Die beiden Brüder waren unterschiedlich begabt. Georg beherrschte die Verwaltung eines Landes von Grund auf. Er schrieb selbst gern in seiner fürstlichen Kanzlei die Entwürfe für wichtige Schriftstücke und beherrschte so viel Latein, dass er mit Erasmus von Rotterdam, dem Fürsten aller Humanisten Europas, korrespondieren konnte. Dagegen hasste Herzog Heinrich schriftliche Arbeiten. Die Schreiber sind ihm nachgelaufen, um eine Unterschrift zu bekommen, so ungern unterschrieb er selbst Briefe und Schriftstücke. Vielleicht spielte auch beim Verzicht Heinrichs auf Friesland ein gewisser Trotz gegen den großen, immer besseren Bruder eine Rolle, der schon in der Jugend in seine Aufgabe als regierender Fürst im albertinischen Sachsen als Statthalter des in Kriegen abwesenden Vaters hineinwachsen konnte.
50 Jahre hat Georg als Patriarch, der sich für das Große ebenso verantwortlich fühlte wie für das Kleine, das albertinische Herzogtum verwaltet. Dagegen blieb anfangs für Heinrich nur das abgelegene, windige Friesland, dessen Bewohner sich einer sächsischen Gubernation keinesfalls fügen wollten. Deshalb hat er viel lieber in der moderneren Bergstadt Freiberg gewohnt. Über 30 Jahre hat dann der körperlich große Herzog Heinrich sein Denken und Handeln auf das Freiberger Ländchen beschränkt. Er reiste nicht zu den Reichstagen. Dieses Recht nahm sein Bruder für ihn wahr. In seinem Ländchen war Heinrich ein populärer Fürst, der seine Untertanen kannte. Er kümmerte sich um Handwerk und Gewerbe. Er liebte die Freuden der Tafel und hörte gern Gesang. In den Erzgebirgswäldern ging er auf die Jagd. Er hatte Zeit, sich dem Sammeln von Kanonenrohren und Handfeuerwaffen zu widmen, die er in Freiberg gießen ließ.
Prinz Moritz von Sachsen, Kinderbild nach einem Gemälde von Lucas Cranach d. Ä., 1526
Seine größte Tat war, dass er mit fast 40 Jahren – in damaliger Zeit an der Schwelle des Alters – die fast 15 Jahre jüngere Katharina von Mecklenburg am 7. Juli 1512 heiratete. Sie war keine schöne, aber eine selbstbewusste, kluge und energische Frau. Der Landgraf Philipp von Hessen und der Kurprinz Johann Friedrich waren ihre Neffen, Kinder ihrer älteren Schwestern. Vielleicht wollten Hessen und Kursachsen mit der Ehe etwas mehr Einfluss im albertinischen Raum gewinnen?
Katharina wurde die treibende Kraft im Leben des großen und gutmütigen Mannes. Sie brachte ihrem Mann erst drei Mädchen zur Welt: Emilie, Sibylle und Sidonia, und dann drei Knaben: Moritz, Severin und August. Nach den Bildern Lucas Cranachs ist Heinrich größer und schlanker als seine schwergewichtigen ernestinischen Vettern von Friedrich dem Weisen bis zu Johann Friedrich. Nach der damals üblichen Geste von Fürsten liegt die Hand von Heinrich auf dem Schwertgriff auf den Bildern von Cranach. Mit dem Handeln Heinrichs hat die Geste nichts zu tun. Er hatte wenig vom praktisch kriegerischen Sinn seines Vaters geerbt. Heinrichs Körpergröße erbte der Enkel Georg Friedrich in Bayreuth, der über zwei Meter erreichte. Luther meinte 1539 schließlich nach der Regierungsübernahme in Dresden über den alten Heinrich: Ach, der gute Fürst hat nun ein groß Land, aber er ist alt, schwach und ungeschickt dazu . 1Elisabeth von Rochlitz sagte noch schärfer: Wer S. L. zum regiment tuchtig gewest, S. L. vater hette im nicht das narrenteil also verordnet . 2
Katharina konnte mit den 20000 Gulden Jahreseinkommen in Freiberg nicht viel erreichen, denn sie trat gern in höfischer Pracht auf. Sogar noch als Witwe von 62 Jahren scheute sie eine Reise zum kaiserlichen Hof nach Brüssel und einen Empfang bei Karl V. nicht. Sie suchte Bedeutung durch die Ehen ihrer Kinder zu gewinnen.
Moritz wurde am 21. März 1521 in Freiberg im mittelalterlichen Schloss Freudenstein geboren. Er war der erste Sohn des so unterschiedlichen Fürstenpaares. Heinrich war mit rund 48 Jahren für Moritz ein alter Vater. Die meisten Menschen starben, auch wenn sie in gesicherten Verhältnissen lebten, damals zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr. Der Kardinal und Erzbischof Albrecht von Mainz und Magdeburg wurde neben Herzog Georg dem Bärtigen Pate von Moritz, weil er Herzog Heinrich das für einen ersten Sohn versprochen hatte. Dieser wurde deshalb nicht Wilhelm oder Friedrich, Johann oder Heinrich genannt, sondern auf den für die Wettiner ungewöhnlichen Namen Moritz nach dem Heiligen des Erzbistums Magdeburg getauft. 3Für den Sohn der unbedeutenden Freiberger Nebenlinie der Wettiner war es gut, den mächtigsten deutschen Kirchenfürsten als künftigen Helfer zu haben. Vielleicht stand dahinter die vage Hoffnung, dass Moritz dessen Nachfolger im Erzbistum Magdeburg werden könne.
Die älteste persönliche Nachricht von Moritz ist das Kinderbild, das Lucas Cranach der Ältere im Jahre 1526 von ihm gemalt hat. Es zeigt einen schmalen Knaben im groß geratenen Festtagsgewand. Seine rötlich blonden Locken sind sicher für das Malen gelegt worden. Sie lassen eine hohe Stirn frei. So gelockt wurden damals Engel und Heilige, Fürsten und Adlige dargestellt. Sein etwas spitzes Kinn stammt wohl von der Mutter. Als Erwachsener hat Moritz sein eher schmales Gesicht mit einem großen Bart eindrücklicher gemacht. Die Hände im Kinderbild halten sich am Gürtel, denn er würde als Sohn des Freiberger Ländchens gewiss keine wesentlichen Attribute der Macht zu halten haben.
Es heißt, dass Moritz als Kind weniger Anlage zum kriegerischen Beruf gezeigt hätte als sein jüngerer Bruder Severin, der kecker (mutiger) in Zweikämpfen mit ihm gewesen sei. 4Noch das Moritzmonument von 1553/54 an der Brühlschen Terrasse in Dresden, sein Ehebild zusammen mit seiner Gemahlin Agnes von Lucas Cranach d. J. und das Standbild auf dem Grabmal im Freiberger Dom zeigen seinen Körper nicht korpulent und das Gesicht eher schmal. Er hat wohl nicht die Anlagen der Ernestiner zum Körpergewicht besessen. Bei seiner Trauerfeier 1553 war ein junger Mann mit der Rüstung des Kurfürsten Moritz bekleidet. Noch 1550 nennt ihn Philipp von Hessen „Mormau“ 5, was eher ein kindlicher Spitzname als ein wirklicher Deckname ist, wie er nötig war. Vielleicht war der Name auch „Morman“ (d. h. Moritzchen). Moritz hat auch von Größe und Gewicht her solche Benennungen nicht ablegen können. Er hatte wahrscheinlich die Statur seiner Mutter geerbt, die es drahtig und zäh auf das für ihre Zeit hohe Alter von 74 Jahren brachte.
Moritz scheint in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit vom Willen und Verstand bestimmt gewesen zu sein. Wo deren harte Gründe fehlten, weil sie das Ziel erreicht hatten, verlangte der Körper sein Recht. Mehrfach rufen Krankheiten oder große körperliche und seelische Anstrengungen lange andauernde Erschöpfungen hervor, so nachdem er seine Ehe durchgesetzt hatte im Mai 1541, nach einer Durchfallerkrankung im September 1545 und nach dem Sommer und Herbst 1552 auf der Rückreise vom Feldzug nach Ungarn, als ihn Schwäche handlungsunfähig machte.
Erziehung – die Mutter weiß, was sie will
In Freiberg bestand neben der Knaben- und Mädchenschule eine selbstbewusste, eigenständige Lateinschule, die vom Humanismus geprägt war. In den dreißiger Jahren war Johann Rivius dort Rektor. Er wurde später durch Moritz Rektor der Meißner Fürstenschule. Die Ausgebildeten einer besonderen Freiberger Stuhlschreiber- und Rechenschule wurden für die Verwaltung der Bergwerke gebraucht. Da man nach Einführung der Reformation 1538 keine Winkelschule dulden wollte, in denen aus privater Initiative Schreiben und Lesen unterrichtet wurde, muss es sie vorher gegeben haben. Die Kunst des Lesens und Schreibens war demnach unter den Bürgern der Bergstadt weit verbreitet. Der Hofstaat des Herzogs Heinrich stand dahinter nicht zurück.
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