So sehr sogar, dass Paul und John dort auftauchten und beim Streichen der Wände und Decke mithalfen. Die Eröffnung war für den 29. August 1959 geplant, und als die Quarrymen – zu denen inzwischen Ken Brown als vierter Gitarrist, aber kein Schlagzeuger mehr gehörte – mit ihren Instrumenten erschien, reihte sich bereits eine Schlange von mehr als hundert Leuten vom Haus der Bests durch die sonst so ruhige Wohnstraße. Die Zuschauer drängten sich anschließend dicht an dicht im Keller, und als die Band schließlich an der Stirnwand des Raumes erschien, ertönte ohrenbetäubender Applaus.
„Willkommen im Casbah!“65, rief John. „Wir sind die Quarrymen, und wir werden jetzt ein bisschen Rock ’n’ Roll für euch spielen!“
Paul kreischte die ersten Zeilen von „Long Tall Sally“, und dann begann ein wilder Ritt durch das härteste Material, über das die Band verfügte. Was ihnen an Bass und Schlagzeug fehlte, glichen die begeisterten Zuschauer durch ihr wildes Stampfen und Klatschen aus. Die Jungs spielten eine Dreiviertelstunde ohne Unterbrechung, drängten sich dann durch die Menge in einen kleinen Nebenraum und kehrten zurück, als das Publikum in donnernder Lautstärke „Wir wollen die Quarrymen!“ skandierte. Paul kam verschwitzt und mit glühendem Gesicht wieder ans Mikrofon. „Geht es euch gut?“66 Lautes Gebrüll antwortete ihm, aber er schüttelte den Kopf. „Ich kann euch nicht hören! Wollt ihr noch mehr Musik?“
Der nächste Beifall ging in dem Eröffnungsriff von Chuck Berrys „Roll Over Beethoven“ unter. Als sie schließlich von der Bühne gingen, schweißgetränkt und noch wie elektrisiert von der Aufregung, starrten sich John, Paul, George und Ken ungläubig an. War das gerade wirklich geschehen? Und vor allem, wann konnten sie das wieder geschehen lassen?
Sehr bald, wie sich herausstellte. Mo Best bot den Quarrymen ein festes wöchentliches Engagement an. Für den Auftritt als Headliner im Casbah an jedem Samstagabend bekamen sie drei Pfund in bar und dazu so viel Coca-Cola und Chips, wie sie vertilgen konnten. Die Band war sofort einverstanden. Und von diesem Augenblick an waren die Quarrymen wieder im Geschäft.
Derry And The Seniors waren eine etablierte Band und ernsthafte Musiker. Deshalb interessierten sie sich überhaupt nicht für die Quarrymen. Oder für Johnny And The Moondogs oder wie auch immer sich die Truppe in den ersten Wochen des Jahres 1960 nannte. Klar, sie hatten von der neuen Szene gehört, die sich rund um das Casbah entwickelt hatte, und wussten, dass dort am Samstagabend Hunderte von Jugendlichen Schlange standen, um die Shows zu sehen. Schließlich spielten sie dort selbst, nachdem die Quarrymen den Club im Oktober unter viel Zank und Streit verlassen hatten. Die Jungs hatten sich über Mo Best geärgert, die doch tatsächlich Ken Brown seinen Anteil an den wöchentlichen drei Pfund Gage ausbezahlt hatte, obwohl er krank gewesen war und gar nicht gespielt hatte, und daraufhin hatten sie nach einem hitzigen Streit alles hingeschmissen. Seitdem hatten sie geprobt und hin und wieder auf Partys gespielt, aber Derry And The Seniors waren als Band gut im Geschäft und betrachteten sich daher als Profis. „Wir guckten zu Anfang etwas auf sie runter“67, erinnerte sich der Seniors-Gitarrist Brian Griffiths. „Sie waren schon in Ordnung, aber keine große Band. Sie hatten nicht mal einen Schlagzeuger.“
Der Rhythmus liegt in den Gitarren, lautete die Maxime der Quarrymen. Inzwischen spielte immerhin Stuart Sutcliffe bei ihnen Bass, nachdem er sich von den 60 Pfund, die er unerwartet mit einem Gemälde verdient hatte, dieses Instrument gekauft hatte. Dass er nicht spielen konnte, war kein Problem, hatten ihm John und Paul versichert. Das würden sie ihm schon beibringen, das konnte doch nicht so schwer sein. Es war jedenfalls leichter, als sich dem gemeinschaftlichen Willen von Lennon und McCartney zu widersetzen, und so hatte sich Stu pflichtschuldig einen Höfner-Bass angeschafft und war ein offizieller Moondog geworden. Sie hatten einen neuen Proberaum und übten nun im Keller des Jacaranda, ihres Lieblingscafés. Hier sah Griffiths sie zum ersten Mal, als sie auf die Tür zugingen, während er selbst, Sänger Derry Wilkie und Saxophonist Howie Casey gerade hinausgingen, um im Pub nebenan noch etwas zu trinken. Man unterhielt sich ein paar Minuten, und während John, Paul, George und Stu das Café betraten, blieben die anderen Musiker draußen im Nieselregen und beendeten das Gespräch mit Casey, der nun beschlossen hatte, nicht mehr mit in den Pub zu gehen. Er drehte sich um, und die anderen wollten ebenfalls gerade aufbrechen, als die Musik begann. „Daran kann ich mich noch ganz lebendig erinnern“68, sagt Griffiths. Er hörte den Anfangsriff von Chuck Berrys „Roll Over Beethoven“, dann setzte Johns energiegeladener Gesang ein und verband sich beim Refrain mit Pauls hellen Harmonien.
„Es war faszinierend“, sagt Griffiths. Mit drei elektrischen Instrumenten in der Besetzung (nur Paul spielte noch immer Akustikgitarre) hatten sie einen ganz neuen Sound gefunden. „Es war Lennons Song, und er spielte diesen großartigen, rumpelnden Chuck Berry-Rhythmus. Ich konnte das gar nicht glauben, sah Derry an und fragte: ‚Sind die das?‘ Er sah daraufhin durch das Gitter über dem Kellerschacht und nickte: ‚Ja, das sind sie!‘ Ich sagte: ‚Verdammte Scheiße, das klingt aber echt gut!‘ Den Augenblick habe ich nie vergessen.“
Die Dinge kamen allmählich richtig in Schwung. Stu konnte zwar nur sehr rudimentär spielen, aber seine Anwesenheit wurde zum Katalysator für die Band. Zunächst einmal war es ihm zu verdanken, dass John sich überhaupt wieder auf die Band konzentrierte. Und als John eines Abends im Februar zur Sprache brachte, dass sie sich wirklich einen besseren Namen einfallen lassen mussten als Johnny And The Moondogs, war es Stu, der John bei seinen Überlegungen über die schlichte Schönheit von Buddy Hollys Crickets zu Beetles lenkte, aus dem dann, dank Johns Lust an Wortspielen, Beatals wurde. Daraus entwickelte sich Beatles, und um der damaligen Mode zu entsprechen, machten sie Johnny Silver And The Beatles daraus, später verkürzt auf Silver Beatles. Manchmal hießen sie auch noch Silver Beetles, offenbar je nachdem, wer den Namen schrieb und welcher Wochentag gerade war.
Als Allan Williams, der dreißigjährige Besitzer des Jacaranda, der offene Fragen auch gern mal mit der Faust regelte, durchblicken ließ, dass er seine damaligen Unternehmen – das Jac, eine Bar und einen Stripclub – zu einem Unterhaltungsimperium ausbauen wollte, zu dem auch Bands und Konzerthallen gehörten, fragte ihn John, ob er nicht Lust hätte, die Band zu managen. Williams war einverstanden und bekam den Auftrag, einen Schlagzeuger zu suchen. Wenig später präsentierte er der Band Tommy Moore, einen erfahrenen Musiker, der tagsüber in einer Flaschenfabrik arbeitete. Moore gehörte allerdings schon fast zu einer anderen Generation – mit seinen 36 Jahren war er mehr als doppelt so alt wie George oder Paul –, und sein Repertoire bestand größtenteils aus Jazzsongs und Shownummern. Aber er war verfügbar und besaß ein eigenes Schlagzeug, daher hießen sie ihn mit offenen Armen willkommen. Dennoch sollte Moore diese Entscheidung schon bald bereuen, denn auf der ersten Tournee der Band kam er beinahe ums Leben. Die Gruppe spielte auf einer zehntägigen Ochsentour durch die heruntergekommensten Tanzsäle Schottlands als Begleitband des weitgehend unbekannten jungen Sängers Johnny Gentle.
Es war die große Chance für die Beatles/Silver Beatles/Silver Beetles. Oder hätte es sein können, wenn sie gut genug gespielt hätten, dass sie sich für ein Dauerengagement im Ferienort Blackpool empfohlen hätten, um den ganzen Sommer über den Liverpooler Sänger Billy Fury zu begleiten. Das war der eigentliche Grund für ihren Vorspieltermin gewesen. Stattdessen erhielten sie den Trostpreis und durften mit Gentle nach Schottland, auf eine Tour, die viel schlechter bezahlt war und nicht annähernd so viel Ansehen versprach. Dennoch brach die Band voller Hoffnung auf. Tommy war der Einzige, der sich keinen Bühnennamen zulegte, während Paul beispielsweise zu Paul Ramon wurde, weil er fand, dass der Name so herrlich geheimnisvoll klang. Sie alle schwelgten in der Vorstellung, on the road zu sein, von Stadt zu Stadt zu reisen, ein oder zwei Stunden richtig heißen Rock ’n’ Roll zu spielen, ein Mädchen aus der Stadt – oder auch ein paar mehr – aufzureißen und dann im Morgengrauen mit dem heruntergekommenen Bus zu verschwinden, der sie, Johnny Gentle und ihre Ausrüstung transportierte. Eine dieser Fahrten endete beinahe in einer Katastrophe, als der Fahrer – Mr. Gentle alias John Askew persönlich – kurz nicht aufpasste und mit einem anderen Auto zusammenstieß. Schlagzeuger Tommy bekam den Aufprall am härtesten zu spüren; er brach sich die Nase und schlug sich ein paar Zähne aus. Am Abend bei der Show in Aberdeen saß er trotzdem am Schlagzeug, aber der Vorfall trübte seinen Spaß am Rock ’n’ Roll-Leben. Ein paar Tage später war die Band wieder in Liverpool, gab noch ein oder zwei Konzerte und war dann erneut auf der Suche nach einem Schlagzeuger.
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