„Endlich kann ich meine Spielschulden bezahlen“, rief er Siobhan freudig entgegen und legte ihr die Bleistücke in die Hände. Sie hatte in einer Tornische auf ihn gewartet. Dort schlief er für gewöhnlich. Tatsächlich war die Hütte mit dem großen Tor einst seine gewesen. Darin hatte sich die Schmiede befunden. Nun hieß es in den Augen des Schmieds, wieder getrennte Wege zu gehen, aber Siobhan machte keine Anstalten, sich zu verabschieden.
„Ich möchte dir einen Handel vorschlagen“, sagte sie betont geziert und hoffte ihn bei seiner Männer-ehre zu packen. Claudius schaute sie aus übermüdeten Augen an, war aber ganz Ohr.
„Du wirst mir zwei kleine Gegenstände in Blei gießen und ich werde dir dafür dein schmutziges Hemd waschen und es purpur färben. Wenn du damit durch die Lande ziehst, werden sich die Leute für dich interessieren und du kannst ihnen mit deinen Spielchen das Geld aus der Tasche ziehen.“
Sie wusste, dass sie ihm mit ihrem Vorschlag keinen Gefallen tat, aber die Sorge um Hannibals Ring und Kafurs geschnitzte Figur ließ ihr keine Wahl.
Claudius reagierte zurückhaltend. „Aber dazu müssten wir das Tor aufbrechen. Die Nachbarn werden uns erschlagen, wenn sie uns erwischen.“
„Ich bin schlank genug, um durch den Kamin zu schlüpfen. Hilf mir, aufs Dach zu klettern.“
Claudius zögerte einen Moment, als müsste er erst begreifen, ob das überhaupt klappen konnte. Schließlich half er ihr hoch aufs Dach. Sie rutschte durch den Abzug und fiel auf die ehemalige Feuerstelle, in der sonst das Eisen glühte und dann geformt wurde. Sie strich sich den Schmutz von den Kleidern und öffnete das Tor. Claudius trat ein und machte sich sogleich an die Arbeit, ein Feuer zu entzünden. Siobhan sah ein Fass mit Wasser, in dem das glühende Eisen abgekühlt wurde, und bat um sein Hemd. In einem Eimer wusch sie es und tunkte es dann in die angerührte Färbung.
Die Bleistücke wurden in einem Tiegel erhitzt und nach geraumer Zeit schmolz auch der letzte Rest.
„Hier, nimm!“, forderte Claudius Siobhan auf. „Das ist Flachs. Wickel die Gegenstände darin ein, dann kannst du sie später leichter vom Blei lösen. Und dann reich mir die Gussformen dort drüben.“
Siobhan schaute zu, wie Claudius den Ring und die Figur in die Formen legte und mit flüssigem Blei bis an den Rand vollgoss. Dann tauchte er beide Formen in kaltes Wasser. Kurze Zeit später schlug er die Bleiklumpen aus den Formen heraus und kratzte mit einem Messer die rauen Stellen glatt. Sein purpurnes Hemd tropfte noch, aber er betrachtete es mit wonniger Vorfreude. Sie tauschten ihre Sachen und gingen ihrer Wege.
Siobhan befühlte die noch warmen Bleiklumpen, die etwa so groß wie ein Hühnerei waren und schwer in ihrer Tasche wogen. Carmelita lag schlafend am vereinbarten Treffpunkt. Sie sollte nichts von der Aktion wissen. Siobhan weckte sie am frühen Morgen und erklärte ihr gleich, dass ihr der Ring am Finger fehlte, weil sie ihn gegen ein üppiges Mahl getauscht habe. Carmelita sah sie noch schlaftrunken an, aber kniff ein Auge zu, als sie die Geschichte sacken ließ.
„Lügst du mich an? Niemand würde dir für den billigen Ring etwas zu Essen geben.“ Carmelita hatte recht. Elfenbein kannte man dort nicht. Bronze oder Gold wären beachtet worden.
Siobhan schwieg und wurde rot im Gesicht. Lügen war nicht ihre Stärke. Sie schämte sich, aber hielt nun Schweigen für die beste Lösung.
Nach sieben Tagen erreichten sie einen Hafen an Britanniens Küste. Dort bestiegen sie ein römisches Schiff, das bei guter Wetterlage nur in wenigen Tagen die Rheinmündung erreichen sollte, wo sich linksseitig sichere Stützpunkte der Römer befanden.
Ein junger römischer Signifer hatte sie im Hafen auf ihre purpurnen Kleider angesprochen und schnell stellte sich heraus, dass sie das gleiche Ziel hatten. An Bord des Schiffes gesellte sich der Soldat zu den beiden Frauen. Es waren außer der Besatzung nur Handelsreisende anwesend und die kannten nur ein Thema: Waren und Preise.
„Mein Name ist Aurelius“, verkündete der Jüngling sehr zu Carmelitas Gefallen, denn er hatte sich ihr zugewandt und zeigte Siobhan die kalte Schulter. „Wir haben Glück mit dem Wetter. Ich gebe es nicht gerne zu, aber ich werde leicht seekrank und hasse diese Überfahrt. Es wird das letzte Mal sein. Publius Quinctilius Varus wurde vom Cheruskerfürsten Arminius verheerend geschlagen. Rom hat angeordnet, den Vormarsch rechtsseitig des Rheins zu drosseln. Wahrscheinlich werden sie ganz abziehen. In Gallien herrscht auch noch keine Ruhe. Zweieinhalb Legionen wurden niedergemetzelt, unter ihnen viele Feldzeichenträger wie ich es bin. Mich hat man abkommandiert, die Ausbildung neuer Fahnenträger in Germanien zu organisieren. Das liegt mir mehr, als im langweiligen Britannien Wache schieben zu müssen, was meines Ranges sowieso unwürdig ist.“
Das war Siobhans Einsatz.
„Ach, wir sind zu stolz für niedrige Arbeiten, wollen hoch hinaus. Was schwebt dem jungen Römer denn so vor? Erst Kohortenführer und dann eine Legion ins Feld schicken, aber über ein bisschen Geschaukel auf einem Schiff meckern. Bescheidenheit, junger Mann, ist eine oft vernachlässigte Tugend.“
Carmelita blickte grimmig, als sich Aurelius zu Siobhan umdrehte. Dass sich eine Frau erdreistete, ihn zu maßregeln, warf zornige Falten in sein Gesicht.
„Hüte deine Zunge, Mädchen. Auf diesem Schiff bin ich der Ranghöchste und du wirst mir gehorchen.“
Carmelita mischte sich ein.
„Lass sie. Ihr loses Mundwerk ist nicht der Rede wert. Plaudern wir über deine Karriere. Als Ausbilder kommst du bestimmt viel herum und lernst große Feldherren kennen.“ Carmelita warf Siobhan einen stechenden Blick zu und fuhr fort. „Vielleicht möchtest du mit einem purpurnen Gewand Aufsehen erregen und dich bei den Mächtigen hervortun. Ich könnte das für dich arrangieren.“
Siobhan trat mit stampfendem Schritt zur Seite und bäumte sich vor Carmelita auf. Ihr spontan brüskes Auftreten irritierte Aurelius. Carmelita wich rücklings an die Bordwand. Siobhan ließ sie nicht aus den Augen und feuerte einige Salven böser Flüche auf sie ab. Seit jenem Tag, an dem der Ring angeblich gegen ein gutes Essen eingetauscht worden war und Carmelita Siobhan einer Lüge bezichtigt hatte, war das Verhältnis der beiden Frauen getrübt. Jetzt hatte Siobhan Carmelita übel genommen, über ihren Farbstoff verfügen zu wollen.
„Einen Mann, den du dir kaufen kannst, den verdienst du auch, aber mein Purpur bekommst du nicht.“
Plötzlich schoss Totenblässe in Siobhans Gesicht. Wie zu Eis erstarrt stand sie noch in Angriffspose da, aber der Flügelschlag einer Fliege hätte sie zum Umfallen bewegen können. Ihr Blick sprach Bände des Entsetzens. Das Chaos in ihrem schockstarren Körper fand seine Sprache:
„Bitte nicht! Ich will dir all mein Purpur geben“, jammerte sie kläglich und bat mit einer unterwürfigen Verbeugung um Erhörung ihrer Bitte. Ihre Augen flehten, aber Carmelita badete unbeeindruckt in ihrer Macht. Sie war im Besitz einer rundlichen Form aus Blei, die sie zwischen Daumen und Finger über Bord hielt.
„Wusste ich doch, dass du mich belogen hast. Ist es der Ring, den du hier drin eingeschmolzen hast? Ist er die Quelle deines Purpurs? Verleiht er dir die Gabe, immer neues Purpur zu machen? Du wolltest nicht, dass ich ihn bekomme und nun habe ich dich mit Haut und Haar und den Ring dazu.“
Carmelita lachte laut auf, krächzte wie eine heisere Krähe und verlor einen Moment die Kontrolle. Aurelius war ein Krieger, der genau wusste, wann ein Gegner am besten zu schlagen war: im Moment der Ablenkung. Einer Kobra gleich schnellte sein Arm vor und ergriff die bleierne Form, entriss sie Carmelitas Hand und reichte sie weiter an Siobhan, die sie in ihrem Gewand verschwinden ließ, nicht ohne zu prüfen, ob das zweite Bleistück auch dort war. Siobhan verstand sofort, dass sie auf der Überfahrt ihr Geheimnis nur schützen konnte, wenn sie Aurelius für sich gewinnen würde. Sie machte ihm schöne Augen und fasste seine Hand.
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