„Nee, war leicht! Ich habe doch früher mal im Knast für die Knackis Bildhauerkurse gegeben. Einige Typen, die jetzt wieder auf freiem Fuß sind, haben mir einen Gefallen getan“, erklärte Heinz. „Einige der Jungs arbeiten auf Schrottplätzen. Da kann man schon mal was organisieren ...“
„Wofür doch edle Taten gut sein können ...“ Bernd schlug Heinz begeistert auf die Schulter und verschlang den letzten Bissen von dem Fisch.
„Und weißt du was?“
„Nee.“
Heinz palaverte munter weiter: „Ein guter Freund von mir war hier auf der Insel und hat am Südstrand in einer Ferienwohnung gewohnt. Er hat mir erzählt, dass er auf einem Spaziergang eine alte, unbewohnte Villa mit Swimmingpool entdeckt hat. Er hat mir Fotos und Videos gezeigt. Die Villa ist völlig zugewachsen und nicht von der Straße oder vom Strand einsehbar. Ist das ein Brüller?“
„Das ist ein Ding.“
„Nun mach den Mund wieder zu. Schau mal.“ Heinz zeigte auf einen digitalen Inverter Stromerzeuger.
„Wofür brauchen wir den?“
„Die Villa ist unbewohnt, ohne Wasser und Strom. Mit diesem speziellen Stromerzeuger ist es unter anderem auch möglich, hochempfindliche Geräte wie unsere Laptops zu betreiben. Er ist besonders leise, was wichtig ist. Zum Aufladen der Handys benutzen wir Solar-Powerbanks. Trinkwasser müssen wir natürlich kaufen. Auf das Duschen verzichten wir, das ist zu gefährlich. Wir waschen uns auf den Behindertentoiletten am Hafen. Ich weiß, wo welche sind. Die kann man separat begehen. Wir müssen gut aufpassen, dass uns niemand erkennt. Kapiert?“
„Okay! Hast du auch an Lichtquellen und an eine Heizmöglichkeit gedacht?“
„Na klar, Kerzen, zwei Campingleuchten, die wir mit einer Gaskartusche betreiben. Eine starke, kleine Katalytheizung, die auch gern von Anglern benutzt wird. Eine zusätzliche 5-kg-Gasflasche. Damit kommen wir zwei bis drei Tage aus. Dann sollten wir das Ganze erledigt haben und verschwinden. Wechseln können wir die Flaschen an verschiedenen Stellen auf der Insel. Eine große 11-kg-Gasflasche habe ich hier noch im Bus.“
„Hast du auch Schlafsäcke besorgt?“
„Na klar, und Isomatten.“
„Gut.“
„Bevor es gleich ganz dunkel ist, sollten wir jetzt die Villa suchen.“ Heinz holte sein Laptop hervor. Er zeigte Bernd auf Google Maps, wo sich die Villa befand.
„Den Audi lassen wir am Hafen, dort steht er erst einmal gut. Wir fahren mit dem Bus. Die beiden Fahrräder benutzen wir zum Pendeln.“
„Okay, dann los!“
– Föhr, Utersum; Donnerstag –
Karla hatte herrlich geschlafen. Beim Frühstück wollte sie die Föhrer Nachrichten lesen.
‚Ich frage Frau Gedsen, ob sie eine Zeitung hat.‘
Sie öffnete die Tür ihres Apartments und sah den Inselboten und frische Brötchen auf der Fußmatte liegen.
‚Stine Gedsen kann hellsehen.‘ Karla holte die Zeitung rein, die sie ausgiebig studierte.
Darin stand ein Bericht über die Vernissage im Museum und eine Ankündigung der Ausstellungseröffnung mit tollen Fotos.Die Sonne äugte durch die Wolken. Die Kommissarin öffnete die Terrassentür. Ein kalter Wind fegte über die Insel und in ihr Wohnzimmer. Entspannt und glücklich sah sie dem neuen Tag entgegen.
Sie dachte an Inge. ‚Es ist verrückt. Ich habe sie lange nicht mehr gesehen und jetzt, wo ich sie endlich wieder getroffen habe, ist sie schwer erkrankt. Wenn Inge es möchte, werde ich mit ihr einiges unternehmen.‘ Ihr fiel ein, dass Inge doch nach ihrer Reha bei ihr in der Ferienwohnung eine Zeit lang bleiben könnte. Platz war genug da. ‚Ich werde sie fragen, ob sie Lust und Zeit dazu hat.‘
Karla freute sich auf die Vernissage und räumte den Tisch ab. Sie schaute nach draußen. Eine kleine Katze saß vor der Tür. Karla hob sie auf und streichelte sie.
„Du süßes Ding. Nett, dass du mich besuchst.“
Sie setzte sie auf den Boden und dachte: ‚Dich nenne ich Margaret! Margaret Rutherford hätte jetzt ihren Spaß.‘
Karla, professionelle Mordermittlerin, liebte die Krimikultserie Miss Marple von Agatha Christie. Auch wenn Miss Marple in den Filmen eine Hobbydetektivin darstellte. Sie fand, dass Margaret Rutherford eine hervorragende Besetzung für die Rolle war.
Karla hatte gelesen, dass Agatha Christie selbst dazu eine ganz andere Meinung hatte. Ihre Wunschdarstellerin sollte nach ihren Vorstellungen völlig anders aussehen: eine kultivierte, blasshäutige, hochgewachsene und zerbrechlich wirkende ältere Dame aus der oberen Mittelschicht. Später freundeten sich die beiden Damen sogar an und Agatha Christie akzeptierte und liebte Rutherford in ihrer Rolle.
Sie schreckte auf, als in diesem Augenblick die Titelmusik von Miss Marple aus ihrem Handy ertönte.
„Siehse“, sagte Karla zu Margaret, „sie hätte ihren Spaß“ und nahm den Anruf entgegen.
„Hallo Mama.“
Karla war glücklich, die vertraute Stimme ihrer Tochter Luisa zu hören: „Luisa, mein Schatz, wie geht es dir?“
„Alles schick, Mama und bei dir? Machst du es dir nett?“
„Klar, ich habe herrlich geschlafen und heute Nachmittag besuche ich mit meiner Freundin Inge eine Vernissage und ich freue mich aufs Malen.“
„Das hört sich gut an“, freute sich Luisa. „Ich hoffe nur, dass du nicht irgendeinen Blödsinn machst und deine Kollegen in Bochum in Ruhe lässt. Du sollst dich erholen und an dich denken.“
Karla nahm Margaret wieder auf den Schoß, streichelte sie und antwortete ihrer Tochter: „Ich? Was soll ich schon anstellen? Meine Kollegen kommen schon klar, mach dir um mich mal keine Sorgen. Hast du was von deinem herzallerliebsten Bruder, gehört?“
„Nee, Arne arbeitet, ist viel unterwegs. Was weiß ich. Sein Handy ist entweder dauerhaft auf lautlos gestellt oder abgeschaltet.“
„Ach, lass ihn in Ruhe. Er meldet sich, wenn er Zeit hat.“
„Da kannst du dir einen Wolf warten“, meinte Luisa. „Du kennst ihn doch.“
„Na, dramatisiere es nicht zu sehr. Er lebt wie du sein Leben. Okay, ich will jetzt an den Strand und mich durchpusten lassen. Bis die Tage, Küssken, mein Schatz.“
„Küssken, Mama, bis denne.“
Karla legte ihr Smartphone zur Seite. Sie spürte, wie es wieder in ihren Fingern juckte.
‚Soll ich Rolf anrufen?‘, überlegte sie.
Sie wollte zu gerne wissen, wie weit sie schon mit den Ermittlungen vorangekommen waren.
Das Kätzchen hielt sie immer noch auf dem Arm, stand auf und lief auf die Terrasse.
„Nein, ich lasse es! Die Jungs und Mädels in Bochum schaffen das locker ohne mich. Ich muss jetzt endlich mal abschalten.“
Sie setzte Margaret auf den Boden, die sie noch mal kurz ansah, über die Wiese rannte und im Gebüsch verschwand.
Dick eingepackt, den Rucksack auf dem Rücken, trottete Karla los zum Strand. Sie lief in Richtung Goting. Die Rehaklinik Utersum lag auf dem Weg. Der gewaltige Bau trohnte direkt hinterm Deich. Aus der Ferne sah sie eine Gruppe, die am Strand gymnastische Übungen machte. Als sie näherkam, erkannte sie Inge, die konzentriert mitturnte.
„Huuuhuuu!“, rief sie.
Inge winkte zurück und die anderen Teilnehmer ebenfalls.
Inge rief: „Geh schon vor und warte in der Cafeteria auf mich. Ich komme gleich nach.“
Eigentlich wollte Karla noch weiter am Strand entlanglaufen, aber sie tat Inge gern den Gefallen.
Um den Hintereingang der Klinik zu erreichen, musste sie die Deichkrone erklimmen.
Der Wind fegte ihr ins Gesicht, er hatte gedreht und kam aus einer anderen Richtung. Sie schmeckte das Salz in der Luft und die Sandkörner pieksten auf der Haut. Karla tapste durch den Sand, den der Wind aufwirbelte. Die Mütze zog sie tiefer über die Ohren, der steife Brise machte ihr nichts aus. Das gehörte zum Föhrer Inselflair.
Читать дальше