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4. Die Basler Missionsgesellschaft
4.1. Entstehung und Vernetzung
Die Basler Missionsgesellschaft wurde 1815 als eines der zahlreichen ‹Reich-Gottes-Werke› der in Basel gegründeten Deutschen Christentumsgesellschaft gegründet.167 Sie sah sich ihrem Selbstverständnis nach in der Tradition des «guten, alten, gesunden Pietismus» stehen, dessen Erhalt eine Voraussetzung für den Fortbestand der Missionsgesellschaft war.168
Schon in der Person ihres Gründers, Johann August Urlsperger, der enge Kontakte nach England, aber auch nach Halle pflegte, wird die enge personelle und kommunikative Verknüpfung deutlich, an der die Christentumsgesellschaft und damit auch ihr ‹Ableger›, die Basler Missionsgesellschaft, partizipierte.169
Karl Friedrich Adolf Steinkopf, von 1795 bis 1801 Sekretär der Christentumsgesellschaft, aus Württemberg und eng mit den englischen Missionen verbunden, knüpfte erste Kontakte zu Mitarbeitern und Unterstützern sowie zu bereits bestehenden Missionsgesellschaften, von deren Unterstützung die zukünftige Missionsgesellschaft profitieren konnte. Durch ihn kam die Basler |68| Missionsgesellschaft in Verbindung mit der London Missionary Society und der Church Missionary Society. Zunächst wollte man in Basel nach dem Vorbild des Berliner Missionsseminars in einer eigenen Missionsschule die Missionare nur ausbilden, um sie dann im Dienst anderer Missionsgesellschaften in deren Missionsgebiete zu entsenden.170 Dies hatte pragmatische Gründe – die Basler Missionsgesellschaft verfügte anfänglich nicht über die Infrastruktur und die Mittel, ein eigenes Netz von Missionsstationen aufzubauen und zu erhalten. Steinkopf empfahl eine Zusammenarbeit mit der theologisch ähnlich ausgerichteten London Missionary Society.171 Weil die London Missionary Society jedoch genügend eigene Bewerber hatte, scheiterte dieses Vorhaben. Stattdessen ging die Basler Missionsgesellschaft eine enge Verbindung mit der Church Missionary Society ein.172 Jedoch unterstützte die London Missionary Society die Basler Missionsbestrebungen in der Anfangszeit und beschloss auf Anregung Steinkopfs eine Spende in Höhe von 200 Pfund «as a contribution to the first establishment of their Seminary».173 Von 1819 bis 1858 sandte die Church Missionary Society 102 Missionare aus, die im Basler Missionshaus ausgebildet worden waren.174 Ab Mitte des 19. Jahrhunderts arbeitete Basel eng mit der Norddeutschen Missionsgesellschaft zusammen. 1850 war diese finanziell nicht mehr in der Lage, eine eigene Missionsschule zu unterhalten. Die Basler Missionsgesellschaft sprang helfend ein. Sie bildete in den folgenden |69| Jahrzehnten nicht nur eigene Missionare, sondern auch Missionare für die Norddeutsche Missionsgesellschaft aus.175
Erst ab den 1820er Jahren begann die Basler Missionsgesellschaft mit einer selbständigen Missionsarbeit. Die ersten Missionsversuche waren nicht von Dauer. Das erste Missionsgebiet ab 1821 in den deutschen und schweizerischen Kolonien an der Wolga musste 1835 auf Geheiß des Zaren Nikolaus I. aufgegeben werden. Die Missionsarbeit in der Kolonie Liberia in Westafrika dauerte nur von 1827 bis 1831. 1828 sandte sie dann jedoch erfolgreich die ersten Missionare an die Goldküste in Ghana, weitere Missionsgebiete waren Südindien ab 1834, China ab 1846 und ab 1886 Kamerun.176 Damit wurde sie zu einer der wichtigsten Vertreterinnen der kontinentalen Missionen.177
Abb. 1: Missionshaus in Basel. Es handelt sich hier um das Haus an der Leonhardstraße, das ab 1819 das Missionsseminar, Lehrerwohnungen und Verwaltungsräume beherbergte. 1860 zog die Missionsgesellschaft in die Missionsstraße in der Nähe des Spaltentores um. Auf dem dortigen Grundstück errichtete sie das Missionsseminar, die Voranstalt, das Kinderhaus, Verwaltungs- und Ökonomiegebäude neu. |70|
4.2. Konfessionelles und theologisches Profil
Wie oben schon gezeigt, gehört die Basler Mission als erste Missionsgesellschaft im deutschsprachigen Raum zum Typus der überkonfessionellen Mission. Die Arbeit in den Missionsgebieten sollte frei sein von konfessionellen Einflüssen und sich allein auf die Botschaft des Evangeliums konzentrieren. Dadurch wurde eine Entscheidung für eine bestimmte Kirchenzugehörigkeit, deren Positionen die Missionare dann in ihrer Arbeit zu vertreten hätten, von vornherein ausgeschlossen. Und umgekehrt gab es keine kirchliche Gemeinschaft, ob frei- oder staatskirchlich, in welcher die Basler Mission ihre Positionen uneingeschränkt vertreten sah.178
In der Missionsgesellschaft arbeiteten von Anfang an Menschen aus der reformierten Schweiz und aus dem lutherischen Württemberg zusammen, wobei die Unterschiede in der religiösen, regionalen und sozialen Herkunft durch eine gemeinsame pietistische Überzeugung zumindest bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen wurden. Dabei zeichnete sich die Missionsgesellschaft durch eine Unsensibilität, vielleicht auch Ignoranz gegenüber der besonderen Problematik von Konfession und Kirche und den daraus resultierenden möglichen Gewissenskonflikten ihrer Mitarbeiter aus. Dies fiel vor allem bei der Zusammenarbeit mit der Church Missionary Society ins Gewicht, welche die pietistisch bzw. erwecklich geprägten Missionszöglinge aus dem lutherischen Württemberg und der reformierten Schweiz auf das anglikanische Bekenntnis ordinierte.179 Laut dem ersten Inspektor, d.h. Leiter der Missionsgesellschaft, Christian Gottlieb Blumhardt sollten Missionsgesellschaften keine eigene Theologie entwickeln, sondern lediglich die «Bibellehre» vertreten.180 Für ihn hatten weiterführende Gedanken über Ekklesiologie, Bekenntnis, Amt und Ordination keinen Platz in der Mission. Der Gewissenskonflikt, in den manche Basler Missionare durch die anglikanische Ordination gerieten, wurde zunächst von der Missionsleitung weder wahr- noch ernst genommen.
Die theologische Linie der Basler Missionsgesellschaft konnte leicht als «pragmatisch, ja opportunistisch begründete Anpassung an die bestehenden |71| Verhältnisse» gedeutet werden.181 Doch lässt dieser Vorwurf außer Acht, dass hier starke biblizistische, universalistische und eschatologische Motive aus der pietistischen Tradition und dem erwecklichen Umfeld eine Rolle spielten: Bekenntnisse waren von Menschen gemacht, was zählte, war die Konzentration auf das Wort Gottes und die aktive imitatio Christi und imitatio apostolorum, da nur diese für das Kommen des Reiches Gottes eine Rolle spielten. Zudem wurde das Kommen des Reiches Gottes nach den Berechnungen Johann Albrecht Bengels im Jahr 1836 erwartet. Die Naherwartung der Parusie machte viele weltliche Dinge sekundär. Es ist daher vermutlich kein Zufall, dass die Bereitschaft zu ‹konfessionellen Kompromissen› nach dem Ausbleiben von Christi Wiederkunft 1836 nachließ, was sich in der Entstehung der konfessionellen Missionsgesellschaften, aber auch in der zunehmend eigenständigen Missionsarbeit der Basler Mission auf eigenen Missionsgebieten äußerte.
4.3. Organisationsstruktur
Die Basler Mission war hierarchisch organisiert. Ihr Leiter, genannt Inspektor, war Vorsitzender des obersten Leitungskreises, des sogenannten Komitees. Die fünf Inspektoren, die der Missionsgesellschaft im 19. Jahrhundert vorstanden, stammten alle aus Württemberg, während das Komitee seine Mitglieder überwiegend aus dem Basler Großbürgertum rekrutierte.182 Die Dominanz württembergischer Missionsschüler und Missionare in den Anfangsjahren drückte sich auch im Basler Spitznamen für das Missionshaus aus: die «Schwabenkaserne».183 Die überkonfessionelle und transnationale Struktur der Missionsgesellschaft zeigte sich in ihrer Organisation und wurde zugleich von ihr garantiert. Das Komitee hielt, bildlich gesprochen, alle Fäden in der Hand, hier wurden alle Entscheidungen getroffen, hier wurden alle Informationen von den Missionaren, von Mitarbeitern, aus den Missionsgebieten und aus dem Missionshaus besprochen. Um diese Kontrolle aufrechterhalten |72| zu können, waren alle Missionare dazu verpflichtet, umfassend Rechenschaft über ihre Arbeit abzulegen und diese Berichte regelmäßig, ab 1850 vierteljährlich, an das Komitee zu schicken.184 Schon während der Ausbildung im Missionshaus wurden die zukünftigen Missionare dazu angehalten, ein Tagebuch zu schreiben, das jeden Sonntag dem Missionslehrer vorgelegt werden musste.185
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