Wir wussten nicht, dass John Adams unten im Keller war und geschlafen hatte. Er kam herauf, von unten bis oben in Gips, sah uns und fing an zu zetern: „Was zum Teufel geht hier ab?“
Nachdem wir herausgefunden hatten, dass die Stadt das Gebäude abreißen wollte, haben wir uns gesagt: „Ach, scheiß drauf“, und das Haus regelrecht zusammengeschossen.
Aber Ronny blieb bis zum bitteren Ende.
Ron Asheton: Nachdem wir bei Elektra rausgeflogen waren, kam Danny nach Ann Arbor zurück, weil er all diese schrecklichen Junkiegeschichten gehört hatte. Es war in meinem Apartment, als Danny John Adams gefeuert hat. Wir haben zu all dem nichts gesagt, weil wir ihn sehr gern hatten. Wir wussten allerdings nicht, dass John Adams im ganzen Land mit Dope dealte. Ich hätte viel zu viel Schiss gehabt, um mit ihm zu fliegen. Und kurz nachdem er John rausgeschmissen hatte, sagte Danny, dass er am Ende wäre und nicht mehr weitermachen könnte.
Danny Fields: Es wurde unhaltbar. Ich hatte die Sache nicht mehr im Griff. Sie waren stoned, ich wahrscheinlich auch, und ich sagte bloß: „Ich kann so nicht weitermachen.“
Mir wuchs das alles über den Kopf. Ich brauchte einen anständigen Job. Also fing ich an, für das Magazin 16 zu arbeiten.
TEIL ZWEI: THE LIPSTICK KILLERS – 1971–1974
KAPITEL 9: PERSONALITY CRISIS
Penny Arcade: Meine Eltern dachten, ich wäre ein Kind des Teufels. Als ich ungefähr siebzehn war, bin ich von zuhause abgehauen. Meine Mutter hatte Anzeige gegen mich erstattet, und ich habe in meiner Heimatstadt New Britain, Connecticut, eine Nacht im Knast verbracht. Meine Mutter kam am nächsten Morgen und hat mich aus dem Knast abgeholt, und als ich mit meiner Mutter nachhause gelaufen bin, bin ich einfach immer weitergelaufen. Nachdem ich nach Provincetown und Boston gegangen bin, bin ich schließlich im East Village hängen geblieben.
Das war in der Ära der sich verlagernden Fixertreffs, in denen man vorübergehend pennen konnte. Die Junkiekultur erstreckte sich damals vom Chelsea Hotel bis zum Hotel Earle und vom Henry Hudson bis zum Seville. Irgendjemand ging in ein Hotel, mietete eine Suite, und dann sind fünfzehn Leute dort eingezogen. Ständig versuchte irgendjemand, dich zu vögeln, dabei war ich damals nur ein Kind, das einen Platz zum Pennen gesucht hat.
Also begann ich in dieser Pizzeria an der Ecke Siebte Straße und Zweite Avenue rumzuhängen, wo ich diese Speedfreaks kennen lernte und auch der „AClique“ vorgestellt wurde, was die Abkürzung für „AmphetaminClique“ war. Das war eine ziemlich wilde Szene, keine Hippies, sondern ein Haufen krimineller, homosexueller, Drogen konsumierender, nach Spiritualität suchender künstlerischer Männer. Alles ziemliche Spinner. Trickbetrüger, Fassadenkletterer. Legendäre Charaktere, die über Jahre ihr Ding durchgezogen haben. Und es sah so aus, als sei ich der Neuzugang in dieser langen Geschichte.
BrooklynFrankie, ShortHaired Sammy und Black Frank waren die ACliqueMitglieder mit Straßenniveau. Dann gab es da noch die höheren Ränge, Leute wie Ruby Lynn Rainer, den legendären Amphetamindealer Ondine, Velvet Underground und all die anderen Leute aus Andy Warhols Factory. Damals vermischte sich die Welt der Kunst mit der Welt der Drogen.
Zuerst habe ich nur mit der AClique rumgehangen, ohne Speed zu spritzen, weil ich ohnehin mühelos drei Tage ohne Schlaf auskommen konnte, aber nach einigen Monaten wollten sie, dass ich genauso high werde wie sie. Also fing ich an, Speed zu spritzen. Ich fand es wunderbar. Das war meine Droge. Ich kam ganz gut damit klar und mochte die Leute, die Speed nahmen.
Dann gab mir eines Tages, als ich mich in einem Coffeeshop in der Greenwich Avenue ein wenig runterbringen wollte, jemand einen Zettel, auf dem stand: „An das Mädchen im grünen Kleid. Wann hast du Feierabend?“ Ich schaute mir den Zettel an und fragte mich: „Was soll das denn?“ Der Zettel kam von Jackie Curtis, der an einem anderen Tisch saß und eine Einkaufstüte mit seinen Theaterstücken und Zeitungsausschnitten und Gott weiß was noch dabeihatte.
Jackie kam an meinen Tisch, weil er mich kennen lernen wollte. Wir wurden sofort Freunde und hingen den Rest des Tages gemeinsam rum. Er war damals noch ein Junge; er zog sich immer noch an wie ein Junge, und er nahm auch gern Speed, aber er spritzte es nicht. Er nahm nur Pillen. Ab da verbrachte ich viel Zeit mit Jackie, und kurze Zeit später entdeckte ich John Vaccaros Playhouse of the Ridiculous Theater.
Leee Childers: Dieses skandalöse Undergroundtheater, das John Vaccaro, Charles Ludlam und Tony Ingrassia in den Sechzigerund Siebzigerjahren betrieben, wurde als Merkwürdiges Theater bekannt, was eine ähnliche Bezeichnung war wie Absurdes Theater.JohnVaccaro und Charles Ludlam dachten beide,dass The Playhouse of the Theater of the Ridiculous ihr Markenzeichen sei,aber es war zu einem Genre geworden, zu einer Theatergattung – zum Merkwürdigen Theater.
Meiner Meinung nach war John Vaccaro allerdings wichtiger als Charles Ludlam, denn Ludlam orientierte sich am traditionellen Theater und setzte oft Männer in Frauenkleidern ein. Die Leute fühlten sich sehr wohl bei ihm. Jeder, der sich ein Theaterstück von Charles ansehen wollte, ging in der Absicht dahin, sich eine wirklich lustige, respektlose SlapstickTransvestitenshow anzuschauen. Man fühlte sich nie peinlich berührt.
Bei John Vaccaro hingegen taten sich Abgründe auf.Sehr,sehr tiefe Abgründe. John Vaccaro war gefährlich. Er konnte auf den unterschiedlichsten Ebenen extrem peinlich sein. In seinen Stücken kamen ConterganBabys vor und siamesische Drillinge, die am Arschloch zusammengewachsen waren. Ein Schauspieler hatte einen Riesenpimmel aus Pappmaché aus dem Hosenschlitz hängen, der ihm bis an die Knie ging. Außerdem hatte er seine Verdauung nicht im Griff, und ihm lief ständig die Scheiße an seinen Beinen hinunter. Die Zuschauer liebten das. Die Leute liebten diese Art Theater der visuellen Konfrontation. Und John Vaccaro benutzte tonnenweise Glitzerzeug. Das war sein Markenzeichen. Jeder trug dieses Glitzerzeug. Sein ganzes Ensemble war ständig mit diesem Glitzerzeug überzogen.
Die Leute haben lange Zeit dieses Glitzerzeug getragen, und die Transvestiten trugen es auf der Straße, aber ich glaube, dass dieses Glitzerzeug erst dann richtig in Mode kam, als John Vaccaro auf einem Einkaufsbummel diesen kleinen Laden in Chinatown entdeckte, der all sein Glitzerzeug ausverkaufte. Er kaufte alles auf – gigantische Einkaufstüten voll von diesem Glitzerzeug in allen möglichen Farben.
John schleppte die Tüten ins Theater und ermunterte jeden, davon so viel wie möglich und ganz egal wo zu benutzen. Natürlich waren ihre Gesichter mit diesem Glitzerkram zugekleistert und die Haare auch. Die Schauspieler, die im Rentier vom Mond mitspielten, hatten ihre Körper von oben bis unten mit grünem Glitzerzeug angemalt. Bei Baby Betty, die ein ConterganBaby spielte, kam das Glitzerzeug sogar aus der Möse raus – es ist also John Vaccaro zuzuschreiben, dass dieses Glitzerzeug zu einem Synonym für Peinlichkeit wurde.
Die ganze Bühne war mit dieser Glitzerkacke bedeckt. Das lag natürlich vor allem daran, dass die mit diesem Glitzerkram beschmierten Schauspieler ständig in Bewegung waren und tanzten und einander anrempelten und von irgendwelchen Sachen runtersprangen, sodass das Zeug überall in der Gegend rumflog. Die gesamte Atmosphäre auf der Bühne war ständig mit kleinen fliegenden Glitzerpartikeln erfüllt, was durch die Bühnenbeleuchtung sehr gut zur Geltung kam.
John Vaccaro: Ich habe nie an so etwas wie eine „Glitzerbewegung“ gedacht. Ich hatte dieses Glitzerzeug bei meinen Theateraufführungen bereits seit Mitte der Fünfzigerjahre benutzt. Aber im Grunde war ich nie an Manieriertheiten interessiert. Ich war auch nie daran interessiert, Homosexualität salonfähig zu machen. Meine Empfindungen haben mit Manieriertheit nicht das Geringste zu tun. Es gab zwei Kategorien: die Homosexuellen und die Theaterleute. Einige von diesen Homosexuellen machten etwas, das sie für Theater hielten – warum sollte man nicht in einen Nachtclub gehen und einen Travestieakt wie Ein Käfig voller Narren aufführen? Genau das war es. Aber es war kein Theater. Das hatte mit Theater überhaupt nichts zu tun.
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