Wie zu erwarten, verkaufte sich das Album nicht besonders gut – es dauerte nicht lange, und das Label ließ Attila wieder fallen. John zufolge wurden über diese Sache nicht allzu viele Worte verloren: „Für die Verträge war Irwin verantwortlich, wir waren nur die dussligen Musiker, die im Keller vom Tapetenladen meiner Eltern probten.“
Rückblickend sind sich Jon und Billy heute einig, dass Attila „scheiße“ war. Jon gibt freimütig zu: „Wir waren im Studio scheiße, und bei den sechs oder sieben Gigs, die wir spielten, waren wir auch scheiße. Aber die enge Verbindung, die in diesen turbulenten Zeiten zwischen uns entstand, sorgte dafür, dass unsere Freundschaft auch starke Belastungen überdauerte.“
Tatsächlich wurde das Verhältnis der beiden bald auf eine besonders harte Probe gestellt, und der Grund dafür war eine Frau: Harry Webers Schwester Elizabeth. Kurz bevor Billy zu den Hassles gestoßen war, hatten Jon und Elizabeth überstürzt und nach nur kurzer Bekanntschaft geheiratet, als Elizabeth schwanger wurde. (Ihr Sohn Sean ist als Neunjähriger auf dem Cover des 1976 erschienenen Album Turnstiles rechts hinter Billy neben zahlreichen anderen zusammengedrängten Komparsen zu sehen.)
Heute sprechen die beiden Männer recht entspannt über das kurzzeitige Dreiecksverhältnis. Insider behaupten sogar, dass sie sich selbst heute noch über ihre Erfahrungen mit der gemeinsamen Exfrau austauschen („Sag bloß, du hast das auch durchmachen müssen?“). Aber als Jons Ehe scheiterte und Elizabeth sich mit Billy einließ, und auch in den turbulenten Jahren danach, gestaltete sich die Beziehung der beiden Freunde doch sehr schmerzhaft und emotional.
Jon erinnert sich daran, wie sich das alles entwickelte. „Wir waren ja Hippies“, berichtet er, „und zwar so richtig. 1970 zogen wir gemeinsam in ein Haus in Dix Hills. Es war ganz und gar aus Stein und Zement, deswegen nannten wir es The Rock House. Wir, das waren ich, Elizabeth und Billy.“ Zuvor hatten die drei in den Fairhaven Apartments ganz in der Nähe von Billys alter Adresse in Hicksville gewohnt – Jon und Elizabeth in einer Wohnung, und Billy gegenüber.
Jon war damals viel unterwegs, um in den Clubs von Long Island nach Auftrittsmöglichkeiten zu suchen, und Billy übernahm Gelegenheitsjobs. „Was dann geschah, war ganz einfach“, sagt Jon. „Er verliebte sich schlicht und ergreifend in meine Frau. Als ich dahinterkam, war es mit unserer Freundschaft vorbei.“ Zumindest für eine Weile; auf lange Sicht überstand das Band zwischen Jon und Billy diese Krise. Dass Billy sich der Faszination Elizabeths so wenig erwehren konnte, lag vor allem daran, dass sie so schwer zu fassen war: „Sie war – anders. Sie war überhaupt nicht wie die anderen Mädchen, die ich damals kannte, und die auf der Schule Hauswirtschaft und Kochen gelernt hatten. Sie war eine sehr kluge Frau und hatte keine Angst, das auch zu zeigen. Wahrscheinlich wirkte sie deswegen ein bisschen exotisch. Sie war intelligent und sagte frei heraus ihre Meinung, aber sie konnte auch sehr verführerisch sein. Eher wie eine Europäerin, nicht wie eine typisch amerikanische Frau.“
Die Situation spitzte sich zu, als Billy und Jon einen der seltenen Attila-Auftritte absolvierten – zwei Gigs, beide ausverkauft, in einem Club in Amityville. „Wir spielten den ersten Set“, berichtet Jon, „und wir kamen richtig gut an. Billy schwitzte nie, aber wenn ich in die Garderobe kam, war ich klitschnass. Ich benutzte einen Staubsauger von Electrolux, um mir die Haare zu trocknen, weil damals noch kaum jemand einen Fön hatte. Und als ich da stand und diesen riesigen Staubsauger hochhielt, guckte ich aus dem Fenster, und draußen standen Billy und Elizabeth und redeten. Dann sah ich, wie Billy mit ihr ins Auto stieg und die beiden wegfuhren. Aber wir hatten ja noch eine Show vor uns. Ich zog mich so schnell an, wie es ging, sprang in meinen Wagen, und mir war klar, dass sie zum Rock House zurückgefahren sein würden … und da waren sie auch.“
Ob Jons Wut jetzt vor allem in verspäteter Eifersucht und Abneigung begründet lag, oder teilweise auch damit zu tun hatte, dass sein Bandkumpel einen Gig sausen ließ, den er organisiert hatte – er reagierte jedenfalls mit blindem Zorn.
„Billy saß am Klavier und spielte, Elizabeth war dort und ihre Schwester ebenfalls. Als ich reinkam, war ich außer mir. Ich schubste Elizabeths jüngere Schwester Josephine durch das Fliegengitter vor der Eingangstür; sie fiel direkt hindurch und prallte gegen die Glasscheibe dahinter, die kaputtging. Dann rannte Elizabeth nach draußen, und ich haute Billy eine rein.“
Billy war tatsächlich völlig überrascht. „Ich erinnere mich, dass ich mich zu Jon umdrehte – und einen richtigen Schwinger abbekam. Mir lief sofort das Blut aus der Nase. Es war ein Schock: Zwar hatte ich mir während meiner Zeit als Boxer jede Menge Schläge eingefangen, doch das war einer, den ich nicht hatte kommen sehen. Aber ehrlich gesagt, ich hatte ihn verdient.“
Offenbar hatte Billy geglaubt, dass Elizabeth bereits mit Jon über ihr Verhältnis gesprochen hatte. So, wie er es sah, hatte sich das Ehepaar schon lange entfremdet und war zumindest emotional so gut wie getrennt; es fehlte nur noch ein sauberer Schnitt. Schlimmer noch war, dass die beiden Männer nie über die Probleme in Jons Ehe gesprochen hatten, ebenso wenig wie über die aufkeimende Liebe zwischen Elizabeth und Billy, die vermutlich allein durch die Körpersprache der beiden, die leisen Gespräche und die nicht ganz so verstohlenen Blicke zu erkennen gewesen war. Billy führt dieses unglückliche Schweigen auf eine typisch männliche Mischung aus Empfindsamkeit und übergroßer Zurückhaltung zurück. (Long Islander, die sich noch etwas der Arbeiterklasse verhaftet fühlen, reden gewöhnlich nicht über Gefühle, es sei denn, dass es um Baseballergebnisse geht.)
„Bis zu dem Augenblick, da Jon mir eine verpasste, fühlte ich mich nicht einmal besonders schlecht, weil ich dachte, es sei ja schon alles ganz offen diskutiert worden“, sagte Billy. „Aber Jon wusste nicht alles über Elizabeth und mich. Als mir das klar wurde, hatte ich schreckliche Schuldgefühle.“
Nach dieser Szene und der Erkenntnis, dass er Jon übel hintergangen hatte, brach für Billy alles zusammen. Attila war gescheitert. Sein Konto war so gut wie leer. Jetzt hatte er zudem das Gefühl, schuld an der Scheidung seines besten Freundes zu sein. Und zum krönenden Abschluss ließ sich Elisabeth nicht etwa von Jon scheiden, um mit Billy zusammen zu sein, sondern verschwand erst einmal. „Da begann ich wirklich, Selbstmordgedanken zu entwickeln“, sagt Billy.
„Billy rief mich um ein Uhr morgens an und sagte, er müsse mit mir reden“, erinnert sich Irwin Mazur. „Wir trafen uns im Jericho Diner, und dort berichtete er mir, er hätte eine Affäre mit Elizabeth und wüsste nicht, was er machen sollte.“
Einige Monate vor dem großen Streit hatte Billy noch eine kleine Wohnung in Fairhaven gehabt, wo er unter einer großen amerikanischen Flagge geschlafen hatte, während Jon das Rock House anmietete und Elizabeth immer öfter bei ihrer Familie in Syosset übernachtete. Aber als Elizabeth sich von ihnen beiden distanzierte und Jon sich zurückzog, war Billy sich selbst überlassen und ohne Richtung, ohne Geld für die Miete, ohne ein Auto oder auch nur einen Führerschein. Gelegentlich schlief er bei Irwin Mazur.
„Billy hatte wieder einmal bei uns übernachtet“, berichtet Irwin, „und als ich morgens aufstand und ins Esszimmer ging, fand ich dort einen losen Zettel, auf dem Billy offenbar den Text für einen Song geschrieben hatte. Ich las ihn, und der Titel lautete ‚Tomorrow Is Today‘. Daran ließ sich ziemlich gut ablesen, in was für einem Zustand er damals war. Es war ganz klar ein Abschiedsbrief.“
I’ve been livin’ for the moment
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