1 ...7 8 9 11 12 13 ...25 Gut – dann aber der Höhepunkt des Pilzbuches, drei Seiten »Audienz beim König«:
»Steinpilz, Boletus edulis. Unglaublich, aber wahr: Mir wurde Audienz gewährt. Nicht irgendein Stein-/Herrenpilz, nein, ›The king of the Woods‹ ließ sich höchstpersönlich herab. […] Und jetzt sehe ich ihn auch: le Jardin du Roi – der Garten des Königs. Eine Miniaturlichtung, wo zwei Fichten vorzeitig den Kampf gegen ihren Selbsterhaltungstrieb gewonnen hatten. Viermal vier Meter dürften das sein. Der Nadelteppich wird von weichen Moospolstern abgelöst. Grashalme zittern nervös im erstbesten Lufthauch, der hierher findet. Die Sonne hat ihren neuesten Farbkasten ausgepackt und hantiert verschwenderisch auf diesem Areal. Wo ein alter Stumpf des vormaligen Hochwaldes gemächlich zerbröselt, auf dem Wurzelstockpodest ist der Thron als Bühne hergerichtet. Da! Wow! Die Sommersonne richtet ihre Scheinwerfer auf IHN und läßt Seine Majestät im golden strahlenden Ornat erscheinen. Flankiert von vier furchteinflößenden Fliegenpilzwächtern. Unzählige als Pfefferröhrlinge kostümierte Lakaien tun wichtig. Er ist es wirklich. Dreißig, Quatsch!, vierzig Zentimeter hoch.«
Arbeit an »Der Blechbläser und sein Kind«, Greiz, 1993.
Dieter Steinmann, Michael Rudolf, F. W. Bernstein.
Eine festliche Zeremonie wird inszeniert, daß es nur so eine Art hat. Und versteckt noch ein neuerliches Bekenntnis: »Am neugierigsten hätte alle die Erwähnung meines Kindes gemacht. Ein Mädchen? Solle ich unbedingt mitbringen.«
Eva, die Tochter. Vorher: das ist Ina Fräuleinwunder.
Ina und Eva: Macht’s gut! Ich grüß’ Euch!
Eva und Michael Rudolf, 1994.
Michael und Ina Rudolf, 2004.
Michael Rudolf
Ungehemmte Motorik wird bei Kindern scherzhaft als Zappelphilipp bezeichnet. Wie aber ist das bei Erwachsenen?
Kennen Sie das nicht auch: Bei längeren Zugreisen, während eines Vortrages, in der Kirche, im Kino oder beim Abendgebet entwickeln Ihre Beine eine rätselhafte Unrast, kaum während des normalen Tagesablaufes, erst bei Ruhe. Die unerklärliche Qual wird zum Einschlafhindernis, als wären alle Muskeln voller Ameisen. Eine Mischung aus Muskelkater und -krämpfen, die Sie zwingt, wie der Leibhaftige auf und nieder zu springen.
Und wie heißt dieses Syndrom? Richtig. Wittmaack-Ekbom-Syndrom. Oder auch »restless legs«.
Was hilft? Eigentlich nichts. Versucht wird es mit Beta-Blockern, kalten Fuß- und Beinbädern, elastischen Stützstrümpfen und Eispackungen. Nützlich kann auch ein Bettbügel sein, der die Decke von den Beinen fernhält.
In Würde älter werden? Fuck off!!!
Kowalski 6/1993
WIE MICHAEL RUDOLF EINMAL VORM FALSCHEN UTOPIA WARNTE
Jürgen Brömmer
Im Hochsommer 1994 hatte Direktor Gotthard Brandler zur Triennale für Karikatur, Cartoon und komische Zeichnung geladen. Zur Eröffnungsfeier war es ihm mit der Hilfe von Dieter Steinmann gelungen, alles, was in der Zeichenkunst wenn nicht Rang, so doch wenigstens Namen hatte, für drei Tage in das thüringische Städtchen zu locken.
Die Ausstellung selbst war schon eine bemerkenswerte Leistung, waren hier doch erstmals im größeren Rahmen west- und ostdeutsche Künstler gleichermaßen beteiligt: seriöse Karikaturisten, die Bärte wie Kastenbrote vor sich trugen, neben lustigen Nonsenszeichnern. Zum denkwürdigen Erlebnis wurde die Triennale schließlich durch den Umstand, daß Direktor Brandler mit der Landespolitik ein großzügiges Budget ausgehandelt hatte, mit dem die ganze Bande zur feierlichen Eröffnung der Ausstellung für ein langes Wochenende komfortabel untergebracht und anständig ausgehalten werden konnte.
Auch ich, der lediglich ein kleines Faltblatt mit Zeichnungen des Münchner Miniaturisten Steffen Haas hergestellt hatte, durfte dabeisein! Der kluge Direktor wußte: Man gebe jungen Menschen freie Unterkunft und kostenlose Mahlzeiten, und quasi automatisch wird der Geist der Utopie belebt. Und so wurde Greiz an einem milden Augustwochenende im fünften Jahr nach dem klanglosen Untergang des Realen Sozialismus zum Sonnenstaat, wo man sich bei thüringischer Hausmannskost, Bier und Wein flugs an die Menschwerdung machte.
Eine geistreiche Redensart gab die andere, unterbrochen nur vom merkwürdigen Gesang eines Berliner Glossenautors, der zwar nicht zeichnete, den der großzügige Gotthard Brandler aber zum Zechen einfach mit eingeladen hatte. Man verstand sich prächtig, und an den Abenden wurde auch den anwesenden Damen tüchtig der Hof gemacht, wie es sich der alte Fourier in Die Neue Liebeswelt kaum schöner ausgedacht hatte.
Fast wäre also Greiz in jenen Augusttagen von einer bedenkenlosen Künstlermeute zum neuen Utopia ausgerufen worden, hätte uns nicht ein Einheimischer rechtzeitig die Augen geöffnet. Denn Michael Rudolf hatte auch nach zweitägigem Feiern, Singen und Sekundenschlaf nicht die Übersicht verloren. Hier, in dieser Burgschenke, erklärte der in Greiz Aufgewachsene schneidend, würde normalerweise das Bürgerrechtlerpack schale Phrasen ins Schwarzbier dreschen, dort im Park, zischte er, treffe sich dumpfe Landjugend mit nationaler Gesinnung, und überhaupt sei die Perle des Vogtlandes ein elendiger Schreckensort, wo man sich auch ganz ohne Jägermeister ein Magengeschwür herbeiärgern könne, sei doch die einheimische Bevölkerung komplett verblödet, und der zugezogene Westler tauge auch nur zum Sparkassendirektor und Immobilienwirt.
Solcherart zur Besinnung gerufen, sahen die Zeichner und ihre Angehörigen die Lage in einem anderen Licht und machten sich am Nachmittag ernüchtert auf den Nachhauseweg. Dankbar aber war man, daß Michael Rudolf uns vor einem Irrtum nahezu historischen Ausmaßes bewahrt hatte.
Zeichnung: F. W. Bernstein, Sommerpalais Greiz.
MIT DEN AUGEN EINER FRAU – BERICHT VON DER TRIENNALE IN GREIZ/THÜRINGEN 1994
Fanny Müller
Schon die Anreise war sehr schön. Ich fuhr mit dem Zeichner Rattelschneck acht Stunden im Interregio im Mutter-Kind-Abteil. Ich trug eine orangene Sonnenbrille, die keine Bügel hat, sondern Ketten, die man über die Ohren tut, und unten an den Ketten hängen Gewichte in Form von großen orangenen Scheiben. Rattelschneck trug eine Bluse, deren Muster mich an die Küchengardinen meiner Mutter aus den sechziger Jahren erinnerte, und eine Hose mit vielen Flecken, von denen er behauptete, es seien Stockflecken. Die anderen Menschen im Zug waren alle anständig gekleidet. Die Zeit verging wie im Fluge. Ich brachte R. das Kreuzworträtsellösen bei. Er wußte nicht, daß es Wörter wie »Esol« oder »Torlettenpapier« gar nicht gibt. Danach lasen wir uns gegenseitig die Leserbriefe aus der Auto Bild vor. R. hatte einiges an Bier mitgebracht, bis ich die Nase rümpfte. Da ging er aufs Klo und putzte sich, ganz Gentleman, die Zähne.
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