Im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten gab es bei Ben keine guten oder schlechten Tage. Ob eine Sitzung erfolgreich war, das hing von dem behandelten Problem ab und nicht davon, wie er sich fühlte. War er zu Beginn der Arbeit auch manchmal mürrisch, so heiterte sich seine Stimmung bei der Arbeit stets auf. Auch schien er gegen jede Form von Ablenkung immun zu sein. Er konnte der einen Person heilende Energie zukommen lassen, während er sich mit einer anderen unterhielt. Und er behauptete sogar, dass diese Art von „Nebenbeschäftigung“ seine Heilungsfähigkeit verbessere.
Wie bereits an dem Brief aus Dallas deutlich geworden war, konnte Ben auch „Fernheilungen“ durchführen, die wir lieber als „Healing in Abwesenheit“ bezeichneten. Allerdings laugte ihn dies stark aus. Wenn er etwa einen Gegenstand, der einem woanders lebenden Klienten gehörte, unter sein Kopfkissen legte, erwachte er am nächsten Morgen völlig erschöpft.
Von Zeit zu Zeit kam es auch zu unerwarteten Fehlschlägen. Ein Klient, der wegen einer schweren Krankheit zu Ben kam, bat ihn beispielsweise: „Da ich sowieso gerade hier bin, könnten Sie vielleicht auch meine Warze behandeln?“ Aber Ben konnte weder Warzen zum Verschwinden bringen noch einen gewöhnlichen Schnupfen heilen, wenngleich bei Letzterem zumindest eine zeitweilige Besserung der verstopften Nase möglich war.
Spektakuläre Erfolge erzielte Ben vor allem bei einer großen Bandbreite an Krebserkrankungen, bei denen seine Arbeit zumindest als eine Art Diagnoseinstrument diente: Wenn eine Geschwulst sofort auf die Behandlung reagierte, war sie bösartig. Passierte dies nicht, war sie wahrscheinlich gutartig. Die beste Aussicht auf Heilung hatten Fälle, in denen aggressiver Krebs bei jungen Menschen auftrat, die noch keinerlei Bestrahlungen oder Chemotherapie erhalten hatten. Bestrahlungen und Chemotherapie stellen einen großen Eingriff in den Körper dar, da sie sowohl gesunde als auch kranke Zellen zerstören. Da Krebszellen sich jedoch schneller vermehren als gesunde Zellen, liegt die Hoffnung bei diesen Behandlungsmethoden darin, dass Krebszellen schneller betroffen sind und auch schneller absterben. Bens Healings schienen im Gegensatz dazu das Wachstum der gesunden Zellen zu fördern.
Ben war noch nicht lange als Heiler tätig, als bereits die ersten der merkwürdigen psychologischen Reaktionen auftraten, die er vorhergesehen hatte: Wenn sie zur Behandlung kamen, wollten die meisten Leute erst einmal vorab wissen, wie lange diese dauern würde. Viele, die sich zum ersten Mal in die von ihnen als „Hokuspokus“ betrachtete Welt des Heilens mit Handauflegen begaben, erwarteten sozusagen als Beweis eine sofortige Heilung – ganz im Gegensatz zu den frustrierend langen Behandlungen, die sie im konventionellen Gesundheitssystem ohne Murren in Kauf nahmen. Ein Mann, der an Leukämie erkrankt war, regte sich darüber auf, dass Ben ihn nicht in einer einzigen Sitzung geheilt hatte. Wenn Ben die Zahl seiner Blutkörperchen innerhalb einer Woche um 40 Prozent in die Höhe treiben könne, müsse es doch wohl auch möglich sein, ihn gleich ganz zu heilen, damit er nicht noch einmal kommen müsse …
Es erstaunte mich immer wieder, dass rund die Hälfte der Klienten, die nicht innerhalb einer Sitzung geheilt werden konnten, kein weiteres Mal zu uns kamen, und zwar selbst solche, die bei Allergien, Schmerzen, kräftezehrenden Krebssymptomen, Diabetes oder Arthritis eine deutliche Linderung ihrer Symptome erlebt hatten. Während ich mich darüber aufregte, sah Ben das Ganze philosophisch: Er hatte es schließlich vorausgesehen. Ich kam letztlich zu dem gleichen Schluss wie er: Manche Menschen wollten offenbar nicht gesund werden. Das galt vor allem für all jene, die schon länger krank waren oder Schmerzen litten. Für sie schienen ihre Beschwerden Teil ihrer Identität geworden zu sein. Ein Leben ohne Krankheit schien ihnen unvorstellbar, selbst wenn sie pro forma verzweifelt nach Heilung und Linderung suchten – und zwar nicht nur, um ihre Mitmenschen zufriedenzustellen, sondern auch, um die Farce vor sich selbst aufrechtzuerhalten.
Besonders überrascht war ich, als ein ausgesprochen intelligenter Freund von mir die gleiche befremdliche Reaktion zeigte. Walter war ein Studienkollege, mit dem ich manchmal zusammen lernte. Als ich eines Tages in der Unibibliothek saß, kam er an Krücken auf mich zu. Eine Woche zuvor hatte er plötzlich einen stechenden Schmerz im rechten Bein verspürt, der sich stetig verschlimmerte. Die beiden Ärzte, die er aufsuchte – der eine Chiropraktiker, der andere Neurologe – konnten ihm nicht helfen. Während wir uns unterhielten, traten Tränen in seine Augen. „Die Schmerzen sind kaum auszuhalten. Ich würde mir am liebsten das Bein abhacken.“
Walter stammte aus Nigeria, wo die Männer eher als Machos gelten, und war normalerweise ein Meister der Untertreibung. Als ich ihm von Ben berichtete, trat er sofort instinktiv einen Schritt zurück, fiel dabei fast über seine Krücken und meinte: „Das ist ja völlig verrückt!“ Ich wusste mittlerweile, dass Argumentieren keinen Sinn hatte, also sagte ich nur: „Na gut, wie du willst.“ Walter arbeitete gerade an seinem dritten Doktortitel und ich fand, dass das mindestens ebenso verrückt war. Ich wünschte ihm noch viel Spaß mit seinen Schmerzen und wollte gerade gehen, als er mir eilig hinterhergehumpelt kam: „Warte mal! Kann dein Freund mir wirklich helfen?“ – „Was hast du schon zu verlieren?“
Ich rief also Ben an. Da er gerade mitten in einem Healing war, lud er uns ein, gleich vorbeizukommen. Je mehr ich Walter auf der Fahrt über Ben erzählte, umso stiller wurde er. Ben behandelte gerade einen Klienten, der an Krebs erkrankt und erstmalig zu ihm gekommen war. Eine weitere Frau wartete auf ihre dritte Sitzung wegen rheumatischer Arthritis – eine für Ben stets problematische Erkrankung. Als Ben mit dem Krebserkrankten fertig war, forderte er Walter auf, sich auf den Stuhl zu setzen. Dieser protestierte zunächst, dass er ja noch gar nicht an der Reihe sei, setzte sich dann aber brav hin.
Ben ging wie immer vor, bis seine Hände an einer Stelle etwa acht Zentimeter über Walters Knie anhielten. Während alle anderen im Raum Anwesenden sich unterhielten, beschäftigte er sich rund zwanzig Minuten lang mit Walter, um ihn dann zu fragen, wie sein Bein sich anfühle. Walter schaute ihn unbewegt an und sagte: „Kein Kommentar.“
Ben, der sich davon nicht weiter beeindrucken ließ, bat ihn, zu warten, bis er der Frau mit der Arthritis geholfen habe. Ich beobachtete, wie Walter das Bein vorsichtig aufsetzte und dann langsam zu seinem Stuhl zurückging. Er vermied jeden Augenkontakt mit mir, während er sein Bein massierte und es immer wieder hob und senkte. Nach etwa fünf Minuten sagte Ben zu ihm, dass er sein Bein noch einmal „bearbeiten“ werde, falls die Schmerzen noch vorhanden seien. „Ich weiß nie voher, wie lange ein Healing dauern wird.“ Von Walter kam erneut nur ein knappes „Kein Kommentar“. – „Wir sind hier nicht auf einer Pressekonferenz“, sagte ich verärgert. „Wie fühlt sich dein Bein denn nun an?“
Beinahe unglücklich sah Walter zunächst zu mir und dann zu Ben herüber. Dann blickte er wieder mich an. „Ich versuche die ganze Zeit zu verstehen, was passiert ist. Etwa fünf Minuten, nachdem Ben seine Hand auf mein Bein gelegt hatte, waren die Schmerzen verschwunden.“ Und dann fügte er verlegen hinzu: „Ich habe versucht, sie wieder zurückzuholen.“
Ben, der immer noch die Arthritispatientin behandelte, nickte nur. Mir hingegen platzte fast der Kragen und ich sagte ihm, dass ein wenig Dankbarkeit ja wohl das Mindeste wäre. Während Ben mich mit einer Handbewegung aufforderte, mich zu beruhigen, ging Walter ganz normal und ohne Krücken durch den Raum. „Natürlich bin ich dankbar, aber ich bin auch verwirrt. Ich bin in einer Stammesgesellschaft aufgewachsen, die an Magie und Medizinmänner glaubt, und habe mich von diesen Dingen freigemacht“, versuchte Walter zu erklären.
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