Während das Erscheinen der Smartphones in den 2000er Jahren das Verhältnis von Wissen und Erinnerung tiefgreifend veränderte – Gedächtnis- oder Wissenslücken lösten ein hektisches Tippen auf winzigen Displays aus, um eine Antwort im Netz zu finden –, verknüpfen jetzt integrierte Systeme aus intelligenten Brillen und elektronischen Implantaten die Menschen immer stärker untereinander und isolieren sie zugleich voneinander. Die Illusion der permanenten, grenzenlosen Kommunikation geht mit einem Unverständnis der elementarsten menschlichen Beziehungen einher. Weil der Andere über seine digitale Identität nicht zu begreifen ist, wird er immer ein Unbekannter bleiben.
Im Bereich Fortbewegungsmittel bewahrheiten sich die sagenhaften Vorhersagen für das Jahr 2000 von fliegenden oder auf dem Wasser schwebenden Autos nicht, dafür gibt es aber selbstfahrende Autos. Die Entwicklung der Hybrid- und Elektroautos ist von Region zu Region unterschiedlich und hängt insbesondere vom politischen Willen und vom Zugang zu fossilen Rohstoffen ab, die in manchen Gegenden durch die Förderung von Ölsanden und Schiefergas in größeren Mengen verfügbar sind. In den USA beispielsweise verschwindet der Verbrennungsmotor zwar nicht, aber hubraumstarke Spritschlucker kommen aus der Mode, da sie als wenig ökologisch gelten in einem Land, in dem Benzin teuer bleibt.
In Europa und Südamerika fliegt der Schwindel mit den Biotreibstoffen auf. Nicht nur, dass Biokraftstoffe niemals eine ernsthafte Alternative zum Diesel dargestellt haben, weil der für die Produktion erforderliche Input größer ist als der Output, auch der massive Anbau von Soja, Zuckerrohr und Rüben zulasten des Anbaus von Nutzpflanzen zeigt dramatische Folgen. Da deren Anbau kurzfristig weniger rentabel ist, schnellen die Kurse für Getreide und Mais in die Höhe, worauf Aufstände in Brasilien, Mexiko und Afrika ausbrechen. Obwohl die Weltbevölkerung immer weiter wächst und damit auch die Nachfrage nach Nahrungsmitteln steigt, geht paradoxerweise das Angebot an Nahrungsmitteln proportional zurück, sodass es zu Notlösungen wie der Züchtung von Insekten kommt, die medial groß präsentiert werden, um sie schmackhaft zu machen. Da Länder wie Brasilien oder Argentinien über ein großes Agrarreservoir verfügen, wird die Lösung „Futter für Maschinen statt Menschen“ nicht überall aufgegeben. Das „grüne Benzin“ bringt allerdings niemanden mehr zum Träumen.
Der Ausschluss der armen Peripherieländer aus der Währungsunion
Verkörpert Griechenland die Missstände Europas? Indem dieses Land seine Zahlen schönte, um in die Eurozone aufgenommen zu werden, setzte es sich in frevelhaftem Übermut über das rechte Maß hinweg, welches das Schicksal vorgesehen hatte. Für die alten Griechen hatte dieses Verbrechen einen Namen, Hybris , und löste den gerechten Zorn der Götter aus, Nemesis , um das gestörte Gleichgewicht wiederherzustellen.
Doch nicht nur Griechenland ist mit Vermessenheit geschlagen, sondern die ganze Europäische Union. Gefangen in der Schuldenspirale, unfähig zur Wiederankurbelung der Wirtschaft, die möglicherweise nur eine Abwertung des Euro aus ihrer Lethargie holen kann, gebeutelt von sozialen Unruhen, die den Nährboden für Populismen verschiedenster Couleur bilden, beschließen Athen und Brüssel schließlich eine Scheidung in beiderseitigem Einvernehmen. Natürlich ist die Trennung nicht endgültig: Griechenland bleibt in der EU, aber in einem peripheren Maße, das an Margret Thatchers maximale Forderungen für eine Unabhängigkeit Großbritanniens erinnert.
In der EZB-Zentrale in Frankfurt wird das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone zum Anlass genommen, um die europäische Einheitswährung grundlegend zu überdenken. Als starke Währung orientiert sich der Euro an der Deutschen Mark 17, allerdings hat sich gezeigt, dass die Stabilität dieser Euro-Mark mit den weniger wettbewerbsfähigen Volkswirtschaften der südeuropäischen Länder, deren Handelsbilanzen traditionell defizitär sind, nicht zu gewährleisten ist. Ausgehend von der Feststellung, dass 20 Jahre Scheitern und Hyperinflation eine Verarmung der privaten Haushalte mit sich gebracht haben, verkleinert sich die Eurozone auf die verlässlichsten Mitglieder. Griechenland und Portugal scheiden als erste aus, gefolgt von Italien, Spanien und Zypern, wo der Rubel sich im Alltag durchgesetzt hat.
Der Euro bleibt zwar eine starke und stabile Währung, doch der Vertrauensverlust der privaten Haushalte ist groß. Um dem massenhaften Abziehen von Kapital vorzubeugen, werden die Spareinlagen der Bürger teilweise eingefroren, außerdem die Finanzströme erheblich beschränkt, um das Bankensystem vor dem Zusammenbruch zu retten. Zum Ausgleich erhalten die Sparer Staatsanleihen, die nur schwer konvertierbar sind und deren Wert vergleichbar ist mit dem von toxischen Wertpapieren, was teilweise zu heftigen Protesten führt. Doch dessen ungeachtet ergreifen die Regierungen sehr unpopuläre Maßnahmen, um das Währungs- und Finanzsystem zu stabilisieren.
Um Steuerstreiks vorzubeugen, erfolgt der Steuerabzug nun allgemein an der Quelle. Dadurch wird eine Steuerreform möglich, um neue Steuerzahler zu generieren. Neben einer Mehrwertsteuererhöhung und der Einführung eines Sonderbeitrags zur Finanzierung des Gemeinschaftshaushalts kommt es durch die Einführung der Steuerprogression, die 70 Prozent der Haushalte erfasst, zu einer allgemeinen Verringerung der Lasten, da diese jetzt nicht mehr nur von einem Drittel der Steuerpflichtigen getragen werden, von denen sich übrigens viele aus der Mittelschicht der Bewegung der „Steuerflüchtigen“ angeschlossen hatten.
Das Mittelmeer als Bollwerk gegen Migrationsbewegungen
Eine der größten Herausforderungen der 2010er Jahre ist der massive Zustrom von Migranten aus der afrikanischen Vierten Welt, die an den Küsten Europas stranden, nachdem sie tausend Gefahren überlebt haben, an Bord von Schiffswracks, die von Händlern gepachtet werden, die ihr Geschäft mit dem Elend machen. Wie soll man ein so lukratives Geschäft unterbinden, da der einstige Grenzschützer Libyen sich in einen failed State , einen gescheiterten Staat gewandelt hat, durch den die Routen der Schleuser führen, deren Ziel die italienische Küste ist?
Da in der EU die Personenfreizügigkeit gilt, geht diese Problematik, die einen humanitären, aber auch einen Sicherheitsaspekt hat, alle Mitgliedstaaten gleichermaßen etwas an. Terroristen haben die Gunst der Stunde genutzt und sich der Rettungs- und Aufnahmeinfrastruktur für schiffbrüchige Migranten bedient, um nach Europa zu gelangen und Anschläge zu verüben, die die Öffentlichkeit erschütterten. Die EU sieht sich zum Handeln gezwungen und stellt eine Seepolizei auf, die fast den gesamten Marineetat aufzehrt. Die unmittelbare Folge dieses Großaufgebots, das mit dem Aufgebot an Bodentruppen zur Wahrung der europäischen Binnensicherheit vergleichbar ist: Die EU gibt die Hochsee auf und zieht sich auf das Mittelmeer zurück, das alles für ein symbolisches Ergebnis, jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt einer EU-Militärintervention gegen terroristische Gruppierungen, die sich in Libyen festgesetzt haben.
In dem Bewusstsein, dass Europa nicht alle Elenden aufnehmen kann, die durch die Sogwirkung einer Politik der systematischen Rettung der Bootsflüchtlinge angezogen werden, muss die Europäische Union ihre Politik grundlegend ändern. Angesichts überfüllter Abschiebezentren und gewalttätiger Zusammenstöße zwischen Einheimischen, die sich in Selbstverteidigungsmilizen organisiert haben, und immer zahlreicher werdender Migranten haben die Entscheidungsträger auf Länder- und auf EU-Ebene drastische Maßnahmen beschlossen. Nach dem Vorbild Australiens, das seine Küsten seit vielen Jahrzehnten hermetisch abriegelt, führt die europäische Marine ein effizientes System ein, um die Migranten auf hoher See abzufangen und systematisch an die afrikanischen Küsten zurückzubegleiten. Ähnlich wie im alten Partnerschaftsvertrag zwischen Libyen unter Gaddafi und Italien enthalten auch die neuen Wirtschaftsvereinbarungen mit den Ländern Nordafrikas Klauseln über die Abriegelung ihrer Küsten und Staatsgebiete gegen Schleuser.
Читать дальше