Etwas renkte aus.
Ich weiß nicht, wo meine Seele sitzt und ob sie baumeln kann. Genießen tue ich nicht auf Geheiß, überhaupt, zu fordernd kommt mir inzwischen das Wort Genuss daher, im Widerspruch zu seinem Versprechen. Woher wissen die, was ich verdient habe? Vielleicht lag ich schon die ganze Woche faul herum. Der Satz wird dahingesagt, um jemanden bestätigend zu belohnen, aber der Befehlston verrät ihn. Denn oft verdienen ja die, die ihn sagen, am meisten daran. Sie profitieren davon, dass man intensiv geleistet hat und dann wieder verwöhnt und aufgebaut werden muss. Dabei meinen sie es nur gut. So gut wie Eltern es mit ihrem Kind meinen, ohne dass sich das Kind dagegen wehren kann. Genauso empfindet man es als Erwachsene und hat nun ein Wort dafür, wenn auch ein ebenfalls zu häufig gebrauchtes: Die Gutmeinenden sind übergriffig.
Und so gibt man sich der Verwöhnung hin, entspannt sich hinein in den Zustand, in dem man nichts mehr will als das totale Erschlaffen und sogar zu denken aufhört. In einem letzten hellen Moment vernimmt man vielleicht noch den Gedanken, dass die Ausweitung der Komfortzone mit dem Bekämpfen von Stress und Leistung einhergeht. Stress wird zum Feind erklärt, der das wachsende Angebot an Mitteln und Techniken, ihn zu vermeiden oder die Gestressten zu belohnen, rechtfertigt. Wer es nicht merkt, dem wird es sanft einmassiert.
Jetzt im Frühling drängt sich einem die gute Laune wieder überall auf. Theodor W. Adorno meinte die Unterhaltungsmusik, als er den Begriff vom »kommandierten Vergnügen« prägte. Man nimmt das Kommando am Morgen aus dem Radio entgegen, vorgespielt von zu fröhlichen Moderatoren. Es rieselt abends aus den Liftlautsprechern herab. Wattierte Befehle zum Glücklichsein, ohne dass ich mich entscheiden kann, ob ich das will. Normierte gute Laune für die Masse, ununterscheidbar.
Man erkläre jemandem, dass man an einem sonnigen Tag lieber bei geschlossenen Läden vor dem Computer sitzt oder hinter einem Buch. Das tun doch nur Einsame oder sonst Unglückliche. Aber sie tun es mit einem Grund: weil die wabernde Euphorie, wenn die Temperaturen steigen, sie hinunterzieht. Sie spüren den Druck, glücklich zu sein, und werden nur noch trauriger.
Aber auch an sich heitere Menschen sehen nicht ein, weshalb sie mit befohlenem Wohlgefühl den Herausforderungen der Zeit begegnen sollen. Weshalb sie auf Befehl loslassen sollen, obwohl sie gerne festhalten an Ansprüchen, die sie sich selber stellen. Ich gehe nicht ins Hotel, um glücklich zu werden. Sondern ich reise glücklich und übernachte in einem Hotel. Vielleicht verträgt es sogar einen Streit. Störfall in der diktierten Harmonie.
Denn was wäre die Alternative? Das Denken schlägt nicht mehr aus. Es bohrt sich nicht ein, hinterlässt keine Wunden. Es baumelt jetzt.
LIEBE IST AUCH NUR
EIN WORT
Sie schlagen einen heute fast in die Flucht, die berühmten drei Worte, mit denen Schlagersänger ihre Lippen formen und die auf Valentinskarten stehen: Ich liebe dich. Der Liebesschwur ist inzwischen so abgegriffen und formelhaft, dass man sich nicht mehr gemeint fühlt. Umgekehrt möchte man die Sprache neu erfinden, wenn es einen in einem ebensolchen Moment der Überwältigung zu einer Gefühlsäußerung drängt.
Nur weil man um die richtigen Worte ringt, soll man aber nicht einfach schweigen. »Die Liebe liegt in der Sprache, oder sie existiert nicht«, hat die Schriftstellerin Undine Gruenter geschrieben. Deshalb ist es keine Alternative, einfach nichts zu sagen und darauf zu vertrauen, dass der andere schon spürt, wie viel er einem bedeutet. Es gibt aber Sätze, die es viel schöner sagen. Ich schlage hier zur freien Verwendung ein paar Liebeserklärungen vor.
Da sie kurz, das heißt prägnant sein sollen, hören wir uns zuerst bei anderen Sprachen um – zumal ein exotischer Klang das Liebesgeflüster immer aufwertet. Auf Kreolisch zum Beispiel sagt man »Mi aime jou«. Das erinnert vom Lautmalerischen her an eine Aussage von Roland Barthes. »Ich liebe dich«, schreibt er in »Fragmente einer Sprache der Liebe«, bedeute eigentlich »Liebe mich«. Die Aufforderung, geliebt werden zu wollen von genau jemandem, ist als Gefühlsbekundung durchaus originell.
Und weiter: Dass es manchmal reichen würde, den andern anzuschauen und nur »Wow« zu sagen, das suggeriert »Ich liebe dich« auf Hawaiianisch: »Aloha wau ia ’oe.«
Bei der Liebeserklärung in zwei weiteren Sprachen wird man mit etwas Fantasie daran erinnert, wie berauscht einen das Verliebt-Sein macht. »Techihhila«, sagen die Sioux zueinander. Man denkt dabei an die Trunkenheit nach einem Tequila, dem Schnaps.
Auch »Mi amas vin« auf Esperanto klingt so, als würde man den Treibstoff meinen. »Wein« lässt sich hier aber auch im übertragenen, das heißt christlichen Sinn mit »Blut« gleichsetzen. Also könnten die esperantischen Worte »Du bist mein Leben« heißen.
Man muss nicht von Liebe reden, um Liebe zu meinen. Auf Deutsch gibt es weitere kurze Sätze, die Hitze fluten lassen. »Ich brauche dich« hat etwas Inniges, vorausgesetzt, man meint damit nicht: Ich brauche dich als Köchin, als Informatiker bei Computerproblemen oder wegen deinem Geld.
Heute darf man zwar niemanden mehr brauchen, will man sich nicht abhängig zeigen. Bertolt Brecht wusste das noch nicht, als er dichtete: »Der, den ich liebe / Hat mir gesagt / Dass er mich braucht. // Darum / Gebe ich auf mich acht / Sehe auf meinen Weg und / Fürchte von jedem Regentropfen / Dass er mich erschlagen könnte.« Das Gedicht sei »Morgens und abends zu lesen«, empfahl er im Titel. Meistens lässt Routine ein Liebesgeständnis schnell einmal abgedroschen klingen. Indem man diese hier zweimal am Tag in sich hineinsagt wie ein Gebet, vergegenwärtigt man die Gefühle füreinander.
Es gibt die Steigerung: »Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt.« Oder: »Ich liebe dich mehr, als ich auszudrücken vermag.« Wenigstens ist der Sprachlose ehrlich. Schnell dahingesagt, aber verantwortungslos ist der Satz: »Ich liebe dich mehr als mein Leben.« Siehe Brecht.
Es gibt den Vergleich: »Ich liebe dich, wie Adam Eva geliebt hat.« Auf keinen Fall sollte man es wie Franz Kafka machen, der in einem Brief an Milena gesteht, er liebe sie »so wie das Meer einen winzigen Kieselstein auf seinem Grunde lieb hat, genau so überschwemmt Dich mein Liebhaben«.
Und so spült er die Geliebte fort. Deutlicher kann man jemanden mit einem Liebesschwur nicht von sich fernhalten.
ANLEITUNG FÜR
LIEBESKRANKE
Liebeskummer klingt nach einem alten Gefühl, doch bemerkbar macht er sich so wuchtig wie je. Zwar tut man heute so, als stände es in unserer Macht, kraft des Denkens das Fühlen zu verändern. Aber wenn die Wellen angerollt kommen, jede Erinnerung zum Messer wird, reicht die eingeübte Selbstkontrolle höchstens noch dazu, sich nicht ins Wasser und in die Klinge zu stürzen. Die Drastik hier soll deutlich machen: Nicht jeder Schmerz lässt sich durch Arbeit am Ich temperieren.
Um an Liebeskummer zu leiden, muss man sich eingelassen haben. Und zwar ohne Sicherheitsnetz. Sodass der erste Gedanke nicht mehr einem selbst gilt, sondern dem anderen. Dann kommt es zum Bruch. Doch auch jetzt spricht der Liebeskranke noch vom Geliebten, wenn er über sich redet. Er sagt: Es stirbt ein Teil von mir.
Wie kann man teilweise sterben und trotzdem noch am Leben sein?
Um Verliebte am Anfang einer Beziehung in ihrem Überschwang zu bremsen, sagt man oft: »Schau, dass du eigene Freunde hast, auch einmal alleine verreist, ihr eure Güter trennt.« Man redet, als wäre Nüchternheit der Zustand, den ein Berauschter kennt. Stattdessen sind die Grenzen aufgehoben. Man öffnet jede Tür, um den andern in sein Leben einzulassen. Lieben heißt, sich selbst zu erweitern. Zwei Ichs greifen ineinander, Wesenszüge verflechten sich, Erfahrung kommt zusammen. Je größer der gemeinsame Bereich, desto größer die Nähe. Man übernimmt neue Perspektiven und fühlt sich aufgewertet. Umso mehr droht der Selbstverlust, wenn eine Liebe endet. Es ist, als sterbe ein Teil von mir. Du.
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