„Walter sieht sich als Intellektuellen“, meinte Ben vertraulich zu mir. „Er ist zu einem Jünger des rationalen Denkens geworden. Ich stelle für ihn so etwas dar wie seine Stammesvergangenheit, die ihn einholt.“
Auf der Fahrt nach Hause sagte Walter kein einziges Wort. Jedes Mal, wenn ich versuchte, ein Gespräch anzufangen, nickte er nur. Als ich ihn zu Hause absetzte, gab er mir höflich die Hand. „Vielen Dank. Ich weiß deine Hilfe zu schätzen.“ – Wir lernten nie wieder zusammen. Wenn wir uns zufällig trafen, war er freundlich, aber bei Fragen nach seinem Bein wurde sein Gesicht ausdruckslos: der „Walter-Effekt“!
Als ich später mit Ben über Walters Fall sprach, erklärte er: „Wenn du verstehst, welches Problem Walter mit dem Heilen durch Handauflegen hat, wirst du auch verstehen, warum Wissenschaftler und Mediziner sich niemals dafür erwärmen werden.“ Natürlich glaubte ich ihm nicht. Warum sollten Fachleute, denen doch sicherlich daran gelegen war, das Leid ihrer Patienten zu lindern, eine Methode verwerfen, die derart wirkungsvoll, kostensparend und frei von Nebenwirkungen war?
Hier wartete eine weitere Lektion auf mich und unglücklicherweise sollte ich bald reichlich Gelegenheit haben, sie zu lernen. Bei einem Fall nach dem anderen konnte ich beobachten, wie Ärzte Bens Healings, deren Wirksamkeit sie an ihren eigenen Röntgenbildern, Computertomografien oder Blutuntersuchungen ablesen konnten, als Spontanremissionen abtaten. Keiner hatte Interesse daran, mehr darüber zu erfahren. Keiner wollte herausfinden, ob da mehr am Werk war als der reine Zufall. Und keiner zeigte Interesse am Gesamtbild der Erfahrungen, die wir täglich sammelten. Zwar ist es richtig, dass Krebs sich spontan zurückbilden kann, aber ein Arzt kann schon froh sein, wenn er in seiner Laufbahn einen solchen Fall zu Gesicht bekommt, während wir Dutzende hintereinander erlebten. Wenn Ben nur eine bestimmte Krebsart hätte heilen können, dann hätten wir zumindest berechnen können, wie die Chancen für eine Remission standen, aber er heilte sie alle . Sein spektakulärer Erfolg war der beste Beweis gegen ihn.
Nehmen wir beispielsweise Nancys Fall. Bei ihr war eine Operation angesetzt, bei der ein brandiger Fuß entfernt werden sollte. Zwei Tage nach Bens Healing war der Wundbrand verschwunden. Ihr Arzt war regelrecht erschüttert. Bei Wundbrand gibt es keine Remission, und als Nancy fragte, ob er den Mann kennenlernen wolle, der sie geheilt habe, lehnte er ab: „Wenn ich solche ‚Heilungen‘ akzeptiere, dann kann ich meine medizinische Ausbildung an den Nagel hängen. Was ich hier gesehen habe, ist schlichtweg unmöglich.“ Im Gegensatz zu den meisten Ärzten war er allerdings großmütig genug, um hinzuzufügen: „Ich möchte Ihren Heiler zwar nicht kennenlernen, aber ganz unter uns würde ich Ihnen raten, weiterhin lieber ihn zu konsultieren als mich.“
Bei wenigstens einem Fall erwies sich die Aussage eines Arztes, dass Bens Heilungen „zu schön“ seien, „um wahr zu sein“ als tragisch: Lillian war eine OP-Schwester, die ich über eine ihrer Kolleginnen kannte. Wenngleich die Arbeit, die sie verrichtete, viele Menschen hart und zynisch werden ließ, war Lillian eine außergewöhnlich freundliche, stille und mitfühlende Person. Ihr lag etwas an den Patienten.
Drei Jahre zuvor waren präkanzeröse Läsionen aus Lillians Brust entfernt worden. Die Operation verlief ohne Komplikationen. Bei einer Nachuntersuchung zeigte sich allerdings, dass der Krebs mittlerweile ihren gesamten Körper mit aller Gewalt heimgesucht hatte. Er war praktisch überall. Das Atmen fiel ihr schwer, sie war appetitlos und ermüdete schnell. Man gab ihr bestenfalls noch ein paar Monate. Auf Bitte eines Freundes stellte ich Ben und Lillian einander vor. Wenngleich dieser Freund Ben gegenüber misstrauisch war, der ja keinerlei Ausbildungen auf diesem Gebiet vorweisen konnte, war er ängstlich um Lillian besorgt, die erst 22 Jahre alt war.
Ben sagte alle seine anderen Termine ab, damit er sich einen Tag lang ganz auf Lillian konzentrieren konnte. „Mein Krebs hat sich auf alle lebenswichtigen Organe ausgebreitet“, erklärte sie ihm ruhig und nüchtern. „In zwei Tagen habe ich einen Termin bei einem Onkologen, aber sowohl mein Chirurg als auch mein Internist haben mir bereits gesagt, dass nicht viel Grund zur Hoffnung besteht.“
Ben nickte nur. „Ich werde sehen, was sich machen lässt.“ Er arbeitete mit Lillian zwei Stunden lang. Danach schien ihr das Atmen leichter zu fallen. Als sie ging, hörte ich, wie sie zu ihrem Mann sagte, dass sie Hunger habe.
Als Lillian am nächsten Tag wiederkam, war die Veränderung deutlich zu erkennen. Anstatt zu schnaufen, kam sie leichten Schrittes auf uns zu. Nachdem Ben weitere zwei Stunden mit ihr gearbeitet hatte, lachte sie, machte Witze und alberte mit uns herum.
Am dritten Tag kam sie ganz aufgeregt zu uns. „Mein Mann und ich waren gestern Abend Bowling spielen“, erzählte sie. „Ich fühle mich wie neu geboren!“ Nachdem Ben mit Lillian eine weitere Stunde lang gearbeitet hatte, ging sie zu ihrem Arzttermin. Ben war mit sich zufrieden. „Ich habe noch nie jemanden so intensiv betreut“, gestand er mir. „Da hat sich was getan bei Lillian. Ich kann es spüren.“
Und so war es auch. Ich war immer noch bei Ben, als Lillian einige Stunden später anrief. Während ich im Wohnzimmer wartete, zog er sich mit dem Telefon zurück, um allein mit ihr zu reden. Es wurde ein langes Telefongespräch, und als er ins Wohnzimmer zurückkam, ließ er sich auf den Stuhl neben mir plumpsen. Er sah völlig fertig aus. „Sie können keinen Krebs mehr finden“, sagte er. Ich stieß einen Jubelschrei aus, aber Ben reagierte nicht. Ich fragte ihn, was denn los sei.
Laut Lillian hatte der Radiologe, als er sie mit Röntgenstrahlen und Computertomografie untersuchte, keine Tumore mehr entdecken können. Er versuchte es mit einem anderen Gerät und erzielte das gleiche Ergebnis. Auch eine Blutuntersuchung bestätigte, dass sie krebsfrei war. In ihrer Aufregung erzählte Lillian ihm von Bens Arbeit. Der Arzt tat diese als wertlos ab und bestand dann darauf, die medizinische Behandlung ihrer Krankheit wie geplant fortzusetzen.
„Welche Krankheit?“, fragte ich verdutzt. „Die, die sie vorher hatte und von der die Ärzte annehmen, dass sie sie immer noch haben muss. Sie glauben ihren Tests nicht! Oder vielleicht wollen sie die Behandlung präventiv einsetzen, weil das in solchen Fällen von Krebs eine Art Vorschrift ist, an die ein Mediziner sich halten muss.“
„Und was sagt Lillian dazu?“ – „Sie sagt, dass sie mir dankbar sei, aber beschlossen habe, die Behandlung durchzuziehen, um auf Nummer sicher zu gehen. Ich konnte es ihr nicht ausreden.“ – „Was kann denn schlimmstenfalls passieren?“ – „Das Zeug ist tödlich!“, sagte Ben aufgebracht. Lillian erhielt Bestrahlungen mit hoher Dosis, kombiniert mit einer massiven Chemotherapie. Da sie laut ursprünglicher Diagnose als nahezu hoffnungsloser Fall galt, hielten die Ärzte es für gerechtfertigt, ihr diese „minimale Chance“ zu geben.
Lillian absolvierte die gesamte Behandlung wie eine pflichtgetreue Krankenschwester und akzeptierte alles, was die Ärzte verordneten. Ihre Haare fielen aus und sie nahm das kränkliche, aufgedunsene Aussehen einer Chemotherapiepatientin an. Obwohl Ben sie im Krankenhaus besuchte und versuchte, die Nachwirkungen der Behandlung auszugleichen, war der angerichtete Schaden schlichtweg zu groß. Dann stellte sich heraus, dass Lillians Lunge eine zu hohe Dosis Strahlung abbekommen hatte. Ein Lungenflügel hörte auf zu arbeiten und wurde operativ entfernt. Wenige Stunden nach der Operation starb sie an Herzversagen. Lillians Lunge wurde nach ihrem Tod routinemäßig untersucht und wir erfuhren über Umwege, dass kein Krebs gefunden worden war …
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