eher im Stil von Eine verhängnisvolle Affäre vor. Ein glückliches Paar, ein Hund, vielleicht ein Hase oder ein Kind. Und dann kommen sie durch einen Autounfall mit diesen schrecklichen Leuten in Berührung und alles geht schief. Ich sagte: ›Das geht nicht, denn bei ihnen läuft bereits jetzt etwas schrecklich falsch. Deswegen sind sie zu verletzlich, um überhaupt weiterzumachen.‹« 35
Und dennoch wirkt die »Pathologie« der Ballards in Crash merkwürdig gesund; die Ehe ist das Vorbild einer vorzüglich angepassten Perversion. Ihre Sexualität ist utopisch, insofern als jeder sexuelle Kontakt frei von jeglicher Sentimentalität oder Schuld ist und nichts mit Reproduktion zu tun hat. Der Mangel an direkten sexuellen Begegnungen der Ballards – über die Cronenberg, wie bereits betont, eher negativ spricht, so als handele es sich um eine Abweichung von einem gesunden, unmittelbaren Sex, in dem die Partner eine harmonische Einheit bilden – weist darauf hin, dass es eine richtige sexuelle Beziehung überhaupt nicht gibt. In der Ehe der Ballards ist das aber kein Problem. Der Mangel an Unmittelbarkeit, die Anerkennung, dass jeder sexuelle Kontakt über die Phantasie laufen muss, ist die Basis all ihrer erotischen Abenteuer.
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